Montag, 7. Oktober 2024

75 Jahre DDR: Die Unsterbliche

Vieles aus der DDR hat überlebt, das Meiste aber ist nicht auf den ersten Blick erkennbar.
 
75 Jahre DDR, 35 Jahre Umsturz im Osten und mitten in der dritten Westalgiewelle Kaufreue auf allen Kanälen. Der Kanzler fordert, die "Leistungen" (Olaf Scholz) der Ostdeutschen endlich anzuerkennen. Die westdeutschen Medien wettern über fehlende Anpassung und Assimilation. Dabei waren es die Wählerinnen und Wähler im Osten, die die Linke, über Jahrzehnte Lautsprecher der Beigetretenen, in den Orkus der Geschichte verbannt haben.

Der letzte Festakt

Zeichen einer Angleichung, die am 7. Oktober 1989 nicht zu erahnen war. Als die Nomenklatura der DDR im "Palast der Republik" zusammenkam, um den sogenannten "Republikgeburtstag" zu feiern, ahnten weder die führenden Genossen noch ihre Untertanen, dass es der letzte Festakt aus diesem Anlass und an diesem Ort sein würde. Die neue Herrschaft verlegte den Einheitstag auf den 3. Oktober, um dem nächsten 7. zuvorzukommen. Der Palast wurde eilig abgerissen. Die Funktionäre landeten im Gefängnis, im Exil oder zumindest im gesellschaftlichen Abseits.

Zuverlässig bespielt die westdeutsche Politik die politische Bühne seitdem weitgehend allein. Es sind westdeutsche Sender, Zeitungen und Zeitschriften, die zumindest bei Gelegenheit den Puls des Ostens fühlen. Westdeutsche Wissenschaftler befragen den in den angehängten Landesteilen verbliebenen Bevölkerungsteil und deuten dessen Angaben. Gelegentlich gibt es Lob für Anstrengungen, die stoisch erduldeten Zurücksetzungen und die Einsicht in die Notwendigkeit, das ostdeutsch-landmannschaftliche nun mal langsam hinter sich zu lassen.

Rehabilitierung der Diktatur

Währenddessen rehabilitieren politische Verantwortungsträger die unselige DDR-Diktatur nach Kräften. Schon lange ist der Sozialismus keine schlechte Idee mehr, sondern ein Menschenversuch, der beim nächsten Mal einfach besser gemacht werden muss. Bespitzelung der Bürgerinnen und Bürger, die Unterdrückung abweichender Meinungen, auch wenn sie nicht strafbar sind, und der Aufbau einer umfassenden Bürokratie zur Beobachtung von verdächtigen gesellschaftlichen Strukturen - langsam, aber umso beharrlicher robbt sich der freiheitliche Staat auf ein Gelände vor, das ein deutsches Staatswesen zuletzt vor 35 Jahren zu intensiv beackert hat. 
 
Diesmal ist alles gut gemeint. Diesmal will niemand jemandem am Zeug flicken. Diesmal darf der Bürger sicher sein, dass alles zu seinem Besten geschieht. Diesmal wird die Planwirtschaft ihre Überlegenheit beweisen.

Sehnsucht der Westalgiker

Die Älteren sehen die Parallelen. Die Generation in Ost und West, die selbst keine Erfahrungen mit einem obrigkeitlichen Staat hat, hält die übergriffige Bürokratie der Meldegänger, Verfassungsschützer, Staatsschutzabteilungen und regierungsamtlich bestallten Meinungsfreiheitsaufseher für normal. Deutschland Ost und Deutschland West streben an dieser Stelle auseinander.
 
Westalgiker sehnen sich zurück nach der Zeit, als ihr Staat noch der Bonner war, gelenkt und geleitet von alten weißen Männern mit der Lebenserfahrung eines verlorenen Krieges und eines gelungenen Wiederaufbaus. Ostalgiker müssen sich für die von Westdeutschen gegründete und bis heute überwiegend geführte AfD verantworten - und zudem dafür, mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht nun auch noch einer ausgewiesenen Kommunistin folgen zu wollen.

Undankbare Neubürger

Undankbarkeit wird da sichtbar, Undankbarkeit, die nach dem Vertrauen in Institutionen und Medien droht, auch das "einheitliche Parteiensystem in Deutschland " (FAZ) zu zerstören. Obwohl die "blühenden Landschaften" des Helmut Kohl nach Dutzenden Bundesgartenschauen längst sprießen, droht die Erwartung enttäuscht zu werden, der Osten werde automatisch Westen werden, wenn er nur erst ähnlich wohlhabend geworden sei. Erst seit kurzem und nur aufgrund einiger weniger Großansiedlungen wächst die Wirtschaft im Osten rechnerisch schneller als im Westen, der seit fast zwei Jahren schrumpft. 
 
Die Arbeitslosigkeit liegt immer noch deutlich höher, die Einkommen sind niedriger, die Vermögen gering, die Erbschaften bescheiden. Aber dass nur vier Prozent der Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte der Großunternehmen aus dem Osten stammen, nur acht Prozent der großen Namen im Mediengeschäft und nur zwei Prozent der Richter, das hat sich der Osten selbst zuzuschreiben. Seine Bockigkeit steht der finalen Integration im Wege, sein Dauerfrust und sein Misstrauen den demokratischen Institutionen gegenüber hindern ihn daran, vom Beitrittsgebiet zum integralen Bestandteil des einigen Vaterlands zu werden.

Der Westen leidet mit

Der alte Westen leidet mit am Fremdeln der Nochnichtlängerhierlebenden mit dem Gefäß, das sie so großmütig aufgenommen hat. "Ein Teil von ihnen versteht darunter nicht demokratische Verfahren, den Ausgleich von Interessen und den Schutz von Minderheiten, sondern die unmittelbare Erfüllung Forderungen, die man selbst als die richtigen ansieht", fühlt die FAZ den Puls der Ossis, jener unbekannten Wesen, die "nach den Turbulenzen der Wendejahre wenig Neigung haben, sich den neuen Krisen und Herausforderungen zu stellen". So seien man dann "gegen den Staat, von dem man zu gleich alles erwartet".
 
Zuallererst ist das allerdings, in Ruhe gelassen zu werden - eine Gnade, die keine Regierung gewähren kann, die ihre Legitimation nicht aus dem Bemühen zieht, unauffällig dafür zu sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger für sich selbst entscheiden können, sondern mit dem Anspruch angetreten ist, alles zu planen, zu regeln und zu organisieren, nicht nur für das eigene Land, sondern gleich für die ganze Welt.

Zweifel wiegen schwerer

Zweifel wiegen angesichts dessen schwerer als Hetze und Hass. Zweifel unterminieren das Vertrauen, Zweifel befeuern "antidemokratische Entwicklungen", die in Ostdeutschland weitaus weniger verbreitet sind als in zahlreichen europäischen Nachbarstaaten, aber doch weiter als in den Wohlstandshochburgen Westdeutschlands, deren Weltsicht ungeachtet dessen als die normale und angemessene gilt.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Social Media in der DDR waren die Leserbriefseiten der zugelassenen Organe, wo etwa in der FF Dabei über das rechte Maß der neumodischen Videoeffekte im Kessel Buntes philosophiert wurde. Das war noch Demokratie.

Anonym hat gesagt…

FF Dabei - zur Serie "Zur See" gefiel sich so eine Napfsülze darin, in einem Lesebrief zu blödeln, manches sei doch sehr dick aufgetragen, denn auch ein Schiff sei ein ordentlicher sozialistischer Großbetrieb ...

(Übrigens enthält der heutige "DDR-Leberkäse" ein Prozent mehr Protein als Fett - sehr gut zum Muskelaufbau - also, mindestens 50/50 ... )