Freitag, 6. September 2024

Rote Socken: Bunter wird's nicht

Rot-rot-rot könnte in Erfurt erstmals regieren und das mit eigener Mehrheit: Jeweils eine der beiden rechtspopulistischen Parteien müsste jedem Gesetzesvorschlag der Regierung zustimmen, um nicht eine neue deutschlandweite Diskussion über die Brandmauer heraufzubeschwören.
 
Für die Demokraten allein reicht es nicht, aber auch die als gesichert rechtsextrem geltenden  Wahlsieger können nicht, wie sie wollen. Unbelehrbar durch gute Ratschläge von außen hat der Thüringer sein eigenes Bundesland unregierbar gemacht. Den einen wie den anderen fehlt es an Mehrheiten. Es ist alles schlimmer noch als in Sachsen, so schlimm sogar, dass Wissenschaftler neu zu sortiere begonnen haben: Ein Westdeutscher in der Linkspartei ist danach ganz anders zu lesen als ein Ossi, der für Sozialismus, Planwirtschaft und einen neuen Anlauf zum Aufbau einer richtig gerechten Gesellschaft schwärmt.

Störend bei der Machtübernahme

Die CDU sieht sich gezwungen, einen erst vor sechs Jahren Brandmauerbeschluss Richtung Linkspartei infrage zu stellen, weil er nun bei der praktischen Machtausübung stört. Die marginalisierte SPD steht kurz davor, sich wieder mit Kommunisten einzulassen. Und die Russlandfreunde vom Wagenknecht-Bündnis schreiben in Rekordzeit Geschichte: Noch nie ist es einer planwirtschaftlichen, migrationsfeindlichen und mit allen Nato-Werten über Kreuz liegenden Partei in Deutschland gelungen, binnen weniger Monate Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Doch wird die Union über dieses Stöckchen springen? Wird sie Richtung Bundestagswahl signalisieren, dass sie gar nicht oder nur formal am Unvereinbarkeitsbeschluss festhält, der ihr Koalitionen mit der früher als SED bekannten Linken verbietet? Und wird die Linke, seit Jahren schon mit festem Kurs ins gesellschaftliche Abseits, auch noch den kläglichen Rest ihrer Anhängerschaft riskieren, indem sie mit dem Klassenfeind paktiert?

Rot-rot-rot als Ausweg

Vielleicht muss es gar nicht sein. Die Chefin der Thüringer Linken hat in allerhöchster Verzweiflung eine neue Variante ins Spiel gebracht, die Thüringen zu einer Regierung verhelfen könnte, ohne dass irgendwer über Schatten springen, Grundsatzbeschlüsse verwerfen oder Brandmauern übersteigen muss. Ulrike Grosse-Röthig, Tochter einer ursprünglich liberalen Landtagsdynastie, präferiert anstelle eines ideologisch für alle Seiten schwierigen Zusammengehens von Linkspartei, SPD und BSW mit der  "stramm rechtskonservativen" (ND) CDU des zuletzt zusehends radikalisierten Friedrich Merz eine rot-rot-rote Minderheitsregierung. 

Die Kombination aus der vom Wähler abgestraften Linken, der nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde gekletterten SPD und der kremlnahen Wagenknecht-Truppe bekomme  "auch 36 Prozent", rechnet Grosse-Röthig vor. Eine sichere Minderheit, die mit 33 Sitzen im Landtag auch nur neun weniger hätte als die Vorgängerregierung, die sich vier Jahre ohne Mehrheit durchgeschlagen hatte.

Eine kleine Wiedervereinigung

Rot-Rot-Rot in Erfurt wäre eine kleine Wiedervereinigung, wie sie besorgte Bürgerinnen und Bürger aus dem Initiativkreis Wiedervereinigung der Linken (IWVL) angesichts der  Unvereinbarkeitsbeschlüsse der weit nach rechts gerutschten CDU (Taz) bereits als große Lösung vorgeschlagen hatten. Danach solle sich die für die Union als Partner nicht akzeptable Linkspartei dem unverbrauchten und mit keinem Tabu belegten Wagenknecht-Bündnis anschließen. Gemeinsam entstünde dann wieder eine politische Kraft am linken Rand, die auf Augenhöhe mit der als gesichert rechtsextremistisch eingestuften AGREAFD agieren könne.

Für die CDU, die in Erfurt als Wahlsieger auftritt, wäre es ein schwerer Schlag. Der Landesvorsitzende Mario Voigt sieht sich bereits als Ministerpräsident, in den zurückliegenden Monaten wurden Schattenkabinette gebildet und Postenvergabelisten erstellt. Dass nun eine Stimme zu einer Mehrheit fehlt, ist für den 47-jährigen Mann aus Jena tragisch. 

Minderheitsregierung mit sicherer Mehrheit

Noch tragischer aber wäre, wenn sich die als Tolerierungspartner eingeplanten linken Gegner einer bürgerlichen Politik zusammenschlössen, um gegen die stärkste und die zweitstärkste Partei zu regieren - mit dem Kalkül, dass jedem Gesetzesvorschlag im Thüringer Landtag jeweils eine der beiden rechtspopulistischen Parteien zustimmen müsste, um nicht eine neue deutschlandweite Diskussion über die Brandmauer heraufzubeschwören.

Bodo Ramelow, der so harsch abgewählte Ministerpräsident, hat die Vorlage aus seiner eigenen Partei mittlerweile dankbar aufgenommen. Der Wähler habe ein klares Zeichen gesetzt und einen deutlichen Regierungsauftrag vergeben - außer Rot-Rot-Rot sei gar keine andere Mehrheit zu bilden. 

"Der Ministerpräsident bleibt Bodo Ramelow", gab er einen Ausblick in den aktuellen Planungsstand in Erfurt, er regiere dann mit einer Koaltion aus Linkspartei, SPD und BSW. "Und die CDU toleriert das, damit sie ihren Beschluss einhält", weist der erfahrene Politikstratege einen Weg aus dem Dilemma: "Weil das sie uns toleriert, das ist nicht verboten, das haben sie fünf Jahre lang praktiziert."


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wenn Ramelow im Amt bleibt, dann ischt over für Merz und seine ?DU.

Anonym hat gesagt…

Da kann man ja den Wagenknechtfans zur SED Version 3.0 gratulieren!

Anonym hat gesagt…

Wenn Ramelow im Amt bleibt ...
Warum nicht? Er ist nicht unbeliebt bei etlichen: Sie erkennen ihre eigene geistige Niedrigkeit, welche sie
merkelwürdigerweise für Normalität ansehen, in ihm wieder. Wie bei Martin Schulz. Inschallah.

Anonym hat gesagt…

"Rote Socken" bezeichnete ursprünglich die 110%igen. Bis zu den 130%igen: "Und ihre Augen leuchteten wie die Fensterscheiben eines brennenden Irrenhauses." (Arno Schmidt)

ppq hat gesagt…

ramelow und schulz, das gefällt mir