D-Day vor der offenen Feldschlacht: Nach dem Rücktritt des FDP-Generalsekretärs Djir-Sarai rückt nun Parteichef Christian Lindner in den Fokus. |
Es könnte alles noch gut so super laufen wie die drei Jahre lang bis zu diesem fatalen 7. November. Eine Regierung würde tun, was eine Regierung tut: Gesetze beschließen, neue Regeln und bürokratische Hürden bauen, immer mal hinauseilen und Rettungspakete verteilen, aber natürlich auch die Vielzahl der Chefsachen des Chefs genau im Auge behalten. Kein Land wie Deutschland kann ohne Digitalisierung, Kriegstüchtigkeit, einen Umbau von privatem Wohnungsbetrieb, allgemeiner Mobilität und industrieller Basis langsam, aber stetig aufgeben, was vom Wohlstand früherer Generationen noch übrig ist.
Mutwille der Liberalen
Es war allein der Mutwille eines der bis dahin geräuschlos zusammenarbeitenden Ampel-Partner, der die Fortschrittskoalition zerstörte. Erste Hinweise lieferte der Bundeskanzler, der nach der erzwungenen Entlassung seines Finanzministers auf eine ganz unpolitische Art über den FDP-Chef polterte, dem er im Streit mit den Grünen so manches Mal die Flinte gehalten hatte. Unanständig, hinterlistig, unmoralisch - all die Eigenschaften, ohne die kein Politiker es bis ganz nach oben schafft, warf Scholz Lindener vor.
Zurecht, wie sich wenig später zeigte: Nicht nur die SPD und die Grünen hatten schon wochenlang zuvor allerlei Pläne für den Fall der Fälle geschmiedet. Im Zentrum stand bei allen die Überlegung, wie sich mit dem Zerbrechen des fragilen Regierungsbündnisses der drei verfeindeten Verbündeten von Anfang an eine gute Startpostion im dann anstehenden Wahlkampf sichern ließe.
Drei Reden und eine Volksbewegung
Olaf Scholz hatte drei Reden vorbereitet, Robert Habeck seine Volksbewegung #teamhabeck bereits durchgeplant. Die FDP fasste ihre Strategie im D-Day-Papier zusammen: Ein Ablaufplan, der die Regieanweisungen für die Eskalation bis zum Bruch der Fortschrittskoalition in Gestalt einer auf dem Kopf stehenden Pyramide in einfacher Sprache zusammenfasste. Impuls, Narrativ, Beginn der offenen Feldschlacht, schließlich Ampel-Aus, ein Begriff, der alles mitbringt, Unwort des Jahres zu werden.
Eine Ungeheuerlichkeit. Dass es Planungen gab, zumindest bei einem der Partner einer Regierung, deren Planungshorizont über drei Jahre hinweg die nächste Ausgabe der "Tagesschau" war, erscheint im Licht des ersten Monats ohne mehrheitsfähiges Kabinett wie eine neue Dolchstoßlegende. Verraten worden ist der Kanzler, gemeuchelt wurde der Versuch, drei widerstrebende Ideologien mit viel fehlendem Geld zu einem Zukunftsentwurf zusammenzubinden, mit dem eine langjährige Wirtschaftsnation so lange hiberniert wird, bis sie als nachhaltig neutrales Landschaftsmuseum erwacht.
Wie seit mehr als 100 Jahren nicht
Verrat, wie ihn die Nation noch niemals erlebt hat. Oder jedenfalls nicht, seit vaterlandslose Zivilisten aus der Heimat dem deutschen Heer sei im Ersten Weltkrieg das Messer in den Uniformrücken stießen. Auch die Ampel ist bis heute im Felde unbesiegt und sie wäre es auch noch ihr letztes Jahr hinweg geblieben, hätten nicht Lindner und seine Spießgesellen zum Brutus-Dolch gegriffen. "Die Politik der Ampel war nur so schlecht, weil mit der FDP halt ein Totalausfall involviert war", hat der Komödiant Marcus Mittermeier festgestellt.
Alles könnte schön sein, würden sie noch miteinander um jede Nebensächlichkeit streiten, um ihre grundlegenden Differenzen nicht austragen zu müssen. Seit dem "Schwarzer Freitag für die FDP" (Spiegel) aber ist klar: Diese FDP ist nicht regierungsfähig (Britta Haßelmann), sie war es nie und wird es den Umfragen zufolge nie wieder sein.
Die "Dark FDP" (Die Zeit) entpuppt sich als politische Kraft, die Staat, Regierung und Parteien schlimmer delegitimiert als alle Schwachkopfverbrecher zusammen. Die kleinste Partei der Ampel hat dem "besten Kanzler, den wir je gehabt haben" (Karl Lauterbach) und seinem Vize, der das Land in Fahrt gebracht hat, selbstsüchtig den Boden unter den Füßen weggezogen. Wochenlang hat die FDP die Menschen "belogen" (Zeit). Jetzt gleitet sie "ins politische Dunkel" ab.
Knausriger Zerstörer
Mit dem Rücktritt von FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai - mit nur 44 Sekunden der schnellste in der bundesrepublikanischen Geschichte - ist das nicht abgebüßt. Zu durchsichtig ist das Manöver, zu bekannt das Ritual. Im Oktober erst waren die grünen Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour abgetreten, um Hoffnungsträger Robert Habeck zu retten. Jetzt wiederholen die früheren Liberalen die Übung, allerdings so plump und hektisch, dass die Schuld am Zerbrechen einer nicht nur bei Klimaschutz und sauberer Energie erfolgreichen Regierung bis zum Wahltag an ihr kleben bleibt.
Um diesen Fleck auf der gelben Weste abzuwaschen, braucht die FDP ein offenes Schuldeingeständnis von Parteichef Christian Lindner. Warum hat der Finanzminister ein Regierungsbündnis zerstört, das wunderbar hätte weiterwursteln wie bis dahin ja auch können? Warum waren ihm die Schuldenbremse und das Grundgesetz wichtiger als die vielen gemeinsamen Projekte? Warum wurde das versprochene Klimageld nicht einfach ausgezahlt? Geld genug fehlte doch ohnehin schon. Weshalb hat das Kabinett die Transformation nicht einfach beschleunigt, bis das grüne Wirtschaftswunder selbsttragend wird?
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