Der letzte große Auftritt, vom jungen Maler Kümram nachgezeichnet: Ricarda Lang bei der "Audienz in Berlin", dem berühmten Sommergespräch im Gemeinsinnfunk. |
Es drückt von oben, es drängelt von der Site, vor dem Mund schwebt immer ein Mikrophon und zurücktreten können sie auch nicht, die Führerinnen und Führer von Parteien und Ministerien, weil jedes Zeichen von Schwäche und Unsicherheit zum Absturz in die Abgründe der Hinterbank-Hölle führt, aus denen nur ganz selten jemand lebend zurückkehrt. Die Mächtigen sind insofern so lange ohnmächtig, wie sie Macht haben. Sie könnten alles tun, können aber nicht. Und noch schlimmer: Nicht einmal sagen dürfen sie das.
Nach dem Amt ist ehrlich
So geschieht es immer wieder, dass Insignien der Zugehörigkeit zum Verwaltungsapparat der Demokratie erst abgegeben sein müssen, ehe das Selbstbild sich langsam wieder an die Realität angleichen kann. Als "Funktionsreue" beschreibt die beobachtende Politanalyse das Phänomen, das nicht nur führende Politik-Kader befallen, sondern häufig auch bei langjährigen und verdienten Prominenten aus Funk und Fernsehen zu sehen ist. So lange die Hand füttert, von der jeder weiß, dass sie auch zuschlagen kann, herrscht Stille. Erst nach geglückter Flucht in Rente und Pension wird wider den Stachel gelöckt und offen auf den Tisch gelegt, wie verdorben und innerlich verfault das System ist.
Die einen sind in dieser Abrechnungsstimmung am Ende eines langen oder auch kurzen Arbeitslebens kurz angebunden, die anderen wollen auf einen Schlag die gesamte Last loswerden, die sich ihnen beim Drahtseilakt zwischen eigenem Anspruch und Erfolgserfordernissen zunehmend drückend auf die Schultern gelegt hatte. Kevin Kühnert etwa, ein aktuelles prominentes Beispiel für das Scheitern beim Versuch, die Welt durch Interpretation zu verändern, hat seinen Rückzug ins Privatleben als Bundestagsabgeordneter nicht weitergehend kommentiert. Ricarda Lang dagegen, das grüne Gegenstück, absolviert einen Interview-Marathon, als hätte sie ihre Autobiografie schon fertig vorzuzeigen.
Die emotionale Kampfmaschine
Die emotionale Kampfmaschine der Grünen, deren Zeit an der Parteispitze beinahe damit gekrönt worden wäre, dass die einstige Alternative für Deutschland zu einer echten Volkspartei geworden wäre, ist vier Wochen nach ihrem Rücktritt als nachdenkliche Frau zu erleben, die die lange, lange Zeit abseits der Öffentlichkeit gut genutzt hat, um gründlich über sich, die Welt und die Rolle ihrer Partei darin nachzudenken. "Ab jetzt Klartext und mehr Widerstand", fordert sie von sich und ihrer Partei, nachdem die vielen Tränen getrocknet sind, die weinen musste, als es vorbei war.
Ist es doch aber nicht. Lang, bisher für tiefe Reflexionen nicht bekannt, schaut erschüttert zurück auf ihre Zeit an der Spitze der Grünen. "Manchmal verbringen wir in Berlin so viel Zeit damit, Wordings untereinander abzustimmen, dass wir dabei vergessen, ob da draußen überhaupt noch jemand versteht, was wir sagen", ist ihr im Nachhinein aufgefallen.
"Ganz viel verändern"
Wie ihr Freund Kevin Kühnert gestartet, "mit dem Anspruch, ganz viel zu verändern in diesem politischen Betrieb", wird ihr klar, dass der Betrieb sie verändert hat. Die Blase hat sie aufgesogen, sie selbst war Teil der Abschottung, gequält von der "dauernden Reibung von Vision und Wirklichkeit". Vom Anspruch, "dass Parteien nicht nur Stimmungen abbilden, sondern es auch ihre Aufgabe ist, sie zu prägen", wie sie meint, will sie nicht abgehen. Aber letztlich habe auch sie "taktiert und auf Umfragen geschielt".
Ein Fall eben dieser Funktionsreue, denn im Rückblick sieht Lang, die nach außen immer versucht hatte, den Eindruck zu vermitteln, dass ihre Partei die perfekte Antwort auf alles habe, darin "eine Krankheit dieses Betriebs". Sich selbst nimmt sie heute als jemanden, der "Dinge behauptet" habe, an die er selbst nicht glaub. "Diese Unsicherheit wird dann mit noch mehr Entschiedenheit, noch mehr Erstens-zweitens-drittens, überspielt." Bis man irgendwann wie ein Sprechroboter klinge.
Sie habe diese Momente schon gefühlt, ihre Rolle aber nicht verlassen können. Gefangen im Amt, habe sie es nicht geschafft, "viel freier und klarer" (Lang) zu sprechen wie jetzt. "Vielleicht hätte ich vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen." Eine taktische Frage, denn bei aller Wehmut, die Lang bei der Frage bewegt, was sie wohl hätte alles anders machen können, bleibt Ricarda Lang eine Tochter ihrer Erziehung als Mensch, der von seiner Partei als "wir Grüne" denkt. Statt des moralischen Zeigefingers, den sie schon auch bemerkt hat, wäre sie nun für "Humor und Souveränität".
Verlorene Mitte
Zwei Dinge, die im Grunde Antipoden zu der Partei sind, die Lang von der Besserverdienerpartei zu einer Kraft der Mitte hatte machen wollen. Ausgerechnet diese Mitte aber, "nicht gerade die Menschen, die finanziell ausgesorgt haben, auch nicht Menschen, die in Armut leben" (Lang), hat die Erziehungsversuche des grünen Spitzenpersonals als persönliche Heimsuchung wahrgenommen.
Ein Detail, das die Lang'sche Analyse noch nicht zutage gefördert hat: Die 30-Jährige sprich von "Menschen, die Angst bekommen, wenn sonntagabends die SMS aus der Kita über den Krankenstand kommt, die eine funktionierende Bahn wollen, sonst wieder aufs Auto wechseln und sich über hohe Spritpreise ärgern und die mehrere Jahre über die Anschaffung einer neuen Heizung nachdenken". Aufgefallen ist ihr das aber erst, als die CDU "Grillen muss erlaubt bleiben" auf ein Wahlplakat drucken ließ und diese obskure Forderung gesellschaftliche Resonanz hatte. "Das ist für uns ein ziemlich tragischer Befund."
Kosten kein Tabu mehr
Sie selbst hätte gern weniger über Klimaschutz geredet, dafür aber mehr "mehr über Jobs, Wachstum, soziale Sicherheit". Es war aber dann auch falsch, weil es immer noch als "Zumutung" (Lang) empfunden wurde, obwohl "er uns vor Freiheitseinschränkungen in der Zukunft" bewahre und "neue Jobs" schaffe. Wobei, das mit den Kosten ist jetzt auch kein Tabu mehr, aus der hinteren Reihe der Verantwortung sieht Ricarda Lang erstmals "Riesige Kosten. Ladesäulen, Wasserstoff- und Stromnetze müssen gebaut werden, und da fragen Bürger natürlich: Wer zahlt das eigentlich?"
Die gefürchtete schnelle Antwort hat sie bei der Hand: "Schuldenbremse reformieren" und "diejenigen, die jahrzehntelang von der Klimazerstörung profitiert haben", zur Kasse bitten.
3 Kommentare:
Sie redet halt gern. Vielleicht hofft sie auf einen Talkshow-Deal oder sie wird das deutsche Hawk-Tuah-Girl.
Eine wahrhaft imposante, gewichtige Persönlichkeit als Paradebeispiel aktuellen deutschen denkens und dichtens. Wo aber sind sie hin, jene kruppstahlharten Helden und gebärfreudigen Blonduschis, die es für die neue Kriegstüchtigkeit des Michelvolkes brauchen wird?
Kann man das Bild als Poster rausbringen? Ich habe an der Wand noch Platz neben Samantha Fox.
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