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Lieber zu viel als zu wenig: Im Kampf gegen den Missbrauch der Meinungsfreiheit ist die neue Erfindung der Trusted Flagger ein wichtiger Baustein. |
Für die Meinungsfreiheit sollte es ein entscheidender Baustein werden, ein wichtiges Stück Brandmauer, das die Menschen im Netz schützt vor irritierenden Ansichten und modernen Märchen. Die Berufung von "Trusted Flaggern", zu Deutsch so viel wie Blockwarte oder Meinungskontrolleure, folgt dabei einer Geheimdienstlogik, die deutschen Behörden im Kampf gegen den Terror gute Dienste geleistet hat.
Umgangene Tabus
Weil sie selbst im Inland nicht spionieren dürfen, vertrauten BND und MAD über Jahre hinweg ausländischen Diensten. Denen ist das auch verboten, aber sie tun es selbstverständlich, aber eben geheim. Was niemand weiß, macht niemanden heiß. Der BND spioniert den Verbündeten nach, die Verbündeten den Deutschen und alle zusammen den Feinden und Gegnern. Arbeitsteilung, die nur selten öffentlich wird wie damals, als sich herausstellte, dass eine sehr befreundete US-Rregierung sicherheitshalber sogar das Telefon der Bundeskanzlerin hatte abhören lassen. Aber eine Hand wäscht die andere. Was deutsche Dienste im Inland nicht dürfen, dürfen ausländische auch nicht, aber wenn sie es tun, dann ist es zu aller Nutzen. Man handelt untereinander mit Informationen.
Und die deutschen Dienste revanchierten sich eben immer für die Dienstleistung, indem sie im Gegenzug selbst Ware heranschafften. Berühmt geworden sind die "Selektoren", nach denen deutsche Geheimdienste die Netze durchkämmten, ohne sie selbst zu kennen. Die geheime Schnüffelei wurde erst die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden bekannt. Hatte aber kaum Folgen.
So funktioniert das also. Was man selbst nicht darf, wird als Auftrag ausgeschrieben - diesmal an bürgerschaftlich engagierte Institutionen, die für ihre Arbeit bezahlt werden, sobald sie vom Digital Services Coordinator (DSC) der Bundesnetzagentur BNetzA lizenziert worden sind. Eine elegante Variante, denn sie respektiert die Vorgaben des Grundgesetzes, das staatliche Eingriffe in die Meinungsfreiheit nahezu vollkommen verbietet. Doch hier handelt es sich nicht mehr um Zensur, weil sie ausgegründet wurde. Wenn einer der Mitarbeiter von "Respect!", "Correctiv" oder "HateAid" einen verdächtigen Internetkommentar an die gastgebende Plattform meldet und die den inkriminierten Inhalt umgehend löscht, hat Vater Staat damit gar nichts zu tun.
Ohne bürokratische Hürde
Das Grundgesetz mit seinem Artikel 5, nach dem jeder das Recht hat, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten" findet seine Grenzen nicht in allgemeinen Gesetzen. Sondern im Hausrecht von Facebook, X, Instagram oder TikTok. Denen ist zuvor ausgiebig und unter Androhung von Milliardenstrafen verdeutlicht worden, was genau sich Vater Staat als ihre privaten Hausregeln vorgestellt hat. Dies darf, das nicht. Eine solche Äußerung ist zu löschen, ein solches Bild darf bis zum Beweis des Gegenteils stehenbleiben. Wiederum hat das alles nichts mit Zensur zu tun, denn der Staat regiert nicht in die Grundrechte hinein, er liefert nur Vorgaben, wie diese Grundrechte grundrechtskonform angewendet werden müssen. Wer nicht einverstanden ist, dürfte klagen. Wer sich die Mühe sparen will, lässt es.
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So sieht sie aus, die Basis eines Systems der erweiterten Meinungsfreiheit, in der private Firmen, private, aber staatlich finanzierte Prüfinstanzen und Strafverfolger Hand in Hand arbeiten, ohne die Verfassung zu missachten. Stadt und Land, Hand in Hand, aber ohne übertriebene Institutionalisierung. Die bürgerschaftlich engagierten Unternehmen, die die Vorwürfe der "Flagger" natürlich prüfen sollen, tun das aus eigener Motivation. Doch das kostet Geld und geht die Prüfung schief, kostet es noch mehr Geld. Schneller gespart wird durch schnelles Löschen mehr Geld als die andere Möglichkeit, "illegale Inhalte, Hass und Fake News sehr schnell und ohne bürokratische Hürde" (Klaus Müller, BNetzA) zu "entfernen". (Müller).
Einhegung des Wildwuchses
Europa hat sich damit einen smarten, grundgesetzkonformen Weg geebnet, die ärgerlichen Auswüchse einer Rechtssetzung zu umfahren, die beschlossen wurde, als Internetplattformen, auf denen jeder alles schreiben kann, noch nicht einmal als Idee existierten. Vor zehn Jahren noch ein unausgegorener Vorschlag des damals neuberufenen Chefs des Bundesblogampelamtes (BBAA) im mecklenburgischen Warin, hat sich die Methode zur Einhegung des Wildwuchses an Auffassungen, Ansichten und Sichtweisen heute längst durchgesetzt.
Zwar hatte der als Netzreiniger auftretende Franzose Thierry Breton noch vor kurzem seinen Posten als EU-Kommissar verloren. Aber nicht, weil er mehr als 400 Millionen Europäern enge Aufsicht über Äußerungen androhte. Sondern weil er die Segnungen der europäischen Deutung von Meinungsfreiheit als staatsgegebenes Privileg, das jederzeit entzogen werden kann, auch auf die USA hatte ausdehnen wollen. Von dort allerdings schlägt ihm hinhaltender Widerstand entgegen. X-Chef Elon Musk hat schon mehrfach Vorladungen missachtet, sich für die bei X neuerdings übliche Interpretation der freien Rede zu rechtfertigen. Umso wichtiger ist es, niedrigschwellig bei denen anzusetzen, die meinen, sie könnten wie der reichste Mann der Welt ignorieren, was die Führerinnen und Führer Europas für angemessen halten.
Spiel auf der Grundlinie
Die Grundlinie der Gemeinschaft steht. Bürgerinnen und Bürger werden penibel im Auge behalten und durch aufsehenerregende Präzedenzfälle wird dafür gesorgt, dass vor jeder öffentlichen Äußerung mögliche Konsequenzen mitbedacht werden. Für Deutschland, mit 850 Auskunftsersuchen an Apple, Google, Meta und Microsoft je 100.000 Einwohner schon zwischen 2013 und 2022 auf Platz zwei weltweit hinter den USA, ist die der Digital Service Act der EU ein Geschenk. Deutsche Politiker haben ihn mitgeschrieben und mitbeschlossen, können aber nun, wo sich die Folgen zeigen, darauf verweisen, dass Brüssel sich das ausgedacht habe und man als guter Mitgliedsstaat nun umsetzen müsse.
Die Aufgabe zugefallen ist einem ganzen Geflecht aus grünen Freunden der Meinungsfreiheit. Zivilgesellschaftliche Meldestellen für strafrechtlich relevante Hassrede sind ein Baustein für eine saubere Meinungsgesellschaft, in der ein Rädchen ins andere greift. Ganz oben ist das Ministerium von Robert Habeck, darunter die vom Grünen Klaus Müller geführte Bundesnetzagentur. Müller ist kommissarisch auch Leiter der Lizenzvergabestelle DSC, die die Zensurgenehmigungen prüft und erteilt.
Der erste staatliche anerkannte Trusted Flagger wird von der "Stiftung zur Förderung der Jugend" in Baden-Württemberg getragen, die von der Grünen-Politikerin Petra Densborn geführt wird. Die freiwillige Aufsichtsorganisation kooperiert mit der Bayerischen Staatsregierung und wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!" Sie ist keine Behörde im Sinne eines offiziellen Regierungsamtes. Aber nur ganz knapp dran vorbei.
Wer Einspruch einlegt gegen eine nach Meldung durch die vertrauenswürdigen Meinungsfahnder erfolgte Sperrung, landet bei einer wiederum von der DSC der BNetzA "zertifizierten Streitbeilegungsstelle", die nach den Vorgaben des Digital Service Act eine Art Paralleljustiz etablieren soll. Die "User Rights" GmbH bezeichnet es als ihre "Mission", "einen angemessenen grundrechtlichen Rahmen für den Diskurs im Netz zu entwickeln". Nach welchen Vorgaben, aufgrund welcher Kriterien ist wegen der erforderlichen Beinfreiheit der anonymen Prüfer nicht festgelegt. Die "Streitbeilegungsstelle", eine Art Friedensgericht, bezeichnet sich selbst als "unabhängig".
Auch sie finanziert sich "durch Gebühren, die von den Online-Plattformen getragen werden". Deren Wunsch ist das nicht, aber der Staat hat Regeln erlassen, die ihnen keine andere Wahl lassen. Die Geschäftsidee ist brillant: Je mehr "illegale Inhalte, Hass und Fake News", desto mehr Meldungen, desto mehr Beschwerden, desto mehr Einsprüche, desto mehr Einnahmen. Desto mehr Meinungsfreiheit der gekämmten, sauberen Art
Fallbearbeitung mit Erfolgsprämie
Die Gesamtkosten einer "Fallbearbeitung" beziffert User Rights in einer Kostenordnung selbst auf schmale 206 Euro in einem "einfachen Verfahren", auf 440 Euro im "durchschnittlichen" Verfahren und auf 700 Euro in einem "komplizierten" Fall. Dazu kommen bei "Leitentscheidungen" 1.500 Euro Erfolgsprämie, die "vollständig an die Sachverständigen weitergereicht" wird. Viel Brot und Arbeit für viele engagierte Experten.
War es bisher Aufgabe von Gerichten, die Grenzen der Meinungsfreiheit zu ziehen, übernehmen das nun anonyme Friedensrichter, von User Rights "Streitschlichter" genannt. Die höchstinstanzliche Prüfungsstelle für Zensurversuche versichert, dass "bei uns immer eine Juristin oder ein Jurist entscheidet", der "ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften" besitze - mutmaßlich eine Vorgabe, die die drei Gründer des Start Ups mit Sitz in der Berliner Friedrichsstraße im Grundgesetz gefunden haben.
Geschäftszweck Meinung
Während die "Jugendstiftung" aus Baden-Württemberg, die ursprünglich hatte "Neugierde stiften, Projekte junger Menschen begleiten und innovative Programme der Jugendbildung entwickeln" wollen, nun bundesweit als Meinungsaufsicht tätig wird, prüft die "Schlichtungsstelle", ob die neu entwickelte EU-Zensurbürokratie im Zusammenspiel von staatlich finanzierten Meldegängern und vom Gesetz zu schnellen Löschungen "ohne Bürokratie" (Klaus Müller) verpflichteten Plattformen wie gewünscht funktioniert oder über das Ziel hinausschießt.
Noch steckt die "nette Idee" einer Kontrolle der Meinungsfreiheit zum Bedauern des SPD-nahen Berliner Portals RND "in den Kinderschuhen". Sie muss nun gehen lernen, durchregieren, sich im wahrsten Sinne des Wortes durch scharfe Maßnahmen Respect! verschaffen. Beabsichtigt ist nichts weniger als eine Quadratur des Kreises: Einerseits sollen unliebsame und verdächtige Äußerungen schnell und unbürokratisch ausradiert werden. Andererseits entscheiden letztlich weiterhin nur ordentliche Gerichte darüber, was im Rahmen der Grundrechte zulässig ist und was nicht.
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