Dienstag, 1. Oktober 2024

Ostdeutsche Studie: Gutes Rad ist nicht teuer

Die Menschen zum Radfahren zu bewegen, auch wenn sie vielleicht gerade gar kein Ziel haben, ist dringend nötig. Mehr als 87 Prozent der 83 Millionen deutschen Fahrräder werden derzeit deutlich zu wenig bewegt.

Er gilt als der Schlüsselstein zur klimagerechten Mobilität, aber auch als das Stiefkind der Parteiprogramme bei der großen Transformation. Radfahrer müssen sich immer wieder mit Forderungen nach neuen Steuern auseinandersetzen, ihnen wird nachgesagt, dass sie die Verkehrsregeln nicht kennen oder aber absichtlich missachten und Versuche, den deutschen Schwerlastverkehr mehr als bisher mit Lastenrädern abzuwickeln, scheiterten oft schon am Wetter. Es fehlt an Radwegen, weil die zuerst einmal in Peru gebaut werden müssen. Und es fehlt an flotten, glatten Radfernautobahnen, über die Pendler morgens auch mal 70 oder 90 Kilometer zur Arbeit brausen können.

Zwei Räder statt vier

Wie aber kann das Werk doch gelingen, von dem so viel abhängt? Was braucht die Gesellschaft, um sich von den geliebten vier Rädern zu verabschieden und sich mit zwei oder drei zu bescheiden? Das Climate Watch Institut im sächsischen Grimma hat in einer neuen Studie im Auftrag des mittelständischen Fahrradreifenhersteller Caroli Tires festgestellt, dass der Weg lang, das Ziel aber keineswegs unerreichbar ist. Und verlockend: zwei statt vier Rädern "spare schon mal die Hälfte", sagt einer der Forschenden.

Auf Basis verschiedener Datenerhebungen und Umfragen, die zum Beispiel miteinbeziehen, unter welchen Umständen Menschen sich sicher genug fühlen, um aufs Rad zu steigen, haben die Wissenschaftler um Studienleiter Herbert Haase ein alltagsnahes Szenario entworfen, wie die Radbenutzungsquoten deutschlandweit gesteigert werden könnten, ohne dass die Radinfrastruktur dazu deutlich besser sein müsste als heute.

Instruktionen zur Umsetzung

Es gehe dabei nicht um einen Investitionsplan, sagt Studienleiter Haase, denn "auch wir wissen um die finanziellen Grenzen, die der Bundespolitik und der EU derzeit gesetzt sind". Das Potenzial, das Millionen Menschen bilden, die bis heute kaum oder nie mit dem Rad fahren, könne jedoch auch auf anderen Wegen gehoben werden. "Unser Ziel war es, genau solche Wege zu zeigen." 

Die Studie "How can people be forced to cycle? Instructions on options for action", veröffentlicht im Zweiradmagazin "Crankshaft & Chain", nennt vor allem politische, verwaltungstechnische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, um den Radverkehrsanteil bis 2035 zumindest zu verdreifachen. Große Neubauvorhaben etwa zu Fahrradstraßen und Fahrradwegen seien dazu nicht nötig. "Es würde vollkommen ausreichen, dass heutige Straßen, die zumeist überwiegend von Autos genutzt werden, in großem Stil umzuwidmen."

Fahrradnetz für alle

Alles an Wegen von bis zu 30 Kilometern im jeweiligen Umkreis zum Fahrradnetz zu erklären, Tempo 30 nur für Zweiräder aufheben und für Fernfahren eine barrierefreie Integration in den ÖPNV planen - aus dieser "konsequente Flächenumverteilung zu Gunsten des Radverkehrs" folge zwangsläufig eine größere Bürgerbeteiligung. "Wer daran gehindert wird, mit dem Auto zu fahren, sucht nach Alternativen und findet sie im Rad." 

Angeregt werden dazu neben Straßensperrungen und Fahrverboten in den Städten "preispolitische Maßnahmen" wie höhere Treibstoffpreise, höhere Steuern und gezielte neue Abgaben wie etwa eine Streckenmaut. Biete der Radverkehr dann auch immer noch kein "qualitativ hochwertiges und günstiges Angebot, das direkt an den öffentlichen Personenverkehr andockt", so werde er doch konkurrenzfähig auch in Bereichen, in denen viele auf der Suche nach individueller Mobilität heute noch ins Auto steigen, obwohl sie wissen, wie schwer das globale Klima darunter zu leiden hat.

Locken und zwingen

Locken, aber auch zwingen, das sind die beiden Teile der Zange, in die die CWI-Forscher Radfahrunwillige künftig nehmen wollen. Einer zunehmend alternden Gesellschaft müsse Mut gemacht werden, trotz gewisser altersbedingter Blessuren aufs Rad zu steigen. Dazu will das CWI eine "positive Fahrradkultur" entwickeln - gemeinsam mit Städten und Gemeinden sollen Fahrradlehrgänge, Fahrradfeste und Fahrradexkursionen veranstaltet werden, um noch zögernde Menschen mitzunehmen. An Material für eine erste Ausfahrt fehlt es nicht: Fast 83 Millionen Fahrräder stehen heute schon in deutschen Haushalten, etwa 87 Prozent werden allerdings kaum oder gar nicht genutzt.

Das zu ändern, sieht die CIW-Studie auch Investitionen vor. So sollen bis 2070 47.000 Kilometer Radwege neu gebaut oder saniert werden, 12.000 Kilometer sogenannter Winterwege sollen zugleich überdacht und mit seitlichen Windschutzpanelen versehen werden. Gelingt es, diesen ehrgeizigen Plan umzusetzen, rechnen die Forschenden bundesweit mit einer Steigerung des Anteils des Radverkehrs von aktuell 13 Prozent auf 73,2 Prozent.  In der Fläche zwischen weitgehend verlassenen Ortschaften etwa in Ostdeutschland könne die Zahl auch höher liegen - wenn der Gesetzgeber sich nicht scheue, die dringende Empfehlung zur Einführung fester Radverkehrszeiten umzusetzen. "Das wären etwa Tage oder auch Stunden, an denen Menschen aufgefordert wären, mit dem Rad zu fahren." 

Das Rad als Retter

Aus der Sicht von Rad- und Umweltaktivisten ist das schon lange dringend nötig. Trotz vorhandenem Fahrradpark und vielen bereits gut ausgebaute und sicheren Radwegen verursacht der Verkehr immer noch mehr Treibhausgase, als ihm nach den Pariser Klimabeschlüssen zustehen. Eine Verdreifachung des Radverkehrs würde bis zu 19 Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen, eine Versechsfachung fast 40 Millionen. 

Das wäre sogar mehr als ein allgemeines Haustierverbot auf Deutschlands Klimarechnung einzuzahlen verspricht, hat es das Wissenschaftlerteam um Herbert Haase ausgerechnet. Zum Vergleich: Die Untersagung der privaten Zucht von Haus- und Kleintieren brächte rund 18 Millionen Tonnen Einsparung im Jahr, etwa zehnmal so viel wie ein Tempolimit. Mehr Radfahren senkt den Ausstoß noch weit deutlicher.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Als hier mal ein Stück Autobahn neu gebaut wurde, konnte man es vor der Eröffnung mit dem Rad befahren. Ein kilometerlanger flacher Anstieg, den man im Auto kaum mitbekommt, ist schon recht öde. Aber mit Strom geht's vielleicht.
Vielleicht kann man auch Gaspipelines umwidmen, für schlechtes Wetter und Frost. Die werden ja bald nicht mehr gebraucht. In den großen Fernpipelines könnte man Liegerad fahren.

Hase, Du bleibst hier... hat gesagt…

Nö, die Pipelinenes sind schon für die Championzucht vergeben.

Anonym hat gesagt…

Aus meiner Erfahrung. Radfahren geht gut und macht sogar Spaß wenn es hell ist, nicht zu kalt ist und es nicht regnet. Konkret so von Mitte April bis Ende Oktober, Anfang November kann man so zur Arbeit fahren, bei Strecken von bis zu 15 km. In der restlichen Zeit und bei Regen ist es nur was für Masochisten und bei Schnee ist es gefährlich. Für diese Zeit braucht man dann öffentliche Verkehrsmittel oder ein Auto.

Anonym hat gesagt…

Richtung stadtauswärts auf der Prenzlauer Promenade bin ich mit dem Rad, bis Einmündung Rothenbachstraße, zweimal gefahren: Einmal, und nie wieder. Joseph Conrad: The horror! The horror!