Viel wird die SPD an ihren Plakaten von 2021 nicht verändern müssen. |
Der erste Versuch, vorzufühlen, ging noch schief. Als Olaf Scholz dem Kreml kurz nach den für seine Partei verheerenden Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen öffentlich ein Gesprächsangebot machte, blitzte der Bundeskanzler bei Wladimir Putin ab. Die Berliner Bitte um einen Telefontermin lehnte Wladimir Putin eiskalt ab. Es gebe "keine gemeinsamen Themen", über die es sich zu sprechen lohne, bestellte ein Kreml-Sprecher. Scholz stand düpiert da, aber beim Moskau-Flügel der SPD hatte er Punkte gemacht.
Vorsorge in Berlin
Und vorgesorgt: Später würde er immer sagen können, dass er es an Anstrengungen nicht habe fehlen lassen, um nach der bisher ausgebliebenen baldigen Staatspleite Russlands Brücken zum Despoten zu bauen. Würde sich den Wind drehen, etwa nach einem Wahlsieg Donald Trumps in den USA, wäre der deutsche Kanzler nicht nur beim Liefern von Waffen an die Ukraine Letzter. Sondern auch bei Friedensverhandlungen zwischen Washington und Moskau einer, der sagen kann, er habe sich immer bemüht, Brücken zu bauen.
Als es so weit war, wartete der Sozialdemokrat nicht lange, jedenfalls kaum länger als es bis zu seinem ersten Telefonat mit dem President-elect dauerte. Eine Stunde lang sprach Scholz mit Putin, ein Tabubruch, der vier Monate zuvor noch beinahe zur EU-Exkommunikation des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán geführt hatte. Die Kritik am Alleingang des deutschen Regierungschefs auf Abruf war pflichtschuldig, aber leise. Polen und Finnland empörten sich, der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyj zeigte sich entsetzt.
Kritik von der Hinterbank
Doch die deutschen Parteien schickten nur ein paar Hinterbänkler, um den Alleingang des Kanzlers infrage zu stellen. Zwei Monate vor Trumps Einzug in Weiße Haus will niemand mehr auf dem falschen Fuß erwischt werden. Selbst auf dem Parteitag der Grünen, die sich seit Kriegsausbruch in Konkurrenz zur FDP als härteste Militärpartei etabliert haben, musste der weithin unbekannte Bundestagsabgeordnete Robin Wagener die Rolle des Gesprächskritikers übernehmen, während Kanzlerkandidat Robert Habeck das Thema in seiner fulminanten "Jetzt nicht kneifen"-Rede genauso weiträumig umging wie die desolate Wirtschaftslage.
Alles deutet darauf hin, dass Olaf Scholz den richtigen Riecher hatte, als er nach den ersten Fake News über ein Gespräch zwischen Putin und Trump beschloss, selbst zum Hörer zu greifen. Der Kanzler, der sich zur Europawahl erfolglos mit dem Slogan "Frieden sichern - SPD wählen" plakatieren ließ, ist bei Gerhard Schröder in die Lehre gegangen, dem er Anfang der 2000er als Generalsekretär diente. Beim Wähler hatte sich der damalige Kanzler als Isolationist beliebt gemacht, als er gegen die Bitten der amerikanischen Verbündeten und die Mehrheit der EU-Partnerländer der "militärischen Option" eine Absage erteilte.
Mit Frieden in den Wahlkampf
Die Herzen der "Nie wieder Krieg"-Begeisterten flogen dem knorrigen Niedersachsen zu. Die bis auf 24 Prozent eingebrochenen Umfragezahlen der SPD kletterten bis zur Bundestagswahl zwei Jahre später wieder auf 34 Prozent. Am Wahltag fehlten Schröder nur Millimeter zur Wiederwahl, weil seine These, es sei der Krieg, der die "die Reform- und Dialogbereitschaft in den islamischen Ländern" blockiere, in Millionen Ohren so bequem und gemütlich geklungen hatte.
Jetzt, wo Joe Biden seinen Hinterbliebenen noch ein ganz besonderes Abschiedsgeschenk auf den Tisch gelegt hat und an der Heimatfront die ersten Schanzübungen stattfinden, steht wieder die Frage, wie die Zieldaten übermittelt werden, ohne den aus den Bundeswehr-Leaks bekannten Weg zu gehen. Medial wird die Frage danach, wer die US-Raketen nach Russland steuern wird, noch peinlich vermieden. Doch wenn Scholz Glück hat, ringt sich in den nächsten 99 Tagen doch noch jemand durch. Dann darf der Kanzler wieder hoffen.
Scholz' Umfragergebnisse sind ungleich fürchterlicher als alle, die Schröder je zu verkraften hatte. Der Krieg aber ist diesmal näher, das Bedrohungsgefühl akuter und die Friedenssehnsucht vielmals größer. Zweieinhalb Jahre nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine macht sich niemand mehr Illusionen darüber, dass Russland bald Staatsbankrott anmelden wird. Noch deutlich weniger Stimmen gehen davon aus, dass die Ukraine Russland in zwei, fünf oder 15 Jahren besiegt und aus dem eigenen Land getrieben haben wird.
Nichts in der Auslage
Der Bundeskanzler handelt angesichts der Bedrängnis, in der er mitsamt seiner Partei steckt, rational. Im Wahlkampf der kommenden drei Monate wird die SPD wenig ins Schaufenster legen können. Die wundersame Wirtschaftserholung, auf die Scholz mit Blick auf den regulären Wahltag im September 2025 gehofft hatte, wird bis Februar nicht eintreten.
Weitere soziale Wohltaten aus leeren Kassen zu verteilen, reicht die Kraft nicht mehr. Die Karte, man habe viel erreicht und ohne die an allem Bösen schuldige FDP sei noch mehr zu machen, sticht nicht. Und auch die überstürzte Rückkehr der Kanzlerpartei zum Hassportal X ändert nichts am Fakt, dass die älteste deutsche Partei mit leeren Händen in die Wahlschlacht zieht.
Hilfe kommt aus den USA, wo Joe Biden seinem Nachfolger eine Aufgabe hinterlassen und Olaf Scholz zugleich Wahlkampfhilfe gegeben hat. Die Freigabe für den Einsatz weitreichender Raketen, von US-skeptischen Medien als "Verzweiflungstat" geframt, könnte für Europa noch wichtig werden. Gelänge es, den weitgehend festgefrorenen Konflikt im Osten der Ukraine noch einmal in Bewegung zu bringen, könnte Trump mit seinem Friedensversprechen scheitern. Und der damit weiterschwelende Krieg würde Scholz helfen, sich als konsequenter Friedensbringer zu inszenieren.Kaum Wahlkampfmunition
Als unbeliebtester unter den chancenlosen Kanzlerkandidaten, die antreten werden, ist es dem aktuell umstrittenen Kandidaten der SPD versagt, einen Wahlkampf gegen die CDU oder die Grünen zu führen, mit denen eine Koalition nach dem 23. Februar eher wahrscheinlich als ausgeschlossen ist. Nur gegen Wagenknecht und AfD anzutreten, zeitigte zuletzt aber auch wenig Erfolg. Da der SPD zudem das Personal fehlt, einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen, sind die Alternativen rar, um Wählerinnen und Wähler anzulocken.
Dann also Frieden. Den hat Donald Trump ohnehin angedroht, den kann Scholz sowieso nicht verhindern, genauso wenig, wie er selbst den Krieg beenden kann. Olaf Scholz reiht sich deshalb ein in die Front deren, die zumindest verbal vorantreiben, was sie seit 2022 kategorisch verweigert haben.
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