Mittwoch, 9. Oktober 2024

Mission Kontrolle: Friedensrichter für die Meinungsfreiheit

Lieber zu viel als zu wenig: Im Kampf gegen den Missbrauch der Meinungsfreiheit ist die neue Erfindung der Trusted Flagger ein wichtiger Baustein.

Für die Meinungsfreiheit sollte es ein entscheidender Baustein werden, ein wichtiges Stück Brandmauer, das die Menschen im Netz schützt vor irritierenden Ansichten und modernen Märchen. Die Berufung von "Trusted Flaggern", zu Deutsch so viel wie Blockwarte oder Meinungskontrolleure, folgt dabei einer Geheimdienstlogik, die deutschen Behörden im Kampf gegen den Terror gute Dienste geleistet hat.

Umgangene Tabus

Weil sie selbst im Inland nicht spionieren dürfen, vertrauten BND und MAD über Jahre hinweg ausländischen Diensten. Sie revanchierten sich für die Dienstleistung, indem sie im Gegenzug selbst  Ware heranschafften. Berühmt geworden sind die "Selektoren", nach denen deutsche Geheimdienste die Netze durchkämmten, ohne sie selbst zu kennen. Die geheime Schnüffelei wurde erst die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden bekannt. Hatte aber kaum Folgen.

So funktioniert das also. Was man selbst nicht darf, wird als Auftrag ausgeschrieben - diesmal an bürgerschaftlich engagierte Institutionen, die für ihre Arbeit bezahlt werden, sobald sie vom Digital Services Coordinator (DSC) der Bundesnetzagentur BNetzA lizenziert worden sind. Um Zensur handelt es sich dann nicht mehr, wenn einer der Mitarbeiter von "Respect!", "Correctiv" oder "HateAid" einen verdächtigen Internetkommentar an die gastgebende Plattform meldet und die den inkriminierten Inhalt umgehend löscht. 

Ohne bürokratische Hürde

Das Grundgesetz mit seinem Artikel 5, nach dem jeder das Recht hat, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten" findet seine Grenzen nicht in allgemeinen Gesetzen. Sondern im Hausrecht von Facebook, X, Instagram oder TikTok. 


Unternehmen, die die Vorwürfe der "Flagger" natürlich prüfen sollen. Doch das kostet Geld und geht die Prüfung schief, kostet es noch mehr Geld. Schneller gespart wird durch schnelles Löschen mehr Geld als die andere Möglichkeit, "illegale Inhalte, Hass und Fake News sehr schnell und ohne bürokratische Hürde" (Klaus Müller, BNetzA) zu "entfernen". (Müller).

Einhegung des Wildwuchses

Europa hat sich damit einen smarten, grundgesetzkonformen Weg geebnet, die ärgerlichen Auswüchse einer Rechtssetzung zu umfahren, die beschlossen wurde, als Internetplattformen, auf denen jeder alles schreiben kann, noch nicht einmal als Idee existierten. Vor zehn Jahren noch ein unausgegorener Vorschlag des damals neuberufenen Chefs des Bundesblogampelamtes (BBAA) im mecklenburgischen Warin, hat sich die Methode zur Einhegung des Wildwuchses an Auffassungen, Ansichten und Sichtweisen heute längst durchgesetzt.

Zwar hatte der als Netzreiniger auftretende Franzose Thierry Breton noch vor kurzem seinen Posten als EU-Kommissar verloren. Aber nicht, weil er mehr als 400 Millionen Europäern enge Aufsicht über Äußerungen androhte. Sondern weil er die Segnungen der europäischen Deutung von Meinungsfreiheit als staatsgegebenes Privileg, das jederzeit entzogen werden kann, auch auf die USA hatte ausdehnen wollen.

Spiel auf der Grundlinie

Die Grundlinie der Gemeinschaft steht. Bürgerinnen und Bürger werden penibel im Auge behalten und durch aufsehenerregende Präzedenzfälle wird dafür gesorgt, dass vor jeder öffentlichen Äußerung mögliche Konsequenzen mitbedacht werden. Für Deutschland, mit 850 Auskunftsersuchen an Apple, Google, Meta und Microsoft je 100.000 Einwohner schon zwischen 2013 und 2022 auf Platz zwei weltweit hinter den USA, ist die der Digital Service Act der EU ein Geschenk. Deutsche Politiker haben ihn mitgeschrieben und mitbeschlossen, können aber nun, wo sich die Folgen zeigen, darauf verweisen, dass Brüssel sich das ausgedacht habe und man als guter Mitgliedsstaat nun umsetzen müsse. 

Die Aufgabe zugefallen ist einem ganzen Geflecht aus grünen Freunden der Meinungsfreiheit. Ganz oben das Ministerium von Robert Habeck, darunter die vom Grünen Klaus Müller geführte Bundesnetzagentur. Müller ist kommissarisch auch Leiter der Lizenzvergabestelle DSC, die die Zensurgenehmigungen prüft und erteilt. Der erste staatliche anerkannte Trusted Flagger wird von der "Stiftung zur Förderung der Jugend" in Baden-Württemberg getragen, die von der Grünen-Politikerin Petra Densborn geführt wird. 

Wer Einspruch einlegt gegen eine nach Meldung durch die vertrauenswürdigen Meinungsfahnder erfolgte Sperrung, landet bei einer wiederum von der DSC der BNetzA "zertifizierten Streitbeilegungsstelle", die nach den Vorgaben des Digital Service Act eine Art Paralleljustiz etablieren soll. Die "User Rights" GmbH bezeichnet es als ihre "Mission", "einen angemessenen grundrechtlichen Rahmen für den Diskurs im Netz zu entwickeln". Sie bezeichnet sich als "unabhängig" und sie finanziert sich "durch Gebühren, die von den Online-Plattformen getragen werden". Die Geschäftsidee: Je mehr "illegale Inhalte, Hass und Fake News", desto mehr Meldungen, desto mehr Beschwerden, desto mehr Einsprüche, desto mehr Einnahmen.

Fallbearbeitung mit Erfolgsprämie

Die Gesamtkosten einer "Fallbearbeitung" beziffert User Rights in einer Kostenordnung auf 206 Euro in einem "einfachen Verfahren", auf 440 Euro im "durchschnittlichen" Verfahren und auf 700 Euro in einem "komplizierten" Fall. Dazu kommen bei "Leitentscheidungen" 1.500 Euro Erfolgsprämie, die "vollständig an die Sachverständigen weitergereicht" wird.

War es bisher Aufgabe von Gerichten, die Grenzen der Meinungsfreiheit zu ziehen, übernehmen das nun anonyme Friedensrichter, von User Rights "Streitschlichter" genannt. Die höchstinstanzliche Prüfungsstelle für Zensurversuche versichert, dass "bei uns immer eine Juristin oder ein Jurist entscheidet", der "ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften" besitze - mutmaßlich eine Vorgabe, die die drei Gründer des Start Ups mit Sitz in der Berliner Friedrichsstraße im Grundgesetz gefunden haben.

Geschäftszweck Meinung

Während die "Jugendstiftung" aus Baden-Württemberg, die ursprünglich hatte "Neugierde stiften, Projekte junger Menschen begleiten und innovative Programme der Jugendbildung entwickeln" wollen, nun bundesweit als Meinungsaufsicht tätig wird, prüft die "Schlichtungsstelle", ob die neu entwickelte EU-Zensurbürokratie im Zusammenspiel von staatlich finanzierten Meldegängern und vom Gesetz zu schnellen Löschungen "ohne Bürokratie" (Klaus Müller) verpflichteten Plattformen wie gewünscht funktioniert oder über das Ziel hinausschießt.

Noch steckt die "nette Idee" einer Kontrolle der Meinungsfreiheit zum Bedauern des SPD-nahen Berliner Portals RND "in den Kinderschuhen". Sie muss nun gehen lernen, durchregieren, sich im wahrsten Sinne des Wortes durch scharfe Maßnahmen Respect! verschaffen. Beabsichtigt ist nichts weniger als eine Quadratur des Kreises: Einerseits sollen unliebsame und verdächtige Äußerungen schnell und unbürokratisch ausradiert werden. Andererseits entscheiden letztlich weiterhin nur ordentliche Gerichte darüber, was im Rahmen der Grundrechte zulässig ist und was nicht.


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