Dienstag, 3. September 2024

Rechtsruck im Bellevue: Radikalisierung von oben

Der Bundespräsident ist erster Mann im Staate, doch bei der Führung von Verschärfungsdiskussionen hält er sich normalerweise zurück. Steinmeier hingegen setzt sich jetzt an die Spitze der von Rechten befeuerten Migrationsbegrenzungdebatte. Abb: Kümram, Knete auf Gips

Das braune Donnern in Sachsen und Thüringen, es war im ganzen Land zu vernehmen. Ein Erdbeben in der Provinz, grollenden vor Schrecken. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse zogen die ersten großen Konzerne Konsequenzen: VW, in beiden Ländern vertreten, kündigte einen umfangreichen Personalabbau an. Die Vereinigte Porphyrbrüche auf dem Rochlitzer Berge GmbH, die seit 1685 Marmor abbaut, schloss ihre Pforten. Der Chemnitzer Fußballverein kündigte seinem Trainer. 

Alles kam ins Wanken, vieles kam ins Rutschen. Vor allem die Demokratie, die durch den allgegenwärtigen Rechtsruck in eine prekäre Lage geriet, wie sie Beobachter zuletzt Anfang 1933 hatten beobachten können.  

Wandlungen im politischen Berlin

Ganz aus dem Blick geriet dabei eine Wandlung, die bereits in den Tagen zuvor im politischen Berlin vonstattengegangen war. Hier im kurz vor dem Beginn umfangreicher Modernisierungs- und Transformationsarbeiten nur noch provisorisch bewohnbaren Schloss Bellevue arbeitet und wirkt seit 2017 der frühere Sozialdemokrat Walter Steinmeier. Als Kanzleramtsminister des später in Ungnade gefallenen Gerhard Schröder verantwortete er Folterungen und extralegale Verbringungen. Als Kanzlerkandidat fuhr er 2009 ein Ergebnis ein, das damals als desaströs galt, heute aber den Regierungsanspruch der SPD nachdrücklich untermauern würde.

Später wurde Steinmeier erster gerichtlich bestätigter Verfassungsbrecher Bundespräsident, mehr als ein Ehrenamt, denn als erster Mann im Staate muss Steinmeier beinahe täglich Trauer, Wut und Scham formulieren, Beileid verteilen und die wachsenden Gefahren durch dies und das beklagen. Steinmeier, von Kritikern als Schneeeule der Arbeiterbewegung ausgeschmiert und mit dem Schimpfnamen "Teflonpfanne" belegt, blieb ein unbequemer Geist, der als Bundesmahner und höchster Warnbeamter stets zur Stelle war, um Zuspruch zu geben, sein trauerndes Herz vorzuzeigen, mit Tiervergleichen zu verblüffen, Aufklärung zu fordern und die unverantwortliche Laissez-faire-Haltung der Regierenden hart anzugehen.

Kritik an der Bundesregierung

Dass etwas sie geändert hat im Hause Steinmeier, war in den vergangenen Wochen und Monaten unverkennbar. Statt sich aus der aktuellen Politik herauszuhalten, wie es guter Brauch und Sitte ist für einen Bundespräsidenten, stellte Steinmeier die ohnehin schwer schwankende Ampel in den Senkel. Sie müsse "ihre Arbeit verbessern", tönte er und er klang dabei nach einem ganz normalen Thüringer Wutbürger nach einem Lehrgang in politischer Diplomatie. 

Der Satz "Anpacken statt Spekulieren und zurück an die Werkbank" stellte alle bisher schon erreichten Erfolge der Fortschrittskoalition rundheraus infrage: Kurz vor entscheidenden Landtagswahlen ausgesprochen, legt die Formulierung den Verdacht nahe, der Bundespräsident sei der Meinung, die da oben zankten und stritten nur, statt "endlich die Probleme der Bürger zu lösen", wie es Grünen-Chefin Ricarda Lang nach der Europawahl im Frühjahr versprochen hatte.

Das wahre Gesicht

Erst bei der Gedenkveranstaltung in Solingen aber zeigte der Bundespräsident sein wahres Gesicht. Nach der sogenannten "Messerattacke" (BWHF, DPA) auf dem "Fest für Vielfalt" war Steinmeier herbeigeeilt, um zu trösten, zu schlichten und zu gedenken. Doch nicht nur. Der 68-Jährige nutzte die Gelegenheit, um bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlags eine Asylwende zu fordern: "Jede, wirklich jede Anstrengung" müsse unternommen werden, um den Zustrom zu verringern. Das Thema Zuwanderung müsse nunmehr begriffen werden als das Thema Begrenzung der Migration, Steinmeier klipp und klar: "Das muss Priorität haben in den nächsten Jahren".

Sechs Jahre nach den wegweisenden Beschlüssen zur Neuregelung der Einwanderung und eins nach der 6. großen Europäischen Einigung zur Migration, im Volksmund "EU-Flüchtlingsbremse", klingt Steinmeier wie die Linksrechte Sahra Wagenknecht und deren populistischer Konkurrent Björn Höcke. Fast erscheint seine Wandlung wie die des Hans-Georg Maaßen, der sich als Schläfer über Jahre bis ins Amt des obersten Verfassungsschützers hochdiente. Niemandem war je aufgefallen, dass der Mönchengladbacher sich "mitunter als antisemitisch, rechtsextremistisch und verschwörungstheoretisch" äußerte. Erst durch die offene Leugnung der Hetzjagden von Chemnitz enttarnte sich der wenig später durch Bundeskanzlerin Angela Merkel, SPD-Chefin Andrea Nahles und den in Bedrängnis geratenen Horst Seehofer in den Ruhestand versetzte Spitzenbeamte.

Rechte Positionen

Steinmeier, im Herzen immer noch Sozialdemokrat, übernimmt unkritisch rechte Positionen, mit denen etwa der CSU-Politiker Horst Seehofer Schiffbruch erlitt. Kaum mehr sind Steinmeiers Positionen von denen der rechtswidrigen Pegida-Bewegung zu unterscheiden, deren sogenanntes 19-Punkte-Pamphlet von 2015 sich heute liest wie ein Ausschnitt aus einer Präsidentenrede.

Gesellschaftlich aber scheint Walter Steinmeier einmal mehr den richtigen Riecher zu haben. An kruden Thesen des Bundespräsidenten wie der, dass "die Zahl derer, die ohne Anspruch auf diesen besonderen Schutz kommen", uns "nicht überfordern" dürfe, reibt sich kein Kommentator und keine empörte Antifa-Demo mahnt vor dem Präsidentenschloss zur Rückkehr zu humanistischen Positionen. 

Rechts blinken

Dass Steinmeier der Humanität eine Obergrenze verpassen will, die es erlaubt, Schutzsuchende abzuweisen, nur weil kein Platz mehr ist, ist nur ein Aspekt, der Schlimmes ahnen lässt. Der andere, viel erschreckendere ist der, dass der gesellschaftliche Aufschrei ausbleibt, obwohl der erste Mann im Staate offenbar vorhat, den Einzelfall eines Schutzsuchenden, der das Asylrecht "so furchtbar missbraucht hat" (Steinmeier), zu nutzen, um nicht nur die Regeln zur Begrenzung der Zuwanderung, "die es schon gibt" durchzusetzen, sondern auch auf offener Bühne begrüßt, dass es darüber hinaus welche gibt, "die gerade geschaffen werden".

Blinkt er nur rechts, um auf der linken Spur weiterfahren zu können? Oder ist in Walter Steinmeier wirklich etwas zerbrochen? Will der Bundespräsident nur beruhigend auf die wirken, die in diesen Tagen bereit scheinen, Deutschlands Zukunft durch ein komplettes Abwürgen des Zukunftsmodells Zuwanderung zu riskieren? Oder meint er ernst? Bis 2027 noch in Walter Steinmeier im Amt. Die Zivilgesellschaft sollte ihn im Auge behalten und rechtzeitig reagieren, wenn sich in seinen Äußerungen ein fatales Muster zeigt.


12 Kommentare:

Hase, Du bleibst hier... hat gesagt…

Es wird Zeit für eine Fackel - und Mistgabel-Verbotszone, gleich nach der Sprengstoffgürtel-Verbotszone.

Anonym hat gesagt…

Seit der Landtagswahl vom 15. Januar 1933 stehen die Lipper in einem schlechten Ruf.

Anonym hat gesagt…

>> NIUS-LIVE: Harald Schmidt: Menschen wollen „Koalition aus AfD und CDU“ <<
Dann bin jedenfalls ich kein Mensch.

Anonym hat gesagt…

OT Fefes bester Witz

Wenn man bedenkt, dass Thüringen eigentlich nur drei 'große' Städte hat - und die sind ja eigentlich auch eher auf Klein- bis Mittelstadtniveau, ist das also ziemlich beeindruckend: die AfD ist besonders stark, wo es quasi keine 'Ausländer' gibt und die ganzen Idioten hängen geblieben sind. Daher auch die Betroffenheit in Weimar, Erfurt und Jena. Man sieht sich hier recht hilflos von den Dorftrotteln ans Messer geliefert.

Ja genau: Ans MESSER. Da kann ich als Nazi vom Dorf nur nicken.

Der lachende Mann hat gesagt…

Das sehe ich auch so.

Tranko hat gesagt…

Was ein bodenloser Schwachsinn. Steinmeier ist ein mittelmäßiger, sozialdemokratischer Opportunist und eine traurige Fehlbesetzung. Die Beschwörung eines neues Faschismus wegen der Erfolge der AfD oder die Rechtsradikalisierung von oben sind groteske, unsinnige Thesen. Eine rechts-konservative Partei mit zu vielen völkisch-reaktionären Figuren, ok, aber deshalb steht noch lange nicht eine faschistische Machtübernahme vor der Tür (oder im Programm der AfD). Wer ist denn der Autor dieses dümmlichen, wild phantasierenden Textes?

Anonym hat gesagt…

OT
Sciencefiles haut wieder einmal mehr sehr daneben: Es gab sehr wohl und nicht geringen Widerstand gegen die sogenannte Euthanasie, und der zeigte letztlich Wirkung.
Den Skandal an der Gedenkstätte sollte man nicht überbewerte: Pöbel ist blöd, war es, und wird es sein. Und suggestibel wie Kleinkinder. - Denken wir nur an die Unterschriftensammlung eines Scherzboldes gegen das saugefährliche Dihydrogenmonoxid. - Steht in allen Zeitungen die Empfehlung, Kaka zur Stärkung des Immunsystems mit dem Löffel zu fressen - die meisten würden es tun. Und da nun mal die "AfD" als Natzies dargestellt werden, ist da alles erlaubt und alles geboten. Schon Bohlen wusste, dass man einem Trottel nicht klarmachen kann, dass er einer ist, eben weil es ihm dafür an Grütze gebricht.

Anonym hat gesagt…

Eine rechts-konservative Partei mit zu vielen völkisch-reaktionären Figuren ...
Häv juh drank tu matsch?

TDV hat gesagt…

Naja.... wer weiss... wenn erst das "Denken Können" jemandem zum Menschen macht, dann könnte an deinem Schluss was dran sein...
Persönlich wär mir allerdings nach so einem Wahlergebnis AfD & BSW lieber.

TDV hat gesagt…

Es gibt tatsächlich immer noch Leute die diesen Volldepp noch lesen? Warum nicht gleich Lobo?

Anonym hat gesagt…

...noch Leute die diesen Volldepp noch ...
Warum nich? Zu lesen, um ihn dann zu höhnen. Sein Unterhaltungswert übertrifft auch Sascha sein' auch recht weit ...

Anonym hat gesagt…

Ich wittre, wittre Trollfleisch.