Montag, 30. September 2024

Superlative Sprache: Vokabeln für den Wumms

Luther diente den Nazis als Vorbild
Das Böse ist überall und es ist immer so groß, dass nur ein Superlativ es beschreiben kann.


Sie schreiben von "Schergen", von "Tyrannen", "Kriegstreibern" und "Krisengewinnlern", von "Diktatoren", "Rattenfängern" und "Unmenschen", also Menschen, die Dinge tun, die sie außerhalb der menschlichen Gemeinschaft stellen. Das erste Opfer im Krieg, heißt es immer, sei die Wahrheit. Tatsächlich aber ist das erste Opfer im Krieg immer der gesunde Menschenverstand, die Fähigkeit, beim Beschreiben des Grauen auf dem Boden der Menschlichkeit zu bleiben.  

Wehen die Fahnen, ist der Verstand in der Trompete, nicht nur auf dem Schlachtfeld und in den militärischen Führungsstäben, sondern auch in den Redaktionen, die über Kriege längst nicht mehr aus den Schützengräben berichten. Sondern anhand von dürren Verlautbarungen der Heeresführungen und Verteidigungsministerien. Sprache wird so in einem Maße zur Waffe, dass sie nur noch als Karikatur erkennbar ist. 

Verbogen und zugespitzt

Sie wird verbogen und zugespitzt. Nur der Superlativ ist noch brauchbar. Massaker, Völkermord, Völkerrecht, Angriffskrieg. Jede Seite will die Öffentlichkeit von ihrer Sicht der Dinge überzeugen, selbst im zivilen Krieg um Mandate, Machterhalt und Machtgewinn. Täglich fliegen dem Publikum Begriffe wie "Despot", "Nazi", "Faschist" oder "Postfaschistin" um die Ohren. 

Die Öffentlichkeit, unentwegt bombardiert mit Parolen am Rande der Unübertreibbarkeit, fühlt sich über kurz oder lang in ein absurdes Theaterstück versetzt, in dem durch die Steigerung von Steigerungen versucht wird, die gewünschte Botschaft zu gestellt wird. Meiste wie zu "allermeiste", "plump" zu "plumpste", "perfide", vom Lateinischen perfidus, also treulos und niederträchtig, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. 

Je ernster die Sprecher klingen und je häufiger die Kommentatoren von "Schlächtern" und "Massakern" und "Völkermord" und einem "faschistischen System" aus "purem Faschismus" berichten, desto unwirklicher wird die Szenerie. Begriffe werden inflationär verwendet, ohne ihren Sinn zu hinterfragen. Was genau "perfide" bedeutet, was mit "krude" beschrieben wird, und ob oder wie sich "Besessenheit" von "Wahnsinn" unterscheidet, spielt keine Rolle. Hauptsache ein Superlativ, Hauptsache das größte Kaliber. Bumm!

Kriegstüchtig gemacht

Es fing schon an, ehe Wladimir Putin seinen heute durchweg als "völkerrechtswidriger Angriffskrieg" bezeichneten Feldzug gegen die Ukraine begann. Der Mann, der eben noch Partner war, Kreml-Herr oder Präsident seines Landes, wurde nach und nach zum Autokraten, Despoten und Diktator. Seine Soldaten verwandelten sich wie zuvor die des syrischen "Machthabers" Assad in "Schergen", seine Mitarbeiter in "Helfershelfer" und seine Unterstützer in "Trollen", "Spione" und Handlanger.

Auch das Wort "entmenscht", das den so Bezeichneten ihre Menschlichkeit abspricht, taucht zuverlässig auf, als "entmenschte Soldateska" (Bild) und entmenschte Feindlichkeit in einer "grausamen Realität" (Die Zeit), in der Gegner unter "wahnhaftem Wirklichkeitsverlust" (Spiegel) leidet, weil er "hörig" ist, sehr schlecht beraten oder aus grausamsten Beweggründen unwillig, eine "humanitäre Katastrophe abzuwenden".

Verbale Mobilmachung

Wer der verbalen Mobilmachung zuhört oder sie mitliest, fühlt sich wie in einem Kinderbuch gefangen. „Grausame Kämpfer“ (Zeit) gibt es hier, "mörderische Angriffe" und "gewissenlose Söldner" tauchen dort auf. Immer werden Kinder auf Spielplätzen ermordet, aber immer nur von einer Seite, immer ist irgendwer "blutrünstig" und unterwegs, "sinnlose Gewalt" auszuüben.

Die Kriegsberichterstattung als Holzschnitt. War es im Kinderbuch die böse Hexe, ist es hier "das böse Wort Krieg" (Zeit), das die sprachlichen Mittel zum Äußersten anspannt. Die vokabulare Eskalation allerdings verzehrt sich schneller selbst als die besten Worthülsendreher und Sprachbombenbauer für frischen Nachschub sorgen können. Wenn erst "Milizen" zu "Aufständischen", dann zu "islamischen Stammeskriegern" und anschließend postwendend zu Radikalislamisten oder Rebellen zu "Separatisten", zu "Prorussen" und dann zu blutgierigen Invasoren geworden sind, bleibt keine Steigerungsmöglichkeit mehr.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hab aus Spaß mal den Link zu Rosalux aufgeklickt.

Im Gegensatz zu den US-Amerikanern, die sich bei ihren militärischen Interventionen wenigstens Gedanken darüber machen, welche politische Ordnung sie in weit entfernten Ländern hinterlassen, ...

Ach du Scheiße. Ja vielleicht, aber ich meine, eine gewisse Diskrepanz zu dem zu bemerken, was sie dann real hinterlassen.

Die Anmerkung hat gesagt…

Ich hatte das Thema heute früh der Fassung von Patrick Baab auf Sendung.

https://die-anmerkung.blogspot.com/2024/09/lohnschreiber-als-eskalationstreiber.html

Hier das gesamte Gespräch

https://overton-magazin.de/dialog/patrik-baab-die-lohnschreiber-sind-zu-eskalationstreibern-geworden/

Anonym hat gesagt…

André Müller, "Das letzte Paradies" ----- "Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir: >Entmenschter Zoodirektor brät Gibbon auf Sparflamme! <"