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Weit verbreitet, aber der Begriff "Telegram-Gruppe" verrät, was davon zu halten ist. |
Überaus raffiniert ist er gemacht, der angebliche Strafbefehl einer Staatsanwaltschaft, der in den letzten Tagen von Rechten, Rechtsextremen, Rechtspopulisten, Rechtsradikalen und Rechtsextremisten im Internet fleißig geteilt wird. Er soll vermeintlich belegen, dass eine deutsche Staatsanwaltschaft einem Delinquenten mit geschwärztem Namen die Verwendung des Halbsatzes "Was ein Idiot" mit Bezug auf den scheidenden Bundeskanzler zur Last legt.
Die Aufregung in einschlägigen Kreisen ist groß, obwohl ausgerechnet der "Idiot" jahrzehntelang zu den
Standardbeleidigungen im politischen Berlin galt, mit denen sich Parlamentarier im Hohen Haus regelmäßig überzogen. Zwischen 1949 und 2019 wurden die Beleidigung 152-mal verwendet - "stetig und fraktionsübergreifend", wie das Wochenblatt "Die Zeit" recherchiert hat. In Erinnerung geblieben ist kaum eine der Erwähnungen.
Im Unterschied zum deftigen "Arschloch", das Joschka Fischer, damals noch in Turnschuhen, dem stellvertretenden Bundestagspräsidenten entgegenschleuderte, "Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch", ausgerufen am 18. Oktober 1984, ist formvollendet formuliert, aber nicht im Protokoll vermerkt. Fischer hatte beleidigt, als die Sitzung bereits unterbrochen worden war. Zu lesen ist im Protokoll mithin nur noch sein: "Meine Damen und Herren".
Kein Brandmauer für "Idioten"
Die Idioten dagegen sind zahlreich in die Geschichte eingegangen. Und meist haben sie kaum Aufregung ausgelöst. Fraglos berechtigt, denn als
idiotes bezeichneten die alten Griechen, die das Wort erfunden haben, keineswegs einen Dummkopf oder einen Schwachkopf. Für sie war ein Idiot ein
Mann, der sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte, nicht aber um das Wohl der Gesamtgesellschaft. An beleidigendem Gehalt fehlte es der Bezeichnung, die nur Tatsachen beschreibt.
Erst mit der Umdeutung des Idioten zu einem Dämlack und der Enstehung der Pain-Overlap-Theorie verwandelte sich das Wort ein ins, das als ehrverletzend Beleidigung nach
§ 185 StGB verfolgt werden kann. Normalerweise nur auf Verlangen des Beleidigten.
Dem gesteht die Pain-Overlap-Theorie zu, dass körperliche und emotionale Schmerzen dasselbe
Verarbeitungssystem im Gehirn teilen und Schmerzen aufgrund von negativen sozialen Erfahrungen über die gleichen neuronalen Schaltkreise verarbeitet werden, so dass Fluchen und Beleidigen den menschlichen Körper in eine Schlägen oder Tritten vergleichbare physische Stresssituation versetzen können.
Adrenalin, Cortisol und Endorphine werden ausgeschüttet, so dass das körperliche Schmerzempfinden
abgemildet wird. Die Verletzung aber bleibt: Sie besteht nun darin, dass der Körper zur Ausschüttung von Abwehrmitteln gezwungen wurde.
Keine Brandmauern
Bei der Verwendung gab es keine Brandmauer nach links und keine Brandmauer nach rechts, die Mitte brachte ihn ebenso empört zur Anwendung wie die Extremen auf beiden Seiten. "Idiot" ist das verbale Hufeisen der politischen Sprache, obwohl die Geschäftsordnung des Parlaments seine Verwendung ausdrücklich untersagt. Ermittlungsverfahren oder gar Strafbefehle hatte das nie zur Folge, denn die Hürden sind hoch: Entscheidend
ist der Nachweis, dass der Äußernde die Ehrverletzung selbst bezweckt hat. Soweit aus den
Umständen klar ist, dass der Äußernde lediglich eine fremde Beleidigung
weitergibt, ist seine Verwendung des Begriffes "Idiot" nicht strafbar.
Die Unterscheidung ist einfach. Beschimpft ein Politiker einen anderen als "Idioten", weist vieles auf eine Beleidigung hin. "Idiot" drückt Missachtung
aus, es würdigt herab und kratzt am Ruf des so Bezichtigten. Der elegante Beleidiger sagt es deshalb anders: "Viele hier im Hause halten Sie für einen Idioten", denn das gibt nur ein vermeintliches fremdes Werturteil wieder. Für den Beschimpften kann das eine wertvolle Information sein, er kann sie freilich auch als Beleidigung werten. Es wird ihm nur schwerfallen, die streitgegenständliche Bezeichnung vor Gericht als beleidigenden Vorwurf zu beweisen.
Es ist viel Verbotenes erlaubt
Gerichte, obschon zuletzt immer deutlicher geeicht darauf, Meinungsäußerungen als falsche Tatsachenbehauptungen
zu verurteilen, haben der subjektiven Wertung eines "Idioten" häufig so viel Wert beigemessen, dass die Verwendung von "Idiot" nach Grundrechtsabwägung als zulässig durchging, weil es dem Bergiff "am schmähenden, die Würde der Person als solche
verletzenden Charakter" fehle, der wiederum Voraussetzung dafür wäre, die
Meinungsfreiheit einzuschränken. Die steht im kollektiven Wert über dem individuellen Bemühen, die eigene Ehre zu schützen.
Dass nun einmal ein mutmaßlich einfacher Bürger seinem Zorn über die zerrütteten politischen Verhältnisse, über das Machtvakuum in Berlin, das Auseinanderbrechen der Ampel und den Streit in der SPD um den richtigen Kanzlerkandidaten damit Luft macht, "um Ihre Missachtung auszudrücken", wie es im "Strafbefehl" heißt, und sofort bestraft wird, erscheint kaum vorstellbar.
Und es stimmt natürlich auch nicht, wie eine Tiefenanalyse von Experten des An-Institutes für Angewandte Entropie zeigt. Die Forensiker fanden heraus, dass es sich bei dem ohne Hinweis auf die Quelle verbreiteten Papier mit höchster Wahrscheinlichkeit um eine perfide Fälschung handelt.
Indizien sprechen für Fälschung
Dafür sprächen, sagt Forschungsleiter Hans Achtelbuscher, gleich mehrere Indizien. So spricht nach einer Einschätzung von Kennern der deutschen Justizlandschaft schon auf der oberen Sachebene wenig dafür, dass es sich bei dem fotokopierten Papier um ein echtes
Dokument einer tatsächlichen Staatsanwaltschaft in Deutschland handelt. Es sei wenig plausibel, dass eine der notorisch
unterbesetzten und permanent
überlasteten Strafverfolgungsbehörden sich mit so großen Eifer eines Bagatelldeliktes annehmen.
Mit der Situation im deutschen Justizwesen vertraute Personen schließen ebenfalls aus, dass ein übereifriger Staatsanwalt hier quasi auf eigenen Faust tätig geworden sein könne. Ein langjähriger Beobachter der Verhältnisse in der deutschen Justiz weist darauf hin, dass Staatsanwälte als weisungsgebundene Beamte in der Regel handeln, wenn sie müssen.
"Wenn wir einmal zurückschauen, sehen wir, dass in Zeiten, als Glücksspiel in Deutschland illegal war, tausende Staatsanwälte bei
Handballturnieren und anderen Weltsportereignissen
zuschauten, nicht ein einziger aber auf eigene Faust gegen ARD oder ZDF oder RTL ein Verfahren wegen illegaler Glücksspielwerbung anstrengte."
Illegal penetriert
Obschon das von Amts wegen für jeden einzelnen Staatsanwalt angezeigt gewesen sei. Trotz des damals angesichts von Millionen Fernsehzuschauern, die mit illegaler Glücksspielwerbung penetriert worden seien, habe niemand ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung und damit "ein Einschreiten von Amts wegen" für geboten gehalten, wie es im Text jetzt als Handlungsgrundlage reklamiert werde.
Aber auch die inhaltliche Analyse des Screenshots des angeblichen "Strafbefehls" lässt die Forensikern an der Echtheit zweifeln. Ausweislich des kolportierten Textes des vermeintlich behördlichen Schreiben sei das Wort "Idiot" vom mutmaßlichen Täter in einem Netzwerkdienst verwendet worden, der als "Telegramm" bezeichnet wird. "Ein solches soziales Netzwerk aber existiert nicht", betont Forschungsleiter Hans Achtelbuscher. Bekannt geworden sei durch
Medienberichte und behördliche Bemühungen um Regulierung in der Vergangenheit eine Plattform namens "Telegram", der hier jedoch wohl nicht gemeint sei, da er sich anders schreibe.
Ein nicht existierendes Netzwerk
"Dass allerdings eine deutsche Staatsanwaltschaft nach intensiven Ermittlungen, der Prüfung durch Dienstvorgesetzte und
der Genehmigung durch einen Richter einen Strafbefehl erwirkt, der sich auf Äußerungen in einem nicht existierenden Netzwerk bezieht, ist schlicht unvorstellbar", folgert der erfahrene Forscher. Ebenso ausgeschlossen sei ein Schreibfehler. "Wer so intensiv ermittelt, der weiß, wovon er spricht."
Auch die Vermutung, dass der Strafbefehl sich auf eine Verbreitung durch den traditionellen Telegramm-Service der früheren Deutschen Post (heute DHL) beziehe, habe widerlegt werden können. "Die ehemalige Bundespost hat diesen Telegramm-Dienst bereits vor zwei Jahren ersatzlos eingestellt", schildert Achtelbuscher. Sie verweise jetzt auf bunte Grußkarten, die ersatzhalber verschickt werden könnten.
Verweis auf einen "Telegramm-Gruppe"
"Das halten wir für keinen probaten Weg, zu Mitverschwörern einer im Schreiben genannten "Telegramm-Gruppe Soldaten und Reservisten" Kontakt aufzunehmen, um diese zur Delegitimierung aufzupeitschen". Im Papier sei von einer "öffentliche Beleidigung" die Rede, die "auch geeignet" sei, "das Wirken des Herrn Olaf Scholz als Bundeskanzler erheblich zu beeinträchtigen und seine Glaubwürdigkeit und Lauterkeit in Frage zu stellen und daher auch sein Handeln zu beeinflussen".
Schwer vorstellbar finden die Wissenschaftler, "dass sich dies mit Hilfe von Telegrammen oder Grußkarten erreichen ließe". Auch eine Fortexistenz der in den 50er Jahren in Reutlingen tätigen einzig bekannten
Telegramm-Gruppe von bildenden Künstlern und Schriftstellern sei abwegig. "Nach dem berühmten zweiten Bayreuther Treffen löste sich die Gruppe bekanntlich auf." Die meisten Aktiven seien heute auch nahezu hundert Jahre alt. "Das passt nicht genauso wenig wie der verstümmelte Satz zum Vorwurf", sagt Hans Achtelbuscher.
Das alles spreche für eine dreiste Fälschung, zumal der Bundeskanzler sich beim Stellen von Anzeigen gegen
Wählerinnen und Wähler zurückhalte. Wenig wahrscheinlich sei auch, dass eine weisungsgebundene Behörde ohne Kenntnis des Kanzleramtes und nur nach dem zuletzt verschärften Paragrafen zur Majestätsbeleidigung tätig geworden sei.
Dreiste Fälschung enttarnt
Im Fall des von einem Wutbürger als
"Schachkopf" beleidigten Bundesklimawirtschaftsministers hätten die Ermittler den Betroffenen über die Sachlage informiert. "Für uns ist schwer vorstellbar, dass das bei einer Scholz betreffenden Beleidigung unterblieben wäre."
Im Zusammenwirken mit dem Bundesamt für Wahrheitskontrolle und Wirklichkeitsdesign (BAWKWD), einer noch relativ neuen Behörde, die beauftragt worden ist, in der sich verändernden Meinungslandschaft, Zeichen zu setzen, sei man zum Schluss gekommen, dass es sich bei dem kursierenden Dokument um eine Fälschung handeln müsse.
1 Kommentar:
OT Ging ein wenig unter, finde ich.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-11/deutschland-angela-merkel-migrationspolitik
Man kann gar kein Einzelzitat rausgreifen, ist alles auf dem gleichen Level irre. Merkel ist schlimmer als früher und zum Glück weg. Wer hätte gedacht, dass so wenige Sätze von Merkel reichen, um zu erkennen, dass wir mit Olaf noch Glück haben.
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