Sonntag, 29. September 2024

Teure Klimazweifel: Je schlimmer, desto besser

Die Dekarbonisierung der Industrie in Deutschland ist keine Einbahnstraße.

Für Herbert Haase sind steigende Preise der wichtigste Knebel, um den Klimaschutz in allen Bereichen durchzusetzen. Zwar stöhnten die Bürgerinnen und Bürger oft und laut über zusätzliche Belastungen, nicht zuletzt die Energiekrise habe aber gezeigt, dass die Mehrheit bereit sei, jeden Preis zu bezahlen, der für Energie in Rechnung gestellt werde. Der Chef des Climate Watch Institutes (CWI) im sächsischen Grimma ist sich sicher, dass diese Bereitschaft steige, je nachdrücklicher die Einsicht hergestellt werde, dass jede Investition in Energiewende- und Energieausstieg sich spätestens in der nächsten oder übernächsten Generation rentiert.  

 
Deutschland war einmal Klimaweltmeister, ein leuchtendes Beispiel für den Rest der Welt, das mit EEG-Umlage, Atomausstieg und den höchsten Strompreisen aller Industriestaaten dafür sorgte, dass in nah und fern nachgedacht wurde, wie der Klimavorsprung der Deutschen eingeholt wereden könnte. Als Gründungschef des CWI ist Herbert Haase einer der visionären Vordenker der Transformation auf allen Ebenen, für dessen Erfolg er vor allem den verlässlich steigenden CO₂-Preis verantwortlich macht. 

"Je höher das Angebot, desto reizvoller die Ersparnis", sagt Haase über den nötigen Anreiz zur Bereitschaft, finanzielle Reserven zu mobilisieren, damit auch kommende Generationen noch eine lebenswerte Erde vorfinden. Der Staat als potentester Investor müsse dabei mit klarer Haltung voranschreiten und sein Kapital in Wasserstoffwirtschaft, kollektive Mobilität und eine Wirtschaft stekcen, die gute Jobs auch ohne Wachstum sichere. "ich glaube fest daran, dass Bürgerinnen und Bürgern dann mitziehen, ohne immer gleich danach zu fragen, was für sie herausspringt."

Herr Haase, die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Menschheit ist ein Ziel, das uns alle umtreibt, umtreiben muss. Zugleich herrschen wegen der Zumutungen, die das für viele mitz sich bringt, aber auch Ängste: Werde ich den CO₂-Ausstoß meines Hauses senken können? Werde ich das Geld haben, obwohl das eine der wichtigsten Aufgaben im Klimaschutz ist? Was wird, wenn mein gutbezahlter Job im Stahlwerk wegfällt, wenn ich kein Auto mehr, habe um zur Schicht zu kommen? Wieso sehen viele Menschen die anstehenden Aufgaben so negativ?

Haase: Unser CWI-Energiewendebarometer zeigt, dass noch nicht alle Blütenträume reifen, das ist richtig. Aber der Wunsch der Bürger, zur Energiewende beitragen zu dürfen, der ist nach wie vor riesig.  Rund 90 Prozent sagen uns, dass sie mitmachen wollen, auch wenn es etwas mehr kostet. Steigende Preise sind allerdings eine Voraussetzung dafür. 

Nur wer sich Dinge, die er nicht  braucht, nicht leisten kann, verzichtet verlässlich auf unnütze Anschaffungen. Wir haben das 2022 gesehen, als die Energiepreise richtig hoch waren. Das hat Millionen Haushalte motiviert, in neue Heizungen, Dämmung und niedrigere Raumtemperaturen zu investieren. Dafür wurde an anderer Stelle gespart, dort, wo Konsum ohnehin überwiegend Schaden anrichtet.

Aber ein Drittel der Haushalte sagt, sie hätten Probleme, sich die Energiewende leisten zu können. Was müssen wir tun, damit mehr Menschen richtig mitziehen?

Haase: Wenn wir das wüssten. Aber so einfach ist es nicht. Sehen Sie, sogenannte Balkonkraftwerke haben sich viele zugelegt, weil die billig sind und nach bestimmten Berechnungen etws einbringen. das ist aber eben wenig, gebündelt würde das Geld in Großanlagen viel mehr bringen. Aber das kommt der deutsche Knauser durch. Man orientiert sich an Freunden und Nachbarn, obwohl die wirtschaftlichen Aspekte zu vernachlässigen sind. 

Aber so lange für viele Nutzer Kosten­einsparungen der wichtigste Grund für Investitionen in den Energieausstieg sind und nicht der Klimawandel, hat der Staat als Treiber der Entwicklung kaum Möglichkeiten, Druck auf die Umsetzung zu machen. Und dann sind da noch die Kräfte, die Zweifel an der Rentabilität von Maßnahmen schüren. Gegen die müssenw ir klare Kante zeigen, ihre Berechnungen als subjektive Wahrnehmung enttarnen und dafür sorgen, dass Energiepreise weiter steigen. Das ist der sicherste Weg, Menschen zum Umstieg zu motivieren.

Aber wenn der Strompreis im Gleichschritt mit dem Gaspreis steigt, oder noch stärken, ist es dann nicht vergebene Liebesmüh, auf einen Umstiegseffekt zu hoffen?

Haase: Unsere Daten zeigen in der Tat, dass bei einer Mehryahl der Haushalte eine hohe Handlungsbereitschaft existiert, wenn die Preise drastisch steigen. Denken Sie nur an die yeit, als Hunderttausende auf Teelichöfen vertraut haben!  Ökonomisch ein einziger Unsinn, aber als die Haushalte einen hohen Kostendruck spürten, rechnete niemand mehr nach. Man nahm alles, was sich als Alternative anbot: Winzige Solaranlagen am Balkon, oft in unmöglichem Winkel aufgestellt. Windstromanlagen, Batterien aus dem Campingbereich.

Insbesondere auf dem Land, wo die Menschen in eigenen Häusern leben und mehr individuelle Möglichkeiten haben, etwas zu tun, wurde gehandelt. meist ohne Sinn und Verstand, aber man holte sich das Gefühl zurück, selbstbestimmt reagieren zu können. Wer erst einmal so weit ist, der schaut nicht mehr so genau, welche Anlagen oder Maßnahmen sich lohnen und welche nicht.

Die Politik, Medien, die Wissenschaft, alle werben nun schon seit vielen Jahren dafür, dass alles schneller gehen und wirksamer sein muss. Doch macht man einen Strich darunter, sehen wir, dass mit viel Aufwand wenig wirklicher Effekt erzielt wird. Was muss geschehen, damit sich der Wille, die Klimaziele zu erreichen, in gezieltes gesamtgesellschaftlcihes Handeln übersetzt?

Haase: Am Ende ist es eine Frage der Preise. Je höher, desto stärker entfaltet sich der Handlungsdruck. Aus wissenschaftlicher Sicht sind wir dann schnell beim CO₂-Preis, der nun zwar wieder schneller steigt und ungedämpft, weil die Einnahmen zum Glück nicht für ein kontraproduktives Klimageld ausgegeben werden. Aber das reicht eben noch nicht. 

Psychologisch gesehen ist ein allmählicher Ansteig kontraproduktiv. Er schockiert nicht, sondern lädt zur Gewöhnung ein. So lässt sich natürlich ekine Umgewöhnung oder Umerziehung ereeichen. Dieser kontinuierliche Anstieg ist schädlich für die Sache, denn die nötigen Anreize zur Beteiligung an der Energiewende gehen vollkommen verloren. Der effizienteste Weg, jeden Einzelnen zum Mitmachen  zu bewegen, ist ein schnell und deutlich steigender CO₂-Preis, der auf allen Ebenen eingezogen werden muss, damit nicht jeder für sich entscheiden muss, ob er mitmachen will.

Wenn Deutschland dabei aber allein voranschreitet, provoziert das sicherlich Ausweichbewegungen. Wie bekommen wir also die Welt dazu, dass überall ein global harmonisierter CO₂-Preis gezahlt werden muss?

Haase: Eine durchaus berechtigte Frage. Aus der sich ja aufgrund des unterschiedlichen Preisniveaus selbst schon hier bei uns in der EU die Frage ergibt, wie der Preis so harmonisiert werden kann, dass überall gleich hoch ist, aber zugleich unterschiedlich hoch, angepasst an das jeweilige Preisniveau. Da bedarf es noch zahlreicher Verhandlungen und Berechnungen und eines globalen Ausgleichsmechanismusses, fürchte ich.

Nach Prognosen des CWI werden in Zukunft Jahr für Jahr allein in Deutschland Investitionen in Höhe von hunderten von Milliarden Euro in Verkehr, Wohnungswirtschaft, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft erfolgen müssen, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Woher soll das Geld kommen?

Haase: Ja, diese Zahlen sind korrekt. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, auf die Zahlen zu schauen wie das Kaninchen auf die Schlange. Das wäre ein Fehler. Wir dürfen nicht in Angst vor diesen im ersten Moment sehr großen Summen erstarren. Bisher hat alles immer irgendwie geklappt und mit diesem grundvertrauen sollten wir an diese Dinge herangehen. Es nützt nichts, Ausreden zu suchen und Meidbewegungen zu trainieren. Das Ziel steht über allem, daran sollten wir glauben.

Sie tun das?

Haase: Auch nicht an jedem Tag. Am Ende des Tages bin ich Deutscher, gefangen in einem Grundskeptizismus, den ich auch nicht immer ablegen kann. In Deutschland neigen wir aber immer wieder und sehr gerne dazu zu sagen, dass das Glas allerhöchstens halb voll ist. Ich finde aber, wir brauchen ein Grundvertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten. Dieses Land hat zwei Weltkriege überstanden, wir haben es immer wieder aufgebaut. Jetzt ist viel weniger kaputt, wir haben noch viele Unternehmen, die weiterhin gut arbeiten, wir exportieren nach wie vor, mittlerweile sogar ganze Firmen. Nach allem, was wir abschätzen können, benötigen wir 5.000 Milliarden Euro, um das land klimaneutral umzubauen, aber aufgeteilt auf die kommenden 25 Jahres. Das ist dann gar nicht mehr so viel auch wenn man natürlich zugeben muss, dass die Preise bis dahin empfindlich steigen werden, wenn man nur die bisherige Entwicklung seit Einführung des Euro fortschreibt. Dann  sind wir bei 10.000 Milliarden, auch kein Pappenstiel, wie mna bei mir zu Hause in Sachsen sagen würde. Aber herunter­gebrochen auf die Jahresscheibe doch nur 250 Milliarden, also 3.000 Eur pro Einwohnender und Einwohnendem.Das hört sich doch schaffbar an. Bedenken Sie bitte: Das ist die Summe, die ein Durchschnittsraucher im Jahr für Zigaretten ausgibt.

Sie wollen den großen Zahlen den Schrecken nehmen, indem Sie sie kleinrechnen?

Haase: Richtig. Ich versuche, zu relativieren, um die Menschen mitzunehmen auf diesem Weg. Sehen Sie, der erwähnte Raucher bekommt das gesamte Paket kostenlos, wenn er von seinem Laster lässt! Der Autofahrer, der künftig auf einen privaten Pkw verzichtet, bekommt je nach Fahrleistung sogar noch Geld heraus. Wir müssen uns gegen eine Stimmung wehren, die alles schlecht redet, alles für unmöglich erklärt und der heutigen Generation nicht zutraut, den Gürtel auch mal so eng schnallen zu können wie das Urgroßeltern und Großeltern klaglos taten. 

Das hier ist doch nicht das Ende der Welt! Nur weil die Stimmung schlecht ist, leben wir doch nicht in schlechten Zeiten. Selbstverständlich sind der Niedergang der Industrie, die schwache Konjunktur und die Probleme mit dem Vertrauen in die Demokratie Faktoren, die uns Sorgen bereiten müssen. Aber Sorgen sind immer eine Triebfeder für die Entwicklung. Nur wer sie hat, erkennt, wo die Probleme liegen. Dann kann er, dann können wir dagegen angehen und auch das positive sehen.

Was wäre das denn?

Haase: Da gibt es viele kleine Details. So führt die Klimaerwärmung eben auch dazu, dass wir weniger heizen müssen, also weniger Kohlendioxid ausstoßen also weniger zur Klimaerwärmung beitragen. Die Abwanderung mancher Industriebetriebe vermindert den Fachkräftenagel, die Alterung der Gesellschaft vermindert die Jugendarbeitslosigkeit. Man muss nur sehen wollen, was es an positiven Auswirkungen der negativen Lage gibt. Zudem: Der Großteil der Investitionen für den Klimaschutz, rund 90 Prozent, muss ja nicht vom Einzelnen geleistet werden, sondern von der Industrie, den Immobilienbesitzern, dem Staat, den Kommunen, der Bundeswehr. Da muss der private Bürger gar keine Angst haben.

Was müssen die Bürgerinnen und Bürger tun?

Haase: Dem Land zutrauen, dass wir das schaffen. Wenn wir uns alle einschränken, etwas weniger tun, etwas weniger verbrauchen, dann können wir zur Jahrhundertmitte klimaneutral leben. Vielleicht nicht alle und vielleicht nicht immer, aber mit zusätzlichen Investitionen ist es dann nicht mehr weit bis dahin. Voraussetzung wäre aber eben, dass wir es schaffen, die Preise über den erwähnten CO₂-Preis hochzuziehen, so hoch, dass die Unsicherheit weicht, die Klimaschutz­investitionen jetzt noch hemmt, weil viel glauben, ganz so werde es ja dann wohl doch nicht kommen. Doch, wird es! Muss es!  Fehlende finanzielle Ressourcen sind keine Ausrede, sondern ein Ansporn.

Ist das auch ein Appell an die EU, nicht nachzulassen mit der Vorgabe von regeln und Zielen, wie das im Frühjahr beim Einknicken vor den Bauern geschah?

Haase: Mein Rat ist immer, hart zu bleiben, nicht nachzugeben und Kurs zu halten. Wir brauchen Handlungsdruck, der nicht allein aus dem Beschwören beständig steigender Temperaturen kommt. Da sind demokratische Regierungs- und Oppositionsparteien gleichermaßen gefordert. Sie haben die Aufgabe, den Druck hochzuhalten und die Gewissheit auszustraheln, dass wir die Lage in den Griff bekommen.

Aber dort scheint man ja seit dem Klimafondsurteil des Verfassungsgerichtes auch nicht mehr zu wissen, wie es gehen könnte?

Haase: Gegen dieses Bild anzugehen, so zutreffend es sein mag, muss vordringlichste Aufgabe unserer Medien sein. Sie müssen Zuversicht vermitteln, die Aussicht auf Steuer­erleich­terungen für klimatische Sanierung, nachhaltigen Wohnungsbau und umfassenden ÖPNV bis zur letzten Gießkanne nähren. Es kann sein, dass mit dem Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft die Erkenntnis kommt, dass das alles noch viel teurer wird als gedacht. Aber das muss man nicht zweifelnd breittreten, da kann man auch mal ein Auge zudrücken und auf staatliche Unterstützung, großzügige Förderprogramme und Erfolge wie die Windradindustrie verweisen, die dank der hohen Strompreise heute schon hochprofitabel für die Anlegerinnen ist. Mehr als 50 prozent des Strom sind heute schon erneuerbar!

Um den Energiebedarf kompett zu decken, müsste sich die erneuerbare Kapazität aber bis 2030 noch mal verzehnfachen, oder?

Haase: Das ist genau so eine Frage, auf der man nicht herumreiten sollte. Wir können doch auch mal das Positive sehen. Zehn Prozent des Gesamtenergiebedarfes aus Sonne und Wind zu decken, ist doch ein schöner Anfang, auch wenn wegen der Notwendigkeit des Baus der neuen Netze alles sehr, sehr teuer ist. Aller Anfang ist schwer und schwer wird es auch, unter diesen Bedingungen Deutschlands  Wohlstand zu sichern. Aber was spricht dagegen, dass in anderen Weltgegenden bestimmte Arbeiten erledigt werden, die hier nicht  mehr durchführbar sind? Studien zeigen, dass am Ende nichts fehlt, wenn es woanders hergestellt wird.

Sie glauben, dass Verzicht zum Klimakampf dazugehört?

Haase: Teilen, ich nenne es teilen. Die Dekarbonisierung der Industrie in Deutschland ist keine Einbahnstraße. Was hier an hohem Industrieanteil war, findet ein neues Zuhause anderswo, dafür bleibt unser Gewissen sauber. Der Umdenkungsprozes ist sicherlich eine Heraus­forderung. Aber es stellt sich die Frage: Welche Alternative haben wir denn? Das brauchen  wir schnellstmöglich eine Antwort und die muss aus meiner wissenschaftlichen Sicht nein lauten.

Was bliebt den Bürgerinnen und Bürgern hierzulande nach dem Ausstieg?

Haase: Vielledicht eine neue Leichtigkeit? Ein entspannteres Lebensgefühl? Produktionsstätten, die Besucher bestaunen werden, um sich davon zu überzeugen, dass es nicht nur den Weg der Entwicklung vom Agrarstaat zur Industriegesellschaft gibt, sondern auch einen Rückweg.



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