Mittwoch, 2. Oktober 2024

Deutsche Pronomenbewegung: Sie und er und 1000 Fragen

Machte sich immer für die Unterscheidung in nur zwei Geschlechter stark: Europas prominenteste deutsche Sozialdemokratin Katarina Barley.

Es gehört ein hartes Herz dazu, eine gepanzerte Seele und natürlich auch ein gewisses Maß an Gewissenlosigkeit, das alte Märchen von den "zwei Geschlechtern" immer wieder zu erzählen, obwohl  Wissenschaft, Publizistik und der Deutsche Fußballbund sich schon lange einig sind: Niemand weiß genau, wie viele Geschlechter es gibt. Doch dass es mehr als zwei sind, steht fest. Das deutsche Personenstandsgesetz (PStG) erlaubt seit Dezember 2018 die vier verschiedenen Angaben männlich, weiblich, ohne Angabe und divers. Das soziale Netzwerk Facebook bietet bis zu 66 zur Auswahl an und die Antidiskriminierungsmeldestelle des Bundes sprich von immer "drei" amtlichen Varianten.

Prominente Stichwortgeber

Dennoch gibt es sie, die Leugner, die Hetzer und Zweifler, die sich auf prominente Stichwortgeber wie die frühere Bundesjustizministerin Katarina Barley beziehen und sich deren fragwürdige Parolen (oben) zu eigen machen. Der Geschlechterkampf ist ein Kulturkampf geworden, in dem eine breite Mehrheit tolerant bereit ist, wertschätzend, respektvoll und nachhaltig auf die Gefühle der Mehrheit derer Rücksicht zu nehmen, die am eigenen Geschlecht zweifeln. Während eine laute Minderheit Ewiggestriger jede Gelegenheit nutzt, die queere Realität zu leugnen, bohren Aktivisten wie Lann Hornscheidt dicke Bretter, um daraus ein neues Haus für alle zu bauen.

Ein wichtiger Baustein besteht aus Pronomen, genauer gesagt Personalpronomen, die als Signalbegriffe genutzt werden, um gefühlte Geschlechtsidentitäten im Alltag durchzusetzen. Die Idee dazu kommt aus den USA, wo auch die gesamte Gender-Debatte erfunden wurde. 

Schon frühe Aktivisten dort bemerkten dabei einen schweren Mangel der englischen Sprache: Da das Idiom in den meisten Fällen weder männliche noch weibliche Zuschreibungen kennt, können Begriffe wie "Firefigther", "President" oder "Scienist" nicht wie im Deutschen durch ein Fantasiesternchen zu einer Waffe im Geschlechterkampf umgeschmiedet werden. 

In der Buchstabensuppe

Als Alternative bleibt nur die plakative Selbstbezeichnung mit Personalpronomen wie she, her oder us, wahlweise werden auch kurze, selbst ausgedachte Buchstabengruppen wie xa, pu oder lz verwendet. Im Deutschen eigentlich unnötig, doch wie jede andere Mode schwappte auch diese mit Macht in die progressive Szene, die sofort daran ging, zu den selbst angehefteten Traditionspronomen sie, er und es auch frei erfundene "Neopronomen" wie xier, dey, hen, ens und sier zu verwenden.

Wobei sich ausgerechnet diese geplante Verwendung im Alltag als schwierig herausgestellt hat. Zwar haben junge, einfallsreiche Tüftler und Innovatoren aus Niedersachsen bereits vor Monaten einen weltweiten Durchbruch mit der Erfindung eines Pronomen-Button erzielt. Doch obwohl dadurch viele Unsicherheiten, inwieweit man fragen darf und was genau man noch sagen, behoben wurden, ist die Frage der korrekten Anwendung von Fantasiepronomen weitgehend unklar.

Schuld der deutschen Sprache

Schuld ist die deutsche Sprache, die von alters her vorsieht, dass zur Ansprache ausschließlich die geschlechterneutralen Pronomen "Sie", "Du" und "ihr" benutzt werden. Geschlechtsbezogene Personalpronomen wie "er" und "sie" finden Verwendung nur als Mittel der Kommunikation in der sogenannten dritten Person: Sprechen zwei über einen anderen, dann ist der er oder sie ist sie. 
 
Sind er oder sie hingegen zugegen, sind sie Du und oder - in der distanzierten Höflichkeitsform - "Sie". Zum "Er" oder "Sie" im Sinne es geschlechterberücksichtigenden Personalpronomen würde nur gegriffen, handelte es sich bei der oder dem Betreffenden um eine Königliche Hoheit, die mit Pluralis Majestatis angesprochen wird: Von sich selbst mit "Wir". Von allen anderen mit "Ihr" oder "Eure".

Grammatikalische und semantische Hürden, die sich bisher einer weiten und so wichtigen Verbreitung der vielen, vielen Neopronomen in den Weg legen. Das Pronomen "xier" wurde bereits vor 15 Jahren von Illi Anna Heger erfunden und in einem jahrelangen aufwendigen Prozess mit einer ganzen Herde von Possessivpronomen wie xiesa, xiese, xies und den zugehörigen Artikeln und Relativpronomen dier/dies/diem/dien/dust umgeben. Längst ließen sich damit Fernsehsendungen, Show und Filme auf Deutsch produzieren, die auf Untertitelung nicht verzichten könnten. 

Kaum Anwendungsmöglichkeiten

Doch obwohl die wegweisende deutsche Sprachinnovation den Anspruch hat, komplett geschlechtslos zu sein, um damit theoretisch jede:r/s angesprochen werden kann, dessen Geschlecht man nicht weiß oder der sich vielleicht nicht mit all den bekannten Pronomen identifizieren kann, wird die Möglichkeit kaum genutzt.

Immer wieder gibt es aufklärende Beiträge engagierter Medienarbeiter, die vorgeben  zu erklären "wie man Neopronomen richtig nutzt". Doch nicht nur dem Fantasiewort "dey", das ebenso wie "xier" über ein umfangreiches und schwer verständliches Buchstabensystem um sich herum verfügt, ist nicht alltagstauglich, obwohl es genderneutral zu sein vorgibt.

Bei "dey" wird die Endung -e an Wörter geklebt, die sonst in der maskulinen Form gewesen wären. Doch bei der Verwendung fällt auf: Auch "dey" erlaubt das Reden über andere, die abwesend sind. Nicht aber deren direkte Ansprache. Es fehlt auch hier an Lebenssituationen, die zur Sprache passen. So wie niemand jemanden jemals mit "er" oder "sie" anspricht, tun es weite Teile der Bevölkerung auch nicht mit ens, dey, plups und schmotz, so dass große Teile der Arbeit der agilen deutschen Pronomenbewegung gar nicht auf fruchtbaren Boden fallen können.


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Beider Geschlechter"? Ich bin für zügigen Parteiausschluß!

tux0r hat gesagt…

Wieso spricht Er Uns nicht mit Ihr an?

Anonym hat gesagt…

Krankenschwesternplural: Na, wie haben wir denn geschlafen? - Ich wüsste nicht, dass ...

Anonym hat gesagt…

Pluralis Majestatis: Wir, Otto, von Gottes Gnaden Markgraf von Brandenburg, haben nach dem Rat unserer Getreuen das Land ... geteilt ... (Die erste urkundliche Erwähnung der Heldenstadt Hoyerswerda, auf Latein allerdings - Nos, Otto, Dei gratiae ...)

Anonym hat gesagt…

Ganz genau! Der die Höflichkeitsform nicht verdienende Pöbel wird so angeredet, wie er... ähm... xeros..? ähm... egal... es verdient.

Apropo... "egal" und "nichtsnutz" sind doch an sich auch schöne Pronomen.