Die "Tagesschau" wurde jetzt mit dem Medienpreis "Große Suppenkelle" geehrt. |
Seit dem 26. Dezember 1952 ist die allabendliche "Tagesschau" der Ort, an dem die Deutschen zusammenfinden. Hier werden Wahrheiten verkündet, Fakten passend eingeordnet, Zusammenhänge weggekürzt und nach der guten, leichten Nachricht zum Dessert gibt es den Sport mit Weltbewegendem von Biathlon und Fußball und zum versöhnlichen Abschluss das zunehmend warme Wetter.
Deutschlands erfolgreichste Soap
Die Sendung funktioniert dabei wie jede gute Soap: Die Protagonisten, die einmal erfolgreich eingeführt wurden, bleiben für immer. Gestalten wie der Papst, wie auch immer er gerade heißt, führende Politiker aus dem In- und Ausland, Wissenschaftlernde, berühmte Verbandsvertreter, Sportler und Kulturschaffende leisten zumeist über Jahrzehnte ihren Beitrag zu den "15 Minuten Ruhm" (Andy Warhol) jeden Abend, die das Zweite Gesetz der Mediendynamik als Sendungslänge vorschreibt.
Dass die bis heute erfolgreichste Sendung der öffentlich-rechtlichen Sender jetzt im vorpommerschen Greifswald mit dem Medienpreis "Große Suppenkelle" geehrt wurde, verwundert kaum. Zwar gilt der von bürgerschaftliche engagierten Frauen und Männern ins Leben ausgelobte Preis eigentlich klassischen Soap-Formaten wie "Lindenstraße", "Rote Rosen" oder "Hartz und herzlich", doch aufgrund der Einschaltquoten und der gerade in den Zeiten von Fake News und Hasshetze gewachsenen Bedeutung der Informationssendung Nummer 1 im deutschen Fernsehen entschied die Jury sich dennoch für den Klassiker unter den deutschen Seifenopern.
Da wird Handwerk verstanden
"Die Tagesschau beweist ihrem Publikum jeden Abend, wie gut sie ihr Handwerk versteht", lobt Jury-Sprecherin Sölke Müller-Möller. Selbst die zumeist über Jahre hinweg unverändert genutzten Kulissen und das nur selten wechselnde Darstellerensemble mindere die Wirkung der Sendebemühungen kaum. "Vor der klassisch-blauen elektronischen Wand wird das Genre nicht neu definiert, aber jeder Vorabend mit Themen gefüllt, die der Redaktion am Herzen liegen."
Erklärtes Ziel ist es, nicht nur selbst über Gendern, Cancel Culture, Klima und Wärmepumpen zu sprechen, sondern darüber, wie gut die Politik die Notwendigkeit dieser und - oft in schneller Folge wechselnder - weiterer Themen in die Gesellschaft vermittelt. Die "Tagesschau" sei dabei eine große Hilfe, sagt Müller-Möller.
Oft nur knapp angerissen, ersetzen liebevoll gedrechselte Miniaturen aus Faktenteilen, Bruchstücken von Begebenheiten und bündig zusammengefassten Empfehlungen dazu, was jedermann davon meinen sollte, pointierte Erklärstücke mit allzu fachlichen Einzelheiten. "Stets spürt der Zuschauernde das Bemühen, auf verschiedene Aspekte der Themen zu verzichten und stattdessen klare Botschaften zu vermitteln."
Mehr als Information
Die Begründung der Jury des mit 52.000 Euro dotierten Suppenkelle-Preises lobt denn auch überschwänglich. "Die ,Tagesschau' ist mehr als nur Information, sie ist auch Erziehung und Unterhaltung". Auch Konkurrenzangebote wie "Heute" vom ZDF iel vorgenommen – und schon in den ersten Ausgaben bemerkenswert viel richtig gemacht. Das klassische Late-Night-Konzept mit einer Mischung aus Monologen, Einspielern und Gästen hat die Satirikerin von Anfang an so sehr gesprengt, dass ihre Show binnen kürzester Zeit eine ganz eigene Dynamik entfaltet hat, die sie im deutschen Fernsehen unverwechselbar macht.
"Gekonnt setzt die ,Tagesschau' ihr Stammensemble ein, um mit Hilfe oft ikonisch wirkender statischer Bilder von vorfahrenden Limousinen, auf flachen Podien stehenden Politiker*innen und Aufsagern von Korrespondenten, die zuweilen Tausende Kilometer vom Ereignisort entfernt stehen, an einem großen Fortsetzungsroman namens ,Gegenwart' zu schreiben", heißt es in der Laudatio des Merkel-Autobiografen Horst Hallig. Die "Tagesschau" nehme aktuelle Themen der Gesellschaft auseinander, zumeist in Form eines kurzen satirischen Monologs, den der Moderierende im Studio vorlese.
Authentisches Gepränge
Danach erfolge eine Präsentation eilig ablaufender Videoschnipsel, die zwar nichts zur Erhellung beitragen, der jeweiligen Folge aber ein authentisches Gepränge verleihen. "Die größte Stärke der Sendung ist zweifelsohne, dass es ihr gelingt, das so glaubhaft rüberzubringen, dass der weitgehend hohle Kern der Sendung unter der Menge an schnell hintereinander verabreichten vermeintlichen Informationen verschwindet."
Eine Methode, die die Redaktion in den vergangenen Jahren perfektioniert habe, ohne sich von Widerspruch beirren zu lassen. Was genau wann und warum gesendet wird, hänge oft nicht vom reinen Nachrichtenwert ab, lobt Hallig die Gesamtkomposition. Wichtiger sei häufig die Mischung, die aus gleichermaßen unterhaltsamen und wie lehrreichen Einspielfilmen bestehen solle, in denen die Redaktion mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hält, ohne sie laut trommelnd als Debattenbeitrag zu entwerten.
Als wichtigste Zutat zum Erfolgsrezept gelten die sogenannten "häufig vorkommenden Prominenten", kurz "hvP". Ihre Gesichter erst machen aus der "Tagesschau" eine Soap, die das Publikum in den Bann zieht, die unterschiedliche Charaktere gegeneinanderstellt und den Zuschauenden die Wahl ihres Kämpfers biete. Böse Protagonisten wie Trump, Putin, Xi und Weidel stehen auf der einen Seite, gelegentlich verstärkt von Erdogan, Meloni und Höcke. Gegenüber halten Heldenfiguren wie Ursula von der Leyen, Olaf Scholz, Robert Habeck und Joe Biden dagegen.
Keine Selbsthilfegruppe
"Was schnell in einer Art Selbsthilfegruppe hätte enden können, besticht durch einen hohen Grad an Sachkenntnis und Tiefgang beim Weiterentwickeln von Geschichten", sagt Sölke Müller-Möller. Das gelinge einerseits durch die Auswahl der Gäste, die häufig, aber abgesehen von Sonderlagen nicht täglich auftauchen. Andererseits aber auch durch die Erwähnung unterschiedlicher Auffassungen, von denen dann eine herausgehoben und bezeugt werden, um die Spannung zu erhalten.
"Die ,Tagesschau' ist sicherlich keine Sendung für Zuschauernde, die eine Lust auf Erkenntnisgewinn spüren", sagt Horst Hallig, "aber ganz gleich, ob es um Armut in Deutschland oder den Klimawandel geht, die Botschaft ist immer klar: Hier steht etwas Störendes, Abzulehnendes, Umstrittenes, dort jemand, der die Lösung hätte".
Die Verleihung der Große Suppenkelle solle dieses Engagement ehren und die kontinuierliche Arbeit am Format würdigen. "Dass die Sendung keine Angst davor hat, dass Zuschauern nach 15 Minuten weniger wissen als zuvor, ist eine Wohltat in einem Genre, das viel zu oft auf die schnelle Infomationsvermittlung aus ist."
3 Kommentare:
Die Große Suppenkelle (vulgo: Vortragelöffel) ist zwar seit 1826 durch Sultan Mahmud II. etwas aus der Mode gekommen bzw. genommen worden, aber an große Traditionen lässt sich gut anknüpfen.
...seit 1826 durch Sultan Mahmud II. ...
Herrlich! --- "Aber Herr, da ist kein Dschinn in der Trommel! Die graben unter uns einen Sprengtunnel!" - "Wie abergläubisch du bist, mein braver Mudschir!"
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