Samstag, 16. November 2024

Der Schachkopf: Ein Leben als Leberwurst

Robert Habeck wollte nicht mit einem Shampoo-Hersteller in Zusammenhang gebracht werden, auch nicht als brillanter Schachkopf.

Er war es gar nicht, hat es aber auf jeden Fall überhaupt nicht so gemeint. Er war anfangs viel zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um seine kostbare Zeit damit zu verschwenden. 

Das Team Robert Habeck verwies darauf, dass der Minister die Versorgung des Landes mit Energie sichergestellt habe, eine Koalitionskrise managen musste, ein Buch zu schreiben hatte und nebenher auch noch seine Kanzlerkandidatenkampagne planen musste. Dass er selbst und persönlich einen alten Mann anzeigen würde, weil der ihn durch das Weiterleiten eines Bildes im Internet beleidigt haben sollte? Unvorstellbar.
 

Langsamer Rückzug


Der Rückzug war ein langsamer, die Fronten mussten mehrfach begradigt werden. Inzwischen ist klar: ja, Habeck hatte, zumindest im Sommer noch, Kapazitäten, bei der Vorbereitung des seit 2016 ausgetragenen "Aktionstages zur Bekämpfung von Hasspostings" zu helfen. 

Die Veranstaltung dient dem Zweck, durch demonstrative Hausbesuche bei Bürgern, die sich im Ton vergriffen haben, andere zu warnen. Anfangs richteten sich Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von Tatmitteln gegen strafbare Meinungsäußerungen. Mittlerweile kommen auch Antragsdelikte wie Beleidigung infrage, um das große Besteck auszupacken.

In der Nähe einer Shampoomarke 


Im Sommer fand ein in Bayern lebender Rentner ein Bildchen, das Robert Habeck in die Nähe einer Shampoomarke stellt, so witzig, dass er das damals gerade erst kurze Zeit geltende Hohnverbot unzulässigerweise missachtete und weiterleitete. 

Ein Fehler. Das Strafrecht sieht für öffentliche Beleidigungen, wie sie auch im Internet vorkommen, strenge Strafen vor. Besonders geschützt sind Personen, die "im öffentlichen Leben stehen". Deren Verhöhnung kann nach § 188 StGB nicht nur mit zwei, sondern sogar mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. 

Robert Habeck, der virtuos auf der Klaviatur von Verführung und Verdammung zu spielen weiß, nutzte die Chance nicht gezielt, aber strategisch geschickt. Als eine von mehr als 800 Anzeigen in diesem Jahr ging die gegen den Shampoo-Verleumder an die Staatsanwaltschaft. Dort entdeckte ein Beamter das Potenzial, das sich - nach fünf Monaten Zuwartens - beim 11. nationalen Aktionstag zur Bekämpfung von Hasspostings nutzen lassen würde. 

Narren, Clowns und Helden


Der tatverdächtige Rentner Stefan Niehoff ist nicht Elon Musk, der Habeck "Narr" nennt, an den aber kein Herankommen ist. Er ist auch nicht der "Spiegel", der den neu gewählten Präsidenten von Deutschlands wichtigstem Verbündeten aktuell als "Clown" bezeichnet. Er würde vielleicht nicht einmal einen Anwalt bei der Hand haben, wenn Beamte morgens um 6.15 Uhr mit einem Durchsuchungsbeschluss vor seiner Tür stehen, um ihm klarzumachen, dass die Anonymität des Internets keinen Schutz bietet vor einem starken Staat, der genau darauf schaut, wer wen als was betitelt.

"Nazi-Schlampe" fällt unter erlaubte Ironie wie damals der menschenverachtende Spott über "Birne" Kohl und das hämische Gelächter über Genschers Ohren. "Schachkopf" aber, eine sicherlich achtungsvoll gemeinte Anerkennung für Habecks untrügliches strategisches Talent, sich im politischen Raum zu bewegen, bedarf der Prüfung durch die zuständigen Organe, befand ein bayrischer Richter. 

Bei der Durchsuchung des mutmaßlichen Tatortes fanden sich weitere Belege für eine unzulässige Gesinnung: Die Gleichsetzung des verbrecherischen Hitler-Regimes mit den demokratischen Zuständen heute. Eine Verharmlosung, die für die Ermittler im Nachhinein den Verdacht nährt, es könne sich um Volksverhetzung handeln.

Sahnetorte auf der Krönungsmesse


Es hätte die Sahnetorte auf Habecks Krönungsmesse beim Grünen-Parteitag werden sollen, eine warme Ergänzung zur Gesprächseinladung des Klimaministers, der "mit euch, für euch" den "Raum wieder öffnen" will für  "Debatten". Der Küchentisch für die, die bereit sind, zu folgen. Die Kampfansage an andere, die Staatsorgane durch Memes delegitimieren, die allen Satirerichtlinien demonstrativ widersprechen. 

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte gehofft, "Hasskriminalität den Nährboden" zu entziehen. "Wenn die Polizei vor der Tür steht, wird jedem Täter klar, dass Hasskriminalität Konsequenzen hat", sagte sie nach dem Ende der heißen Phase des in diesem Jahr speziell als "Aktionstag gegen Antisemitismus" begangenen Hasstages. Jeder, bei dem daheim durchsucht wird, könnte verdächtig sein. Ein Signal an alle, aufzupassen, was sie sagen.

Stattdessen aber rief die behördliche Bremse für die "Spirale aus Hass und Gewalt" (Faeser) eine Welle aus Unmut und Unbotmäßigkeit hervor. Der vom Gesetzgeber nach wie vor nicht verbotene "Streisand-Effekt" sorgte umgehend für eine massenhafte Verbreitung des Shampoo-Fotos. Der fränkische Rentner Stefan Niehoff avancierte in den Kreisen derer, die Meinungsfreiheit und Demokratie schon beim geringsten Versuch der Durchsetzung einheitlicher Wahrheiten bedroht sehen, zum Helden eines Aufstandes nicht nur gegen den Minister, Kanzlerkandidaten und womöglichen neuen Bundeskanzler. Sondern gleich auch gegen einen Justizapparat, dem normalerweise die langsame Arbeit an Bagatellverfahren bis zur schnellen Einstellung vorgeworfen wird. Diesmal aber ein übereiliges und übergriffiges Vorgehen bis hin zum Missbrauch der Strafprozessordnung als außergerichtliches Straf- und Erziehungsmittel. 

PR-Desaster zum Kampagnenstart


Habecks verständlicher Versuch, nicht mit einem Haarwaschmittelhersteller in Verbindung gebracht werden zu wollen, der den Sanitätspark der Wehrmacht und Hitlers Armeen mit Imprägnermittel für Soldatenstiefel beliefert hatte, entwickelt sich zu einem PR-Desaster, gegen das Renate Künasts "Veggie-Day" von 2013 wirkt wie die erfolgreiche "Deutschlands stärkste Stimmen für Europa"-Wahlkampagne der SPD neben Volkswagens Slogan "Think Small" mit dem die Traditionsmarke schon 1960 weit in die eigene Zukunft schaute.

Nicht einmal die späten und sorgfältig geschminkten Notizen in den amtlichen Blättern können das Bild eines Ministers noch geraderücken, der im Angesicht der Gefahr einer Übernahme des Landes entweder durch Donald Trump oder durch Wladimir Putin nicht Wichtigeres zu tun hat als einen spottenden Bürger vor den Kadi zerren zu lassen. Zwar hat die amtliche Nachrichtenagentur DPA den Fall inzwischen so gründlich umgeschrieben, dass er nun doch "im Frühjahr 2024 auf X eine Bilddatei hochgeladen" haben soll, "die ein Porträtfoto Habecks zeigte". Habeck und sein "Umfeld" seien zudem "verwundert" über die "Hausdurchsuchung, falls diese allein wegen des Strafantrags erfolgt sei". Niemand hier kann für nichts, erst recht nicht Robert Habeck, derf die Rolle als Bereuer besser spielt als alle anderen: Er war es gar nicht, hat es nicht so gemeint und wenn das das Ergebnis ist, dann habe er jetzt erst davon erfahren.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Interessant, aber nicht überraschend: Wenn man bei Google
robert habeck schwachkop
eingibt, wird nichts vorgeschlagen. Das passiert nicht aus Versehen.

CCC-Aktivist und Free-Speech-Advokat Fefe verlor auch noch kein Wort über Roberts Shampooproblem.