Nach Dutzenden von EU-Einigungen seit 2015 begegnet die Gemeinschaft dem anhaltenden Zustrom mit dem gleichen Rechtsbesteck wie es seinerzeit schon galt. |
Schneller "aus dem Land bringen" (Tagesschau), Kontrolle, Ordnung, Konsequenz. Wer in einem anderen Staat der EU zuerst einreist, wer kriminell wird. Wer überhaupt. Schärfere Regeln. Härtere Maßnahmen. Ausweisungen. Abweisungen. Zurückweisungen.
Als hätte die AfD nicht mehr nur ein Drittel der Sitze in einigen Landesparlamenten, sondern die Mehrheit in den staatstragenden Parteien übernommen, wetteifern Regierung und Opposition seit einigen Wochen um die schärfsten Verschärfungen und europarechtswidrigsten Lösungen für das, was vor einem knappen Jahrzehnt als "Zustrom" begann. Und seitdem nie mehr aufgehört hat.
Eine andere Welt schien möglich
Als vor wenigen Wochen Migration das große Thema war, vorübergehend und ohne Konsequenzen natürlich, konnte es das ungeübte Auge tatsächlich für einige Augenblicke den Eindruck bekommen, dass es etwas in Bewegung gekommen sei. Jeder Spitzenpolitiker, der vor eine Kamera trat, wollte nichts lieber tun als abschieben, rausdrängen, verschärfen und seinen Wählern härtere Regeln mit strengeren Gesetzen zu Füßen legen.
Als Friedensangebot für ein "und dann wählt ihr mich doch wieder". Eine andere Welt schien möglich, für einen Moment lag eine Rückkehr in Zeiten in der Luft, in der Gesetze in ihrem ursprünglichen Sinn angewendet und nicht im Nachhinein entstellend neu interpretiert wurden.
"Wir schaffen das"
Zum "Wir schaffen das" der damaligen Kanzlerin gehörte ursprünglich der Plan, dass nach Krieg und Krisen überall alle wieder nach Hause gehen. Doch weder Kriege noch Krisen endeten, oder zumindest wurde in Deutschland wenig darüber bekannt. Der Syrienkrieg, er mag vorbei sein, oder nicht, wer weiß das schon und vor allem: Wer will es wissen? Und wäre etwas zu Ende, wäre es auch gemein, jemanden nach Hause zu schicken. Nun sind sie halt da!
Neue Konflikte kamen dazu, Kriege offenbar in der Türkei, im Iran und in Somalia. Flüchtende brauchten auch gar keinen konkreten, persönlichen Grund mehr, sich nach Deutschland aufzumachen, wo offene Arme auf alle warteten. Wer kam, blieb, selbst die, deren Asylantrag abgelehnt wurde, waren dann meist schon so lange da, dass es grausam gewesen wäre, sie zurückzuschicken.
Alle wollten abschieben
Umso härter der Schock nach den Landtagswahlen in Osten, als alles anders klang. Nach neun Jahren Achselzucken bemühte sich die Bundesregierung, zumindest den Eindruck zu vermitteln, sie habe die Botschaft verstanden, die ihr Wählerinnen und Wähler seit Jahren immer verzweifelter zuzustellen versucht hatten.
Der Kanzler wollte abschieben. Die Bundesinnenministerin war ein eingeschworener Fan von Grenzkontrollen, schon immer. Die Brüsseler Überregierung eilte nach, so schnell sie langsam konnte. Irgendwie Außenlager vielleicht, und ganz schnell, hieß es. Die Grünen, die Brandmauer zwischen Barbarei und gerechter Gesellschaft, in der jeder in dem Land lebt, das er gut findet, standen einer Lösung der Migrationskrise nicht mehr prinzipiell im Wege.
Fünf verrückte Minuten
Aus historischer Perspektive wird es später aussehen wie fünf verrückte Minuten. Aus dem großen Wendemanöver, das die Kapitäne ankündigten, wurde ein "Sicherheitspäckchen", das private Taschenmesser verbot und bei der Gelegenheit gleich mehr staatliche Überwachung erlaubte.
Der Schutz von Bahnhöfen und Marktplätzen war weiterhin mehr gesetzgeberischer Mühe wert als der der Grenzen. Doch immerhin: Hält das Tempo an, mit dem die Führungsspitzen der demokratischen Parteien ihre Grundpositionen gewechselt zu haben vorgeben, werden sie die Rechts- und Linkspopulisten bis zum Herbst 2025 verbal überholt haben. An der Urne allerdings werden dann wohl die undemokratischen Konkurrenten vorn liegen.
Wendekreis des Wahnsinns
Der Wendekreis des Wahnsinns, in dem der Staatskahn versucht, den Wind wieder von hinten zu bekommen, er ist so groß wie ein Jahrzehnt lang. 2015 eröffnete Angela Merkel die Festspiele der offenen Arme, 2025 wird alles weiterhin so sein wie damals - abgesehen davon, dass die EU seitdem ein Dutzend grundsätzlicher Einigungen verkündet hat, die alles so beließen, wie es immer war. Stoisch kündigte die EU-Kommission gerade den nächsten neuen Gesetzentwurf zur Rückführung unrechtmäßig eingereister Migranten an. Diesmal werde man "den Rückführungsprozess wirksam straffen" und "unsere Handlungsfähigkeit verbessern".
Aber wirklich! Nach einem Jahrzehnt mehren sich die Zeichen, dass es eines Tages zur Rückkehr zum Versprechen kommt, dass "politisch Verfolgte Asylrecht" genießen, wie es in Art 16a GG heißt. Selbst der gute Europäer Donald Tusk, der Polen von den Rechten zurückerobert hat, glaubt schon öffentlich, dass "der Staat wieder zu hundert Prozent die Kontrolle darüber zurückgewinnen muss, wer einreist".
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