Vor drei Jahren war Audi mit der Genderbezeichnung "Audianer_innen" noch ganz vorn, jetzt liegt das Unternehmen im Bedeutungskampf ganz hinten. |
Kinder, wie die Zeit vergeht. Noch vor drei Jahren war die Volkswagentochter Audi ganz vorn, als sie ihre Mitarbeiter wissen ließ, dass der in der Belegschaft beliebte Begriff des "Audianers" als liebevolle Umschreibung aller bei Audi Festangestellten künftig gerecht gegendert werden müsse. "Statt "Audianer" heiße es ab sofort "Audianer_innen", hieß es in der entsprechenden internen Richtlinie. Angesichts der damals noch grassierenden Corona-Pandemie ein entschiedener Schritt, um den besonderen Herausforderungen der Zeit mit klaren Signalen zu begegnen.
Audi weit vorn
Nie wieder war Audi so weit vorn, so nahe am Zeitgeist und so beispielgebend für eine ganze Generation von Unternehmenslenkern, die das Hauptaugenmerk ihrer Tätigkeit auf die entscheidenden Nebenaspekte der Wirtschaftstätigkeit legten.
Doch wie so oft: Je schneller einer läuft, desto früher stürzt er hin. Volkswagen, der Staatskonzern Niedersachsens, stolperte über die eigenen Füße, aber auch über die Entscheidung, gefragte Fahrzeuge nicht mehr herzustellen und stattdessen lieber Autos zu entwickeln, die niemand haben will. Porsche wird die Rechnung für die EU-Entscheidung zahlen, China mit Strafzöllen zu überziehen. Und Audi steht infolge der Verschärfung der Sprachregeln mit seiner "Audianer_innen"-Richtlinie am Pranger: Wie kann eine Begriff, der unverhohlen auf das diskriminierende "I-Wort" anspielt, im offiziellen Sprachgebrauch eines großen deutschen Konzerns weiterhin vorgeschrieben sein?
Der Marsch der Kulturkompanien
Die Kulturkompanien machen vor, wie sich ordentlich im Takt der Zeit marschieren lässt. Udo Lindenbergs "Sonderzug nach Pankow", im Kalten Krieg ein schelmischer Hit, mit dem der Sänger aus dem VW-Land den DDR-Oberindianer Erich Honecker um ein Date anging, fällt 40 Jahre später unter Rassismusverdacht: Der "Oberindianer" könne "diskriminierend wahrgenommen werden". Deshalb soll der offiziell als "I-Wort" umschriebene Begriff beim Liedertreffen im Berliner „Humboldt Forum“ nicht ausgesungen, sondern durch ein lange gehaltenes "i" nach "Ober" ersetzt werden.
Eine Andeutung nur, die vollumfänglich für eine neue Epoche steht. Nach N-Wort und Z-Wort nun I-Wort, nach der Entfernung sexistischer Gedichte nun die Reinigung rassistischer Lieder. Lindenberg, als schnoddriger "Panikpräsident" selbst Erfinder der "Bunten Republik Deutschland", steht unter Diskriminierungsverdacht. Lindenberg, 78 Jahre alt, steht damit vor einem deutsche, Europa- und Weltrekord: Er ist der einzige lebende Künstler, der sowohl in der kommunistischen DDR-Diktatur als auch in der freiheitlichen Meinungslenkungsgesellschaft der offenen Vielfaltsrepublik zensiert wurde.
Nach Karl May und ostdeutschen Küchenchefs, Astrid Lindgren und J.K. Rowling ist der Mann dran, der sich selbst als "kleinen Bruder von Hermann Hesse" sieht, einen Dicherkollegen, über den Alfons Pillach reimte: "Mein größter Star war Winnetou, das hat mich umgetrieben; sah alle Filme stets dazu, bin lang sein Fan geblieben. Das Leben hat mich abgeklärt, da gab's was auf die Fresse, der Winnetou ist jetzt verjährt, ich lese Hermann Hesse."
Der fesselnde Weltgeist
Einer schlimmer als der andere. "Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen / Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten", hatte Hesse vermutet, Lindi war "Gegen die Strömung " unterwegs, er mischte Blut mit Indianerversprechen und erfreute sich am Anblick der "Spießer" ringsherum.
Jetzt ist er selbst einer, überholt vom Lauf der Zeit wie die eifrigen Genderer bei Audi, deren betriebsamtliche Anspielung auf das "I-Wort" einer dringenden Revision bedarf. Mitten in der größten Krise des VW-Konzerns assoziiert das "A-Wort" Erinnerungen an die Gewaltgeschichte der Kolonisierung indigener Bevölkerungsgruppen - eine offene Diskussion der Audi-Sprachbeauftragten mit Mitarbeitern, Betriebsrat und Management ist dringend nötig.
Auch der Zeithorizont - das A-Wort lässt sich über Jahrzehnte zurückverfolgen - kann keine Entschuldigung sein. Der Wortstamm "dians" verdankt sich einen Irrtum Christoph Kolumbus’, der sich in Indien wähnte und die amerikanischen Indigenen mit dieser herabsetzenden Bezeichnung versah.
Politisch korrekte Ersatzbegriffe stehen auch für Audi ausreichend zur Verfügung: Denkbar wären Audigene, Audinwohner, Native Audicans oder - nach Gründer August Horch - First Augusts.