Weit verbreitet, aber der Begriff "Telegram-Gruppe" verrät, was davon zu halten ist. |
Überaus raffiniert ist er gemacht, der angebliche Strafbefehl einer Staatsanwaltschaft, der in den letzten Tagen von Rechten, Rechtsextremen, Rechtspopulisten, Rechtsradikalen und Rechtsextremisten im Internet fleißig geteilt wird. Er soll vermeintlich belegen, dass eine deutsche Staatsanwaltschaft einem Delinquenten mit geschwärztem Namen die Verwendung des Halbsatzes "Was ein Idiot" mit Bezug auf den scheidenden Bundeskanzler zur Last legt.
Die Aufregung in einschlägigen Kreisen ist groß, obwohl ausgerechnet der "Idiot" jahrzehntelang zu den Standardbeleidigungen im politischen Berlin galt, mit denen sich Parlamentarier im Hohen Haus regelmäßig überzogen. Zwischen 1949 und 1949 wurden die Beleidigung 152-mal verwendet - "stetig und fraktionsübergreifend", wie das Wochenblatt "Die Zeit" recherchiert hat.
Kein Brandmauer für "Idioten"
Bei der Verwendung gab es keine Brandmauer nach
links und keine Brandmauer nach rechts, die Mitte brachte ihn ebenso empört zur Anwendung wie die Extremen auf beiden Seiten. "Idiot" ist das verbale Hufeisen der politischen Sprache, obwohl die Geschäftsordnung des Parlaments seine Verwendung ausdrücklich untersagt. Ermittlungsverfahren oder gar Strafbefehle hatte das nie zur Folge.
Dass nun einmal ein mutmaßlich einfacher Bürger seinem Zorn über die zerrütteten politischen
Verhältnisse, über das Machtvakuum in Berlin, das Auseinanderbrechen der Ampel
und den Streit in der SPD um den richtigen Kanzlerkandidaten damit Luft macht, "um Ihre Missachtung auszudrücken", wie es im "Strafbefehl" heißt, und sofort bestraft wird, erscheint kaum vorstellbar.
Und es stimmt natürlich auch nicht, wie eine Tiefenanalyse von Experten des An-Institutes für Angewandte Entropie zeigt. Die Forensiker fanden heraus, dass es sich bei dem ohne Hinweis auf die Quelle verbreiteten Papier mit höchster Wahrscheinlichkeit um eine perfide Fälschung handelt.
Indizien sprechen für Fälschung
Dafür sprächen, sagt Forschungsleiter Hans Achtelbuscher, gleich mehrere Indizien. So spricht nach einer Einschätzung von Kennern der deutschen Justizlandschaft
schon auf der oberen Sachebene wenig dafür, dass es sich bei dem fotokopierten Papier um ein echtes
Dokument einer tatsächlichen Staatsanwaltschaft in Deutschland handelt. Es sei
wenig plausibel, dass eine der notorisch unterbesetzten und permanent überlasteten Strafverfolgungsbehörden sich mit so großen
Eifer eines Bagatelldeliktes annehmen.
Mit der Situation im
deutschen Justizwesen vertraute Personen schließen ebenfalls aus, dass ein übereifriger Staatsanwalt
hier quasi auf eigenen Faust tätig geworden sein könne. Ein langjähriger Beobachter der Verhältnisse in der deutschen Justiz weist darauf hin, dass Staatsanwälte als weisungsgebundene Beamte in der Regel handeln, wenn sie müssen.
"Wenn
wir einmal zurückschauen, sehen wir, dass in Zeiten, als Glücksspiel in Deutschland illegal war, tausende Staatsanwälte bei Handballturnieren und anderen Weltsportereignissen
zuschauten, nicht ein einziger aber auf eigene Faust gegen ARD oder ZDF oder RTL
ein Verfahren wegen illegaler Glücksspielwerbung anstrengte."
Illegal penetriert
Obschon das von Amts wegen für jeden einzelnen Staatsanwalt angezeigt gewesen sei. Trotz des damals angesichts von Millionen Fernsehzuschauern, die mit illegaler Glücksspielwerbung penetriert worden seien, habe niemand ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung und damit "ein Einschreiten von Amts wegen" für geboten gehalten, wie es im Text jetzt als Handlungsgrundlage reklamiert werde.
Aber auch die inhaltliche Analyse des Screenshots des angeblichen "Strafbefehls" lässt die Forensikern an der Echtheit zweifeln. Ausweislich des kolportierten Textes des vermeintlich behördlichen Schreiben sei das Wort "Idiot" vom mutmaßlichen Täter in einem Netzwerkdienst verwendet worden, der als "Telegramm" bezeichnet wird. "Ein solches soziales Netzwerk aber existiert nicht", betont Forschungsleiter Hans Achtelbuscher. Bekannt geworden sei durch Medienberichte und behördliche Bemühungen um Regulierung in der Vergangenheit eine Plattform namens "Telegram", der hier jedoch wohl nicht gemeint sei, da er sich anders schreibe.
Ein nicht existierendes Netzwerk
"Dass allerdings eine deutsche Staatsanwaltschaft nach intensiven Ermittlungen, der Prüfung durch Dienstvorgesetzte und
der Genehmigung durch einen Richter einen Strafbefehl erwirkt, der sich auf
Äußerungen in einem nicht existierenden Netzwerk bezieht, ist schlicht
unvorstellbar", folgert der erfahrene Forscher. Ebenso ausgeschlossen sei ein Schreibfehler. "Wer so intensiv ermittelt, der weiß, wovon er spricht."
Auch die Vermutung, dass der Strafbefehl sich auf eine Verbreitung durch den traditionellen Telegramm-Service der früheren Deutschen Post (heute DHL) beziehe, habe widerlegt werden können. "Die ehemalige Bundespost hat diesen Telegramm-Dienst bereits vor zwei Jahren ersatzlos eingestellt", schildert Achtelbuscher. Sie verweise jetzt auf bunte Grußkarten, die ersatzhalber verschickt werden könnten.
Verweis auf einen "Telegramm-Gruppe"
"Das halten wir für keinen probaten Weg, zu Mitverschwörern einer im Schreiben genannten "Telegramm-Gruppe Soldaten und Reservisten" Kontakt aufzunehmen, um diese zur Delegitimierung aufzupeitschen". Im Papier sei von einer "öffentliche Beleidigung" die Rede, die "auch geeignet" sei, "das Wirken des Herrn Olaf Scholz als Bundeskanzler erheblich zu beeinträchtigen und seine Glaubwürdigkeit und Lauterkeit in Frage zu stellen und daher auch sein Handeln zu beeinflussen".
Schwer vorstellbar finden die Wissenschaftler, "dass sich dies mit Hilfe von Telegrammen oder Grußkarten erreichen ließe". Auch eine Fortexistenz der in den 50er Jahren in Reutlingen tätigen einzig bekannten Telegramm-Gruppe von bildenden Künstlern und Schriftstellern sei abwegig. "Nach dem berühmten zweiten Bayreuther Treffen löste sich die Gruppe bekanntlich auf." Die meisten Aktiven seien heute auch nahezu hundert Jahre alt. "Das passt nicht genauso wenig wie der verstümmelte Satz zum Vorwurf", sagt Hans Achtelbuscher.
Das alles spreche für eine dreiste Fälschung, zumal der Bundeskanzler sich beim Stellen von Anzeigen gegen Wählerinnen und Wähler zurückhalte. Wenig wahrscheinlich sei auch, dass eine weisungsgebundene Behörde ohne Kenntnis des Kanzleramtes und nur nach dem zuletzt verschärften Paragrafen zur Majestätsbeleidigung tätig geworden sei.
Dreiste Fälschung enttarnt
Im Fall des von einem Wutbürger als "Schachkopf" beleidigten Bundesklimawirtschaftsministers hätten die Ermittler den Betroffenen über die Sachlage informiert. "Für uns ist schwer vorstellbar, dass das bei einer Scholz betreffenden Beleidigung unterblieben wäre."
Im Zusammenwirken mit dem Bundesamt für Wahrheitskontrolle und Wirklichkeitsdesign (BAWKWD), einer noch relativ neuen Behörde, die beauftragt worden ist, in der sich verändernden Meinungslandschaft, Zeichen zu setzen, sei man zum Schluss gekommen, dass es sich bei dem kursierenden Dokument um eine Fälschung handeln müsse.
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