Landauf, landab tragen die schönsten Straßen den Namen "Platz der Einheit". |
Im Frühjahr erst startete einer jener hinterlistigen Angriffe auf die demokratische Grundordnung, die sich als Verteidigungsaktionen tarnen. Bodo Ramelow, ein westdeutscher Gewerkschafter, der im Osten Karriere als Politiker gemacht hat, sprach dem Grundgesetz seine Legitimation ab. Es müsse eine "Verfassung" daraus werden, nicht wie ein Deutschland üblich von Politikern hinter verschlossenen Türen ausgehandelt, sondern in einer "Volksabstimmung" beschlossen, versuchte der vor dem Machtverlust stehende Ministerpräsident Thüringens sich in Ost-Populismus auf Reichsbürger-Art.
Große, leere Geste
Eine Art großer, leerer Geste sollte Verschwörungstheoretikern recht geben, die seit vielen Jahren behaupten, Deutschland fehle eine Verfassung. Sie alle dürften dann, wie in Artikel 146 Grundgesetz vorgesehen, eine beschließen, sorgfältig formuliert und auf Nebenwirkungen abgeklopft. Danach, so die Hoffnung, wäre endlich Ruhe an dieser Front.
Es ist natürlich nicht dazu gekommen. Bodo Ramelow blieb mit seiner Behauptung, das Grundgesetz sei gar keine Verfassung. Andere Ministerpräsidenten versicherten, dass "von Volksabstimmungen zum Artikel 146 Grundgesetz kein einziger Ostdeutscher etwas" habe. Und man vielmehr wie immer und immer weiter daran arbeiten müsse, Ungerechtigkeiten abzubauen, statt Ungläubige davon zu überzeugen, dass es die Bundesrepublik wirklich gebe.
Der Bleikern Europas
Sie ist ja da, sie existiert ja wirklich. Sie gibt Pässe aus und sie schützt ihre Institutionen immer besser, ihre Politiker und Ehrenamtlichen. Sie kämpft gegen den Hass, um ihren Rang als Industrie- und Exportnation. Sie ist der Bleikern ganz unten im vereinigten Europa, das Schwergewicht, dass den immer wieder verrückt auseinanderstrebenden Verbund der 27 Staaten, die jeder einzelne vor allem auf seinen eigenen Vorteil bedacht sind, zusammenhält und dort bezahlt, wo am Ende einer fehlt, der das Loch in der Rechnung stopft.
Vom Ziel des Hades-Planes, mit dem eine verschwiegene Runde aus Spitzenpolitikern ein knappes Jahr nach dem Anschluss der DDR nach Artikel 23 eine weitreichende Strategie für ein deutsches Europa entworfen hatten, muss kaum mehr gesprochen werden. Dass Deutschland viele genuine Rechte nach Brüssel abtrat, erfolgte einst in der Hoffnung, über den Umweg Europa daheim kommoder regieren zu können.
Wenn eine Richtlinie der Kommissare das Tragen von Hüten vorschreibt, verschiedenfarbige Socken verlangt oder das Kaugummikauen verbietet, wären die Deutschen stets die Ersten, die einander bei Verstößen bei den Behörden melden. Den Widerstrebenden aber könnte jede Bundesregierung sagen, dass sie selbst ja auch nicht glücklich ist mit dieser oder jener Anweisung aus dem Kommissariat. Aber Befehl ist Befehl.
Geschenk an die Neuen
Die "emotionale Fremdheit", die der altlinke Westdeutsche Ramelow seinen ostdeutschen Landeskindern hatte symbolisch schenken wollen, damit sie endlich "ihre Fremdheit gegenüber dem Grundgesetz überwinden", sie wurzelt jedoch nicht nur im Akt des formalen "Beitritts", der den Osten 1990 zum integralen Teil des Westen machte.
Die Entfremdung rührt auch daher, dass die Ostdeutschen nur ein Jahr nach jenem Beitritt um Mitternacht die Erfahrung machen mussten, dass ihnen die neuen Herren einen Feiertag gestohlen hatten. Der 7. Oktober, traditionell der "Tag der Republik" war zwar schon im ersten Jahr der Einheit weggefallen. Doch weil er 1990 auf einen Sonntag fiel, bemerkte das niemand.
Nun aber, 1991, war die Empörung groß. Statt mit dem 3. Oktober einen freien Tag dazuzubekommen, fort, standen sich die verbliebenen Arbeiter und Angestellten in den neuen Ländern nun kein bisschen besser. Doch es hatte vor dem 7. Oktober passieren müssen, um zu verhindern, dass das andere, das hässliche Deutschland trotzig noch einmal Jubiläum feiert. Man durfte aber auch nicht bis zum 9. November warten, weil das Datum historisch mehrfach "vorbelastet" war, wie Kommentatoren und Historiker rechtzeitig herausgefunden hatten.
Helmut Kohl, damals Kanzler und noch nicht exkommuniziert, brauchte keine Volksabstimmung, um den 3. auszusuchen. An einem 3. Oktober hatte Albrecht der Bär sich in einer Urkunde erstmals selbst als Markgraf von Brandenburg bezeichnet, nachdem es ihm gelungen war, mit einem Völkermord an den Slawen für klare Besitzverhältnisse in Mitteldeutschland zu sorgen.
Zarenkrönung in Moskau
An einem 3. Oktober wurde die Deutsche Katharina II. in Moskau zur Zarin gekrönt, die den rechtmäßigen Herrscher zuvor weggeputscht hatte. An einem 3. Oktober annektierte Preußen das im Deutschen Krieg besetzte Königreich Hannover. An einem 3. Oktober einigen sich Kaiser Franz Joseph I. und Zar Nikolaus II. im Jagdschloss Mürzsteg, für Ruhe auf dem Balkan zu sorgen. An einem 3. Oktober wird Prinz Max von Baden erster Reichskanzler. An einem 3. Oktober beginnt die erste Kinderlandverschickung.
Ja, sagt sich Helmut Kohl leise, wir nehmen den 3. Oktober.
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