Mittwoch, 2. Oktober 2024

Mit Hilfe aus den USA: Als das ZDF sein eigenes Twitter erfand

Große Ziele für eine Welt ohne Milliardärsfaschismus: Im Winter 2023 schmiedete das ZDF ehrgeizige Pläne für ein eigenes Social-Media-Portal.

Weltmännisch und cool, so kam die Meldung rüber. Wie so viele Politiker, Kunstschaffende und Aktivisti hatte auch das ZDF die Nase voll vom Milliardärsfaschismus auf X, das schon als Twitter so schrecklich gewesen war, dass etwa aufrechte Sozialdemokraten die Plattform flohen wie das Dritte Reich und lieber zu TikTok gingen. Unter Elon Musk aber entwickelte sich der Schrecken zur Hölle, das Grauen zu einer Grabeshöhle für die Wahrheit, wie sie auch das ZDF jeden Tag sendet. In Mainz fiel der Entschluss: Wir bauen uns eine eigene Plattform, auf der wir sicher und bequem Gleichgesinnte ansprechen, überzeugen und ohne Widerspruch am Fortschritt arbeiten können.

Ankündigung und Erwartung

Es brauchte nicht lange, dann waren Partner gefunden. Gemeinsam mit öffentlich-rechtlichen Anstalten aus Kanada, der Schweiz und Belgien arbeite man einem "Forschungsprojekt für offenen Dialog im Netz", teilte ZDF-Intendant Norbert Himmler stolz mit. "Die Demokratie lebt von einem offenen und fairen Dialog in der Gesellschaft", begründete er die Investition von Gebührengeldern der Beitragszahler in einen Bereich weit jenseits des Programmauftrages, "einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben".

Himmler weiß, wie eine solche Ausweitung der Kampfzone am besten verkauft wird. Man dürfe den besagten "fairen Dialog" nicht "den amerikanischen Großplattformen überlassen", übersetzte er die "medienkapitalistischen Heuschrecken"  des ARD-Framing-Manuals von 2019 in eine zeitgemäße Formulierung. Das geplanten Projekt 'Public Spaces Incubator' werde Wege aufzeigen, "wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk unabhängige und faktenbasierte Kommunikationsräume in der digitalen Welt aufbauen" könne. "Unser gemeinsames Ziel ist es, der Zunahme von Hass, Gewalt, Propaganda und Diffamierung in den sozialen Medien mit einer öffentlich-rechtlichen Alternative zu begegnen." 

Technischer Meinungsfreiheitsschutz

Schon nach etwas mehr als einem Jahr lagen die ersten Ergebnisse zu möglichen technischen Lösungen für einen erweiterten Meinungsfreiheitsschutz im Netz vor, allesamt von der gemeinnützigen Organisation New Public sorgfältig so designt, dass Nutzerinnen und Nutzer nicht mehr mühsam selbst Meinungen äußern, Kommentare verfassen oder ihre Ansichten öffentlich machen müssen. 

New Public, ein Projekt der in Washington beheimateten National Conference on Citizenship, hat dazu verschiedene spielerische Aktionsmöglichkeiten für die künftige "nicht-profitorientierte digitale Kommunikation" (ZDF) erdacht. So sollen als Ersatz für - häufig zweifelhafte oder uneindeutige - geschriebene Kommentare sogenannte "Comments Slider" zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich um simple verschiebbare Regler, mit denen Debattenteilnehmer ihre Ansichten in einem zuvor festgelegten Meinungsspektrum verdeutlichen können, ohne dazu eine Tastatur benutzen müssen.

Schieben statt Schreiben

Ergänzend kommen "Public Square Views" genannte Livestreams zum Einsatz, wie sie sich "vor allem junge Menschen" wünschen, die nach Erkenntnissen des ZDF "in Online-Räumen einfach nur zusammen sein" wollen. Dieses Grundbedürfnis befriedigen die öffentlichen Zuschauerplätze: Auf gezeigte Inhalte können die Userinnen und User mit Emojis reagieren, zudem werde es die Möglichkeit geben, an Blitzumfragen teilzunehmen. Wer das tut, werde mit der Einladung in einen Chatroom belohnt, in dem er dann einzelne Szenen des Streams kommentieren könne. Damit sei es möglich, "auf einfache, unterhaltsame und kurzlebige Weise, "Erlebnisse miteinander zu teilen und "sich am Diskurs zu beteiligen". 

Das erklärte Ziel des ZDF, die Diskussion im Netz nicht allein amerikanischen Plattformen zu überlassen, erreicht das Zweite mit Hilfe seines amerikanischen Partners New Public und dessen Team aus "researchers, engineers, designers, and community leader" zudem auch mit den "Representing Perspectives", die, wie der Name schon sagt, verhindern sollen, dass womöglich falsche Mehrheiten die Oberhand in Diskussionen gewinnen. Ein "Prototyp" für gelenkte "Gesprächsräume" weise Userinnen und User beim Schreiben von Kommentaren bestimmte Rollen zu, die "von den Redaktionen, die das jeweilige Angebot betreuen, festgelegt" würden. 

Redaktionen entscheiden über richtige Meinungen

"Dadurch kann die Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven verdeutlicht werden, und Redaktionen haben die Möglichkeit, unterrepräsentierte Perspektiven stärker zu betonen", lässt das ZDF schon einen ersten Blick in die gekämmten und geföhnten Debatten einer Zukunft zu, die ohne die "privatwirtschaftlich meist aus den USA heraus geführten Plattformen" auskommt, "die Regeln nach Gutdünken von heute auf morgen ändern können und deren Maßnahmen gegen Desinformation und Hass ebenfalls vor allem vom Gutdünken der Eigentümer abhängen" (ZDF). 

Beim ZDF wird das nicht zugelassen sein. Die öffentlich-rechtliche Alternative, an der das Forschungsprojekt "Public Spaces Incubator" aus den USA tüftelt, wird "bürgerliches Engagement und den demokratischen Diskurs im digitalen Raum abseits von Hasskommentaren und zunehmender Desinformation" ermöglichen, indem "innovative Bausteine für offene und respektvoll geführte Online-Diskussionen" bisherige Werkzeuge wie Kommentare, Gefällt-mir-Klicks und die bei X von vielen engagierten Öffentlichkeitsarbeitern so gefürchteten Community Notes so lange ersetzen, bis "sich Menschen besser verstehen und vernetzen sowie soziale Technologien kompetent verwenden, pflegen und unterhalten können".

Schon 2025 soll das Unternehmen scharf geschaltet werden. Zwei Jahre von der Idee bis zur Umsetzung wären für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein neuer Rekord. Schneller ist noch keine Totgeburt zur Welt gekommen.


2 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Haben die nicht sowas schon vor einem Jahr ins Leben gerufen und bewerben das nun wie sauer Bier?
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ZDFmitreden
ZDF startet Online-Community
13.07.2023 | 10:40
Das ZDF startet eigene Online-Community: Wer sich registriert, kann an Befragungen des Senders teilnehmen und mit der eigenen Stimme an der Gestaltung des ZDF-Angebots mitwirken.

Was ist ZDFmitreden?
ZDFmitreden ist eine Online-Community für ganz Deutschland und damit ein Bindeglied zwischen der Gesellschaft und dem Unternehmen ZDF.

Anonym hat gesagt…

National Conference on Citizenship, das stinkt auf Anhieb.
https://www.influencewatch.org/non-profit/national-conference-on-citizenship-ncoc/
The Bill and Melinda Gates Foundation, formed in 2000 by Microsoft founder Bill Gates and his then-wife, Melinda, granted NCoC a total of $1,864,810 through three grants between 2007 and 2020 ...

Noch ein paar andere solcher 'Foundations' sind am Start, es handelt sich also um Geldwäsche und 'zivilgesellschaftliche' Postenfarmen.