Montag, 25. November 2024

EU-Hinterzimmerdeals: Machtkampf um die Unsichtbaren


Der neue Reigen Unbekannter, der in Zukunft über Europa regieren wird. 

Lässt du meinen, lass ich deinen, schießt du quer, schieße ich auch. So ungefähr geht das Spiel, das die EU-Fraktionsspitzen, die Heimatparteien der Kommissarskandidaten und die bereits wieder mit ihrem Amt betraute EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen seit mehr als fünf Monaten spielen.  

Immer um alles


Das Interesse an der neuen EU-Kommission. 
Es geht wie immer um alles, denn es geht um die Besetzung der Posten, die die Europäische Kommission in den kommenden vier dreieinhalb Jahren führen werden. Jedes Mitgliedsland entsendet traditionell einen Kommissar, außer Deutschland, das erneut die Präsidentin stellt. Die muss die Vorschläge abnicken, dann wandert das umfängliche Personaltableau ins Parlament, das der neuen Kommission auch noch ein bisschen Stempelchen aufdrücken will, ehe es wieder jahrelang nichts zu sagen haben wird.

Zweimal nur zuckte das Interesse an den neuen EU-Kommissaren hoch. Das dauert alles seine Zeit, trotz Zeitenwende, Krieg, Wirtschafts- und Migrationskrise und den von überallher kommenden ASngriffen gegen die Vorbildrolle der Gemeinschaft beim Klimaschutz. Zuerst musste Ursula von der Leyen zähneknirschend von ihrem Versprechen abrücken, ihre neue Kommission paritätisch halb und halb aus Frauen und Männern zusammenzustellen - die Mitgliedsstaaten hatten einfach zu wenige Frauen nominiert. 

Linke gegen Rechte


Dann kamen ihr auch noch Vorschlage aus Spanien, Ungarn und Italien auf den Tisch, deren Regierungschefs verlangten, Politiker ihres Vertrauens und ihrer Parteifarben in die Kommission aufzunehmen. Italien wird bekanntlich von Neufaschisten regiert, Ungarn von einem Populisten, Spanien von einem der letzten echten Linken. Dessen Lager gefielen die Nominierten aus Ungarn und Italien nicht. Deren Unterstützern war die spanische Anwärterin nicht rechts

Ein Schachern in Hinterzimmern hob an, das medial kaum Widerhall fand. Als wäre die EU mit dem Wahltag im Frühjahr schon prima für alles kommende aufgestellt, verebbte jegliches Interesse an dem, was nach der "Schicksalswahl" (Katharina Barley) folgte. So wenig die neuen Kommissare jemand irgendwo da draußen kennt, so wenig hatte er die Chance, sie im zurückliegenden halben Jahr kennenzulernen. 

Keine Schlagzeilen


Namen wie Kaja Kallas, eine Frau aus Estland, die für ihren neuen Job den als Premierministerin ihres Heimatlandes aufgegeben hatte, tauchten gelegentlich auf, als bestehe kein Zweifel daran, dass die Kandidatin für den Posten als Außen- und Sicherheitspolitikverantwortliche in jedem Fall gewählt werde. Andere künftige Vizepräsidenten - die EU leistet sich sechs an der Zahl - machten keine Schlagzeilen wie Henna Virkkunen, Raffaele Fitto und Stéphane Séjourné.

Künftig zuständig für Fantasieressorts wie "Sicherheit, Demokratie und Werte", "Kohäsion und Reformen" oder "Wohlstand und eine europäische Industriestrategie", sind sie heute noch genauso unbekannt wie es ihre Vorgänger immer blieben, obwohl deren Zuständigkeitsbezeichnungen "Europäischer Grüner Deal Interinstitutionelle Beziehungen und Vorausschau", "Werte und Transparenz", "Förderung unserer europäischen Lebensweise" und "Ein stärkeres Europa in der Welt" für sich selbst sprachen. Wer aber hat jemals von Dubravka Šuica gehört? Außer er hat gelesen, dass sie "gegen Lobbyregeln verstoßen haben könnte" (Spiegel)

Kein Hinderungsgrund


Nichts, was eine Weiterbeschäftigung im Dienst von 440 Millionen Europäerinnen und Europäern im wege steht. Oder wer weiß, dass die tschechische Politikerin Věra Jourová in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich dreimal öffentlich auftauchte - zuletzt, als sie im Gespräch mit dem ARD-Europastudio wissen ließ, dass die "die Plattform X eine Drehscheibe für Antisemitismus" sei, und der "Gründer Elon Musk ein Förderer des Bösen"?

Ob Roxana Minzatu aus Rumänien, mit der in letzter Sekunde doch noch eine Frau für einen EU-Kommissarsposten nominiert wurde, es besser machen wird, ist nicht abzusehen. Die 44-Jährige, vorgesehen für ein Kommissariat mit dem schönen neuen Namen "Fachkräfte, Kompetenzen und Vorausschau", hat Politikwissenschaften studiert und ihr Berufsleben als „Euroadvisor“ im rumänischen "Ministerium für Europäische Integration" begonnen. Danach arbeitete sie als Managerin und Beraterin für verschiedene EU-finanzierte Projekte, wurde Staatssekretärin im "Ministerium für europäische Fonds", anschließend Staatssekretärin und Koordinatorin der "Abteilung für die Bewertung und das integrierte Monitoring der aus öffentlichen und europäischen Mitteln finanzierten Programme" un Rumänien und schließlich EU-Abgeordnete.

Lupenreine Europäer


Ihr lupenreines Europäertum ist ein Pfund, mit dem Roxana Mînzatu wird wuchern müssen, um wie geplant "vor dem Hintergrund einer schwierigen Demografie" (EU) "Verantwortung zu tragen für Kompetenzen, Bildung und Kultur, hochwertige Arbeitsplätze und soziale Rechte und sich nebenher auch noch "führend um eine EU der Kompetenzen und die europäische Säule sozialer Rechte" zu kümmern, "um die Gesellschaften zusammenzuhalten".

Zum Glück ist sie mit dieser titanischen Aufgabe nicht allein, Teresa Ribera aus Spanien, auserkoren den "sauberen, gerechten und wettbewerbsfähige" Übergang zum managen, Ekaterina Zaharieva, eine gelernte Juristin aus Bulgarien (Start-ups, Forschung und Innovation), Maria Luís Albuquerque aus Portugal (Finanzdienstleistungen und die Spar- und Investitionsunion), Maros Sefcovic aus der Slowakei (Handel und wirtschaftliche Sicherheit sowie interinstitutionelle Beziehungen und Transparenz) und Piotr Serafin aus Polen (Haushalt, Betrugsbekämpfung und öffentliche Verwaltung) werden neben ihr stehen und die monatelange gegenseitige Blockade der großen Fraktionen im Parlament schnell vergessen lassen.

Gekommen, um zu verschwinden


Die sogenannten "Anhörungen" sind inzwischen abgeschlossen, die Keuh aber ist noch nicht vom Eis. Nach dem Machtkampf um die drei Kommissare, der durch eine "Paketlösung " (DPA) beendet werden konnte, steht nur noch die Schlussabstimmung im EU-Parlament  aus, die als bloße Formsache gilt. Alle wichtigen Fraktionen sind eingeschworen, alle Posten verteilt. So wird Olivér Várhelyi aus Ungarn "Gesundheit und Tierschutz" übernehmen, Wopke Hoekstra aus den Niederlanden "Klima, Netto-Null-Emissionen und sauberes Wachstum" und Jessika Roswall aus Schweden kümmert sich künftig um "Umwelt, Wassersicherheit und eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft".

Anfang Dezember, nach nur 180 Tagen intensiver Verhandlungen, könnte die neue Kommission der Unbekannten ihre Arbeit aufnehmen. Sowohl von den oben genannten als auch von Costas Kadis aus Zypern ("Fischerei und Ozeane"), Hadja Lahbib (Belgien / "Vorsorge und Krisenmanagement"),  Apostolos Tzitzikostas (Griechenland / "Nachhaltiger Verkehr und Tourismus"), Glenn Micallef (Malta / "Generationengerechtigkeit, Kultur, Jugend und Sport" und Jozef Sikela (Tschechien / "Internationale Partnerschaften") wird dann nie wieder zu hören sein.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Ressorts klingen als hätte sich Terry Gilliam die Namen ausgedacht.

Anonym hat gesagt…

Ministerium für Überfluss - meine "spontane Assoziation" ...

Anonym hat gesagt…

Ein Pole für Betrugsbekämpfung ist auch toll. Früher nannte man das, "Den Bock zum Gärtner machen".
Aber egal, sie werden sich alle die Taschen vollmachen und an Flintenuschi kommt eh keiner ran.

ppq hat gesagt…

die ressortnamen stimmen alle. nach 5 monaten überlegung darf europa aber auch nicht weniger erwarten

Trumpeltier hat gesagt…

Wen wundert's?

Nur in sizilianischen Kleinstädten kennt die Bevölkerung ihre Mafiapaten.

Die ähnlich organisierte EU-Struktur ist inzwischen krebstumorig bösartig gewuchert und viel zu groß dafür, und ohne einschneidende Organtransplantionen nicht mehr wegzubekommen. Wieso auch, wenn etwa 70% der 'Demokraten' es dauerhaft genau so wollen?.