Sonntag, 1. September 2024

Wider die Ziegenficker: Wohin mit den Menschen von gestern?

Jan Böhmermanns innigster Wunsch, allerdings plädiert der Meinungsführer der Hassrepublik dafür, mehr als eine Mauer zu bauen.

Bundesklimawirtschaftsminister Robert Habeck hatte noch kein öffentliches Bad in einem "Meer aus Trauer, Zorn, Ohnmacht und Wut" genommen, die Bundesregierung als Ganzes noch entschieden, dass es nun Zeit für die ersten Remigrierungen sei. Doch während Hauptstadtreporter noch mühsam versuchten, ihren moralischen Kompass möglich umgehend auf die neuen Koordinaten einzustellen und der Jubel aus der falschen Ecke nun aus der richtigen kam, hatte einer seinen Hass auf das alles bereits fertig kanalisiert. Der Hohepriester sprach. Der Philosoph des wunden Westens. Der Leidensmann mit der eigenen Produktionsgesellschaft.

Ein menschgewordenes Thermometer

Jan Böhmermann, ein menschgewordenes Thermometer für das Ausmaß der Zerrüttung der Gesellschaft und des Zerfalls aller Werte, legte in der "Zeit" einen Text vor, der ihm zu Ehren gereicht. Niemals seit Bothos Strauss' "Anschwellendem Bocksgesang" ist Deutschland als Ganzes so zutreffend beschrieben worden. Kein anderer Denker hat je besser bewiesen, dass Heiner Müllers Erkenntnis, dass zehn Deutsche natürlich dümmer seien als fünf, gar nicht allgemeingültig ist. Manchmal reicht auch einer, das zeigt das mächtige Traktat "Gesellschaft im Wandel: Hier spricht Jan Böhmermann", das mitten ins Wahlkampffinale platzte wie eine vegane Bockwurst ins ampelbunte Sektfrühstück im Berliner "Borchardts". 

Wer in Thüringen und Sachsen jetzt noch nicht überzeugt war, dass die Verachtung, die ihm und seinen Nachbarn entgegenschlägt, gar nicht so gemeint ist, konnte nun keinen Zweifel mehr haben. Und sich sicher sein, dass es überhaupt nicht darauf ankommt, wo er sein Wahlkreuzchen macht. Es wird in den Augen der Böhmermanns immer falsch sein. Oder nicht richtig. Oder nicht richtig genug.

Böhmermann ist einer derjenigen, die Strauß als die beschrieb, die "vor der freien Gesellschaft, vor dem Großen und Ganzen, Scheu empfinden". Hielt sich der Fernsehstar bisher noch Einzelne, denen er mit einem unnachahmlichen Talent für Bezüge aus den Abgründen der Gosse "Ziegenfickerei", "Faschismus" und "Scheißesein" andichtete, so trifft sein Zorn jetzt alle, die nicht wie er sind, nicht wie er leben, nicht wie er denken und nicht glauben wollen, was er glaubt. 

Hamburger Kampfgedicht

Böhmermanns Hamburger Kampfgedicht ist ein Aufruf zur Ausgrenzung aller, die nicht mehr mitkommen. Ein Appell, die zurückzulassen, denen das alles zu schnell geht. Und ein Plädoyer dafür, sich beim Vorwärtsschreiten zur großen Transformation auch nicht aufhalten zu lassen von Mehrheiten, Demokratie und Rechtsstaat. "Menschen von gestern", so nennt er die, in den kommunistischen Diktaturen als "Ewiggestrige" verfolgt wurden - ein Begriff, den Kevin Kühnert schon vor seinem Aufstieg an die Verwaltungsspitze der SPD aus der Mottenkiste gegraben und reanimiert hatte. Der dem früheren SPD-Mitglied Jan Böhmermann aber nicht reicht.

Was er meint, sind nicht Kulaken, Privatbesitzfetischisten und Wettbewerbsgläubige. Der 43-Jährige geht weiter, er schneidet tiefer ins Fleisch der verrotteten pluralistischen Gesellschaft. Keine Gnade verdient haben  - "so lieb wir sie auch haben" - alle, dies einen "neuen, pragmatischen, zukunftsfähigen Ausgrenzungskategorien" entsprechen. Man erkennt sie leicht, die Menschen von gestern, weil sie "gedankenstochernd an zerbrochenen Erklärmodellen kleben und vergeblich versuchen, sich und anderen aus ihren überkommenen Annahmen der Welt, aus vermeintlichen Gewissheiten und wenigen Gegenwartspuzzleteilen ein vollständiges Bild des großen Ganzen zusammenzusetzen". Das kann nicht klappen. Denn die Wahrheit hat Jan Böhmermann gepachtet, der weise weiße Mann vom ZDF.

An allem schuld

Dem sind auf der Suche nach der gesellschaftlichen Gruppe, die "an allem schuld" sein soll, jene eingefallen, "die verlernt (oder nie gelernt) haben, so zu denken und zu reden, dass sich aus ihren Gedanken und Worten wirksames Handeln ergeben kann". 

Statt Lösungen produzierte sie Gelaber, Gebete, Beschwörungsformeln, Meinungskolumnen, Sommerinterviews, Zaubersprüche - wer da nicht an die Bundesregierung denkt, ab Friedrich Merz und die Beschwichtigungsfabriken in den Parteizentralen. Böhmermann nicht. Er hat Leute im Sinn, die alles auf eine "komplizierter gewordene Welt" schieben und sich "in Projektionen, Selbstentschuldigungen, Ablenkungsdebatten" flüchten.

Mit denen muss Schluss sein, "nicht mit Gewalt, nein, wir müssen grausamer sein", schlägt Böhmermann vor, der in der intellektuellen Überlegenheit des Wir, von dem spricht, wenn er sich selbst meint, den großen Trumpf der neuen Spaltungsbewegung sieht.

 "Wir müssen sie so oft und wo immer es geht an die Grenzen ihrer intellektuellen, politischen und moralischen Kapazität bringen, bis sie uns entweder eines Tages auf unserer Seite des Grabens als Besiegte die Hand zur Versöhnung reichen oder sich selbst zerreißen wie Rumpelstilzchen!"

Der neue Mensch, schon wieder

Die Bockwurst platzt, Rumpelstilzchen zerreißt es, die "gegenwärtig größte Bedrohung für unsere Welt, unser friedliches Zusammenleben und unsere Zukunft", sie ist Geschichte. Der neue Mensch tritt wieder einmal an die Stelle des Untermenschen von gestern, der seien "systematische Ausgrenzung im Einklang mit Grundgesetz und Menschenwürde" dank seiner Dumpfheit, seines beschränkten Horizonts und seiner auf die Funktion des einen Steuer- und Rundfunkgebührenzahler begrenzten Funktion nichts entgegenzusetzen hat. 

Stehen erst einmal die "wirksamen Kategorien" fest, die der "Satiriker" demnächst erfinden will, um die "Auszugrenzenden" zu finden, geht alles ganz schnell. Freigang. Haft. Lager. Bewährung. Wer es schafft, soll sich, die regeln werden großzügig sein, aus der Gestrigkeit "Herausstranszendieren" (Böhmermann) dürfen.

So ist es ja nicht, dass nicht jeder die Chance bekäme, wie Jan Böhmermann zu werden. Dessen Ruf zum Kampf gegen das, was heute noch die gesellschaftliche oder auuch "hart arbeitende" (Scholz) Mitte und Mehrheit ist, in einem historischen Augenblick erschallt, in dem das, was Böhmermann für die Zukunft hält, vor aller Augen zusammenfällt. Die offenen Arme. Die Willkommenkultur. Das Recht, ein Messer zu tragen, um beim Wandern eine Wurst zu schälen oder ein Böhmermann-Bildnis zu schnitzen. Das Klimakleben. Die Sehnsucht nach Bestrafung durch Erziehungssteuern. Die inklusive Sprache, die ewige Gängelei, das Tempolimit als ultimative Antwort auf die endgültige Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest.

Es wird verschlungen von der "Wirklichkeit, die uns umzingelt" (Robert Habeck). Das Jetzt gewinnt, der Traum vom Menschen von Morgen, er vergeht wie immer, unbetrauert. 



6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wenn Böhmermann einer dieser neuen Menschen ist, dann ist der neue Mensch ein weiteres Mal gescheitert.

Anonym hat gesagt…

Ich glaube nicht das dieser Artikel die Wahlen beeinflusst. Wer liest schon so ein Fischblatt wie die "Zeit".

Anonym hat gesagt…

Großartiges Essay. Umso schlimmer, dass dem großen Intellektuellen Böhmermann die eigenen Leute in den Rücken fallen. solche wie Jochen Bittner

Anonym hat gesagt…

Bittner vs Böhmermann - Ein Aaschloch schimpft das andere Analöffnung.

Anonym hat gesagt…

Ich glaube nicht das dieser Artikel die Wahlen beeinflusst. Wer liest ...
Ich glaube nichd, das dise Rechtschreibung der Sache dinlich is ...

Anonym hat gesagt…

Mauer ist gut: https://www.youtube.com/watch?v=7ZCS5-7LOaw