Freitag, 18. Oktober 2024

Meinungsfreiheitsschutz: Nicht nur sauber, sondern rein

Ein bisschen Schwund ist immer, aber prinzipiell bleibt es beim freiheitlichen Rechtsstaat.

Er stand zumindest als Pate an der Wiege der ersten Hassmeldestellen, avancierte zum Gründungsdirektor des Bundesblogampelamtes im mecklenburgischen Warin (BBAA) und gilt bis heute als einer der führenden Experten für erweiterten Meinungsfreiheitsschutz. Herrnfried Hegenzecht schaut deshalb irritiert auf die aktuelle Diskussion um die neuen, lizenzierten Meldestellen nach den Vorgaben des Digital Service Acts der EU.  

"Statt froh zu sein, dass unser freiheitlicher Rechtsstaat nicht wie in Frankreich selbst eine Zensur- und Ordnungsbehörde für Meinungen und Ansichten unterhält, wird über die neugegründeten oder ausgebauten Start Ups zur Sauberhaltung des Internets gemeckert", ärgert sich der langjährige BBAA-Chef über eine "typisch deutsche Reaktion". Eine gute Sache werde so schlecht geredet, eine europäische Idee diskreditiert. "Das allein zeigt mir schon, wie wichtig ein strenges Vorgehen gegen die ist, die in jedem Apfel eine Made finden wollen."

In einem Gastbeitrag für PPQ hat Herrnfried Hegenzecht dargelegt, wie korrekt auf die aktuellen Entwicklungen zur besseren Kontrolle und Überwachung der Stimmungen und Meinungen in der Bevölkerung geschaut werden muss. Das Versprechen, in diesem Bereich deutlich nachzuschärfen, habe vor Jahren zwar der damalige Justizminister Heiko Maas abgegeben. "Doch zum großen Glück für unser demokratisches Gemeinwesen haben auch seine Nachfolger weit über das zuständige Ministerium hinaus eingesehen, wie wichtig das Gefühl eines formierten Meinungsbildes für die Gesamtgesellschaft ist. 

Von Herrnfried Hegenzecht

Sie lernen es nicht, Sie reagieren reflexhaft, ohne Nachdenken, auf rein instinktiver Basis. Als hätten die üblen Verfehlungen der Jahre, in denen Deutschland eine Serie von Mordanschlägen als "Döner-Morde" bezeichnete, überhaupt kein schlechtes Gewissen hinterlassen, ist es heute die "Mocro-Mafia", mit der dieselben Adressen dieselben atavistischen Reflexe kitzeln. Wie in den Jahren vor der Selbstenttarnung der rechten Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) soll sein, was sein soll:  Sicherheitsbehörden und Presse lamentieren nicht mehr über die eigene Borniertheit, den Rassismus, die Vertuschung und Verdrängung bis zum  eigenen Versagen. Sondern sie bedienen einfache Vorurteile und verorten die Täter wieder so gut wie ausschließlich in einem bestimmten Umfeld.

Ja, die Trusted Flagger, die die EU  für alle Mitgliedsstaaten zur Pflicht gemacht hat, weil in den meisten der Partnerländer grundrechtliche Bedenken gegen eine umfassende staatliche Zensur sprechen, können solche meinungsleitenden Bezichtigungen weder löschen noch die Verursacher schnell und hart bestrafen. Ihnen bleibt nur, solchen oft geschickt verpackten Hass zu melden und darauf zu hoffen, dass eine von sensibilisierten Kolleg:Innen vorgenommene Überprüfung zur umgehenden unbürokratischen Löschung führt. 

Meckern und mäkeln

Typisch: Die geplante Umsetzung der EU-Verordnung, die hilft, durchzusetzen, was keine deutsche Regierung als nationales Gesetz durch den Bundestag bekommen hätte, sorgt nur in Deutschland für heftige Kontroversen. Gemäkelt wird über "schwammige Formulierungen" bei der Verbotsliste, obwohl die doch Kernstück des Konzepts sind. Ein Jammer hat eingesetzt über die zertifizierten Meldestellen, die berufen sind, über legal, illegal, irregulär oder rechtswidrig zu entscheiden.

Doch was ist das schon für ein Fortschritt! Als wir hier beim BBAA im mecklenburgischen Warin vor 15 Jahren antraten, eine Kontrollbehörde für die damals aus dem Boden schießenden und weitgehend unregulierten privaten Meinungsseiten im Netz aus dem Boden zu stampfen, schien es einer breiten Öffentlichkeit noch unerhört und grundgesetzwidrig zu sein, dass eine selbstbewusste Bundesregierung das probate Mittel des Verbots wiederentdeckt, um ihren Bürgerinnen und Bürgern zu sagen: Dies hier ist ein Verhalten, das toleriert die Gesellschaft, also wir, und dies hier, ist eines, das tolerieren wir nicht, weil das einfach nicht in Ordnung ist, bestimmte Dinge zu sagen oder zu denken, die sich gegen die Regierung richten oder gegen andere gesellschaftliche Minderheiten.

Zögerliche Ost-Kanzlerin

Es waren schwere Jahre anfangs, denn die neuen Meinungsregeln hatten lange provisorischen und vor allem auch informativen Charakter. So groß die Regierungsleistung von Angela Merkel war, die Deutschland den Atomausstieg, die Klimawende und eine nie gekannte Popularität in der Welt bescherte, so vorsichtig zeigte die Christdemokratin sich lange, wenn es um die Einschränkung von Freiheitsrechten ging. Merkel, in Hamburg geboren, aber in der DDR aufgewachsen, scheute sich, dort einzugreifen, wo Widerspruch gärte oder Menschen sich nicht einverstanden zeigten mit alternativlosen Entscheidungen.

Ein Fehler, das wissen wir heute. Noch 2014 oder 2015 wäre es ein Leichtes gewesen, die AfD zu verbieten. Selbst als wir in Warin 2018 die ersten Hassmeldestellen einrichteten, um den erweiterten Meinungsfreiheitsschutz für alle gesetzlich zu gewähren, hätte der Bund ein Problem wie das Portal twitter, heute X, gemeinsam mit Europa mit einem Federstrich lösen können: Die Kosten einer Übernahme etwa durch ARD oder ZDF oder die Bundeszentrale für Politische Bildung lagen zeitweise bei unter 20 Milliarden - gerechnet in Sondervermögen nicht einmal ein Fünftel.

Ein schwerer Weg zum Tugendgesetz

Die Einsicht war nicht da, das muss man heute leider so sagen. Als jemand, der in den zurückliegenden Monaten an der Beratung und Verabschiedung der sogenannten Giftliste für verbotene Themen und  illegale Aussagen mitgearbeitet hat, die das neue Bundestugendgesetz erst praktikabel macht, weiß ich, wie schwer der Weg war, den wir gehen mussten.

Bedenkenträger stellten sich jeder Reform in den Weg. Spitzfindig wurde gefragt, was denn daran illegal sei, wenn jemand auf Twitter über Flüchtlinge schreibe? Wie man denn jemanden belangen solle, der in einem sozialen Netzwerk ein Bild teilt, auf dem Inder Schachteln mit Hakenkreuz-Aufdruck in die Kamera halten? Und wo man hinkommen werde, wenn ein Poster, der Deutschland als "Allahs Paradies" bezeichne, wegen rassistischer Fremdenfeindlichkeit in die Illegalität abrutsche.

Für uns Beamte beim BBAA war das nie eine Frage. Ich habe meinen Mitarbeitern immer gesagt, schaut auf die DDR, schaut euch an, was damals passiert ist und warum. Viele, viele Jahre lang waren die wirtschaftlichen Zahlen dort schlecht, der Lebensstandard erreichte nie ein Level, wie es sich die fleißige und hart arbeitende Mitte der Bevölkerung verdient hatte. Die staatstragende Nationale Front hatte mutmaßlich schon ab Anfang der 80er Jahre keine Mehrheit mehr hinter sich, der Geheimdienst kämpfte mit einem beständig wachsenden Aufwand darum, Abweichler, Gegner und Zweifler zu diskreditieren und zu disziplinieren.

Bewährte Strategie

Und die Geschichte zeigt: Mit Erfolg. Bis zum Herbst 1989 konnte sich das Regime relativ unbedrängt halten, es managte seine immer wiederkehrenden Legitimationskrisen mit Hilfe von Fake News, Versprechungen und der Bezichtigung, dunkle Mächte aus dem Ausland stünden hinter jedem Kritiker und jeder Kritik. 

Heute wissen wir, dass diese Strategie nur so gut durchgreifen sein konnte, weil es der herrschenden Einheitspartei SED und ihrem treuen Staatsapparat gelungen war, die Kommunikationswege zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen weitgehend abzuschneiden. Die später als "Linkspartei" und "BSW" rehabilitierte Staatspartei hatte alle Medien und Verständigungsmethoden unter ihrer Kontrolle, abgesehen vom Kneipenstammtisch, über dem jedoch eine Drohung lag: Leise reden und nur hier.

Ein inneres Gespräch in der DDR war nur noch über Auslandssender möglich. Dadurch konnten sich gleichermaßen kritisch gesinnte Bürgerinnen und Bürger nicht darauf verständigen, dass es so nicht mehr weitergehen könne. Ja, sie konnten nicht einmal in Erfahrung bringen, in welchem Maße sie für eine wie große Minderheit oder eventuell sogar Mehrheit sprachen. 

Spürbarer Fortschritt

Aus unserer fachlichen Sicht beim BBAA ist das Meinungskontrolle per exzellence! Früh schon haben wir immer wieder auf diesen einfachen Effekt von wirklich Öffentlicher Kontrolle im Sinne einer Veröffentlichkeitskontrolle hingewiesen. Schließlich sind wir beauftragt, Ansichten und Äußerungen in Deutschland nicht über die Stränge schlagen zu lassen! 

Dass es nun endlich mit der Verabschiedung der Einführungsverordnungen zu den Trusted Flaggers durch das Tugendgesetz so weit ist, erfreut uns natürlich. Schade ist, wie bestimmte Kreise diesen spürbaren Fortschritt kaputtreden wollen. Gerade Echo, das sie damit finden, zeigt uns aber genau, wie richtig die Entscheidung war, es nicht mehr beim Vorgehen gegen strafbare Inhalte zu belassen, sondern auch rechtswidrige, fragwürdige und illegale Einträge zu regulieren.


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