Mittwoch, 23. Oktober 2024

Postwachstum und Degrowth-Erfolge: Geld wie Heu

Bisher ist der Bau der Intel-Fabrik nur verschoben. Aber die Aussichten für das Klima stehen gut.

Es hätte hunderte Hektar wertvollsten Ackerlandes verschlungen, die raren Wasservorräte in der Region ausgezehrt und die Mieten hochgetrieben. Die Angst war groß im ostdeutschen Magdeburg, mit der Megaansiedlung des US-Konzerns Intel nicht nur Anschluss an den berühmten Schweinezyklus der weltweiten Chipindustrie zu finden. Sondern zugleich auch abgehängt zu werden von allen Bestrebungen, eine Gesellschaft aufzubauen, die endlich ohne Wachstum auskommt, genügsam im Erreichten verharrend und mit dem Blick auf andere Nationen vorwurfsvoll kopfschüttelnd.  

Ein Jahr ARD und ZDF

Die Bundesregierung hatte sich trotzdem über alle Bedenken hinweggesetzt. Für zehn Milliarden Euro, umgerechnet ein Jahresetat von ARD und ZDF, kaufte sie Intel im März 2022 als Hoffnungsträger für die deutsche Technologiewende ein. Weg von Maschinenbau und weg von der Autoherstellung. Her mit Hightech und Digitalkram. Der deutsche Chiphersteller Infineon bekam auch etwas ab, dazu Taiwans TSMC, daneben wurden hochfliegende Projekte verkündet, die darauf zielten, Deutschland auch beim Bau von Batterien und bei der Nutzung von grünem Wasserstoff genauso abhängig von auswärtigen Konzernen zu machen, wie es das Land heute schon bei allem ist, was nicht in einem Ofen gebacken oder auf einem Grill gebraten wird.

Great Expectations, wie sie Charles Dickens in seiner Geschichte des Waisenjungen Pip erzählt hat, der plötzlich von einem Mann besucht wird, der ihm mitteilt, er habe eine große Summe Geld von einem unbekannten Wohltäter erhalten habe und nun ein Gentleman werden könne. Es kommt natürlich anders. Pip verschwendet viel Geld, der Rest wird ihm weggenommen. 

Ein Drama, das die Bundesregierung rund um ihre Modernisierungspläne zum Glück vermeiden konnte. Zwar ist vom Plan der Digitalisierung des ganzen Landes als Voraussetzung für eine klimafreundliche Transformation zwei Jahre nach dem Honeymoon in Magdeburg kaum mehr etwas übrig. Aber immerhin das viele, viele Geld. 

Niemand will das Geld

Milliarden und Abermilliarden sind plötzlich da, weil sie niemand mehr will. Intel nicht, der Waferhersteller Wolfspeed nicht und auch North Volt und Cells Company sind vorerst nicht mehr interessiert an einer Beteiligung am "Mechanismus für den gerechten Übergang". Mit dem schönen Begriff "Just Transition Mechanism" hatte die EU den gesetzlich vorgeschriebenen Wechsel von der Wachstums- zur Bescheidenheitsgesellschaft in Fünf-Jahrplan-Scheiben vorantreiben wollen. Aufgrund von Bockigkeit und Managementfehlern, hatte die SPD-Politikerin Katja Mast zuletzt festgestellt, stockt die Umsetzung aber derzeit. Um wieder Schwung in die Sache zu bringen, so Mast, müsse "positiver" über den Standort geredet werden.

Doch statt richtige Managemententscheidungen entsprechend der staatlichen Planvorgaben zu treffen, boykottieren große Firmen den Aufschwung offenbar gezielt. Die Wachstumslokomotiven verschieben und vertrösten, die Aussichten Deutschlands, sich in der Weltrangliste der großen Wirtschaftsnationen wenigstens bald nicht mehr ganz hinten zu rangieren, schwächen sich ab.  Ein besseres Zeichen für den Kampf gegen den Klimawandel könnte es kaum geben. Deutschland kann aufatmen. Degrowth, lange eine Parole aus der Armenküche des Sozialismus, wird von der gesellschaftlichen Vision zum greifbaren Erleben. Postwachstum ist Realität, der Plan, nach das Zentralorgan der neuen Linkenchefin verlangte, er ist auf einmal schon mitten in der Realisierung.

Der geplagte Steuerzahler, dessen Abgaben schon lange nicht einmal mehr für den Erhalt der Infrastruktur ausreichen, weil der Bürokratie- und Verwaltungsapparat ja auch weiter ausgebaut werden muss, kann aufatmen. Einerseits spart er kräftig. Andererseits rückt der Wegfall so vieler großer Industriegebäude, für die Flächen versiegelt und zehntausende Tonnen klimaschädlicher Beton hergestellt und auf satten Schwarzerdeboden gegossen werden müssen, die Paris-Ziele von 2015 in Reichweite.

Der Schmerz sitzt tief

Noch machen nicht alle Länder mit, nicht einmal die Nachbarstaaten scheinen bereit, sich an Deutschland ein Vorbild zu nehmen, obwohl nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch die führende grüne Wirtschaftspolitikerin Katrin Göring-Eckardt und das angesehene Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" schon vor Jahren für eine Neudefinition von Wohlstand als Abwesenheit von Hunger und Not plädiert haben. Der Schmerz über die im Moment noch als bedauerliche "Verschiebung" bezeichnete Intel-Verschiebung sitzt tief, doch immerhin hat Intel nicht ganz abgesagt wie anderswo. Unverdrossen baut die Landesregierung von Sachsen-Anhalt also weiter am künftigen "Leuchtturm". 

Das Geld ist da und es muss weg. Und die Hoffnung stirbt zuletzt.


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