Sonntag, 22. September 2024

Ruhestand macht unglücklich: Rackern bis zur Bahre

EZB-Chefin Christine Lagarde ist mit 68 weit über das Renteneintrittsalter in Frankreich hinaus. Doch sie weiß: Aufhören macht unglücklich.

Die große, alte Dame müsste sich das nicht mehr antun. Jeden Tag den Euro retten, die Wirtschaft ankurbeln, die Inflation bekämpfen, Zinsen zu spät erhöhen und dann wieder zu lange mit dem Senken warten. Mit 68 Jahren ist Christine Lagarde weit über das Alter hinaus, das in Frankreich zum Eintritt in die gesetzliche Rente berechtigt. Doch die Chefin der Europäischen Zentralbank macht weiter, unermüdlich. Sie regelt, sie lenkt, sie ist sich einig mit den europäischen Staatenlenkern. Und sie weiß: Zu ihrem eigenen Schaden ist das nicht.

Wer arbeitet, wird älter

Natürlich, Christine Lagarde hat etwas beiseite gelegt. Die Pariserin, die in Frankreich beinahe schon so viele verschiedene Ministerien geführt hat wie die Deutsche Ursula von der Leyen, könnte sich zur Ruhe setzen und den Weltläufen amüsiert von der Tribüne zuschauen. Doch die studierte Juristin, wegen des fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Geldern schuldig gesprochen, aber unbestraft geblieben, weiß genau: Wer im Alter arbeitet, ist zufriedener. Kommt die Rente erst auf dem Totenbett, ist das die Idealvorstellung der Geldexpertin. Denn je länger ein Mensch aktiv bleiben, arbeiten und für sein Einkommen und Ansehen rackern muss, bleibt er frisch, vital und beweglich.

Ein Lebensideal, das sich unter den Deutschen erst langsam herumspricht. Doch nach einer neuen Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wird es langsam, weil vor allem die Alten und Älteren begreifen, dass nur vom sich Regen Segen kommt. Mag auch der Wohlstand gesunken sein und die Preise mögen klettern, mag der gesellschaftliche Zusammenhalt den Angriffen der Spalter kaum noch widerstehen können - die Lebenszufriedenheit der Deutschen ist dennoch gestiegen.

Glückliche Silver Worker

Und das besonders bei den sogenannten "Silver Workern", also den 66- bis 70-Jährigen, die nicht mehr arbeiten müssten, es aber nach dem Vorbild von Lagarde, von der Leyen oder auch Walter Steinmeier trotzdem tun, auch über das Renteneintrittsalter hinaus. Zeigt die allgemeine Auswertung des IW einen Anstieg der durchschnittlichen Lebenszufriedenheit von 6,8 auf 7,4 Skalenpunkte, waren Alte und Ältere, die noch erwerbstätig sein müssen, um über die Runden zu kommen, einen Anstieg auf 7,6 Punkte. 

Ums Geld geht es dabei kaum jemandem dabei. Die Studie "Wer im Alter arbeitet, ist auf dem Totenbett zufriedener" (IW ID 13316) zeigt vielmehr, wie nachrangig finanzielle Gründe sind, wo es Menschen darum geht, durch das Festhalten an frühem Aufstehen, dem Gang zur Schicht am Fließband, zum gewohnten Platz an der Supermarktkasse oder im Rinderstall soziale Kontakte pflegen zu können.

Erweiterte Beschäftigungschancen

Dass der Gesetzgeber die Möglichkeit dazu künftig erweitern und die längere Lebensarbeitszeit zusätzlichen Bevölkerungsschichten zur Verfügung stellen will, dürfte nicht ohne Einfluss auf die Lebenszufriedenheit kommender Generationen haben. Je mehr Ältere Gelegenheit bekommen, sich ihren Lebensunterhalt weiterhin mit ihrer Hände Arbeit verschaffen können, desto größer dürfte die  Zufriedenheit mit der Weiterarbeit im Alter werden. 

Ist es heute oft noch Neid, der denen gilt, die auch mit über 66 oder gar über 70 zumindest an Wochenetagen regelmäßig die Chance haben, sich auszutauschen, in der Pause einen Kaffee zu trinken und gemeinsam etwas zu generieren, wird dieses soziale Netz durch die anstehenden gesetzlichen Änderungen bald viel weniger Menschen fehlen. Später in den Ruhestand gehen, heißt auch, dass länger ein strukturierter Tagesablauf gewährleistet werden kann, angefüllt mit Routinen, die Spaß machen, schon weil sie nach 40 oder 45 Jahren in der Werkstatt, auf der Baustelle oder im Büro zu einem Teil der eigenen Persönlichkeit geworden sind.  

Ersparter Alltagsaufbau

Statt frühzeitig, also manchmal schon im 63. Lebensjahr, einen neuen Alltag aufbauen zu müssen, sorgt der spätere Renteneintritt für Stabilität durch ein Weiterarbeiten ohne Pause. Die Silver Worker sind die erste Generation, die in den Genuss der erweiterten Zufriedensheitsgarantie für langjährige Versicherungsbeitragszahler kommen und das zu schätzen wissen. Im Gegensatz zur Gruppe der erwerbslosen 61-65-Jährigen, bei der die durchschnittliche Lebenszufriedenheit am niedrigsten ist, sind sie für die gebotene Chance, unbegrenzt weiterarbeiten zu können, sehr dankbar. "Unsere Zahlen zeigen, dass der frühe Erwerbsausstieg keine Garantie für eine hohe Lebenszufriedenheit ist", fasst die Verhaltensökonomin Jennifer Potthoff die frohe Aussicht für Millionen zusammen.


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