Montag, 2. September 2024

Qual der Wahl: Zu Frühstück gibt es Scherbengericht

Kümram malt Wagenknecht und Höcke als Alptraumpaar der jungen ostdeutschen Demokratie
Das Alptraumpaar der jungen ostdeutschen Demokratie: Der junge Maler Kümram hat Björn Höcke und Sahra Wagenknecht anklagend mit Fingerfarben gemalt.


Es war die große Hoffnung der demokratischen Mitte, dass man "die rückwärtsgewandte, national gestimmte und nun zunehmend überalterte ostdeutsche Gesellschaft in ihrem Rückzug und ihrer Verklärung der DDR einfach in Ruhe lassen könnte" (NZZ), ohne selbst größeren Schaden zu erleiden. Die hektischen Bemühungen, kurz vor dem Wahltag noch Aktivität im Sinne der vielen Missmutigen und Vergnatzten zu simulieren, vermochten nur noch das Allerschlimmste zu verhindern. Schlimm aber sind die Ergebnisse dennoch.  

Wie alle deutschen Reporter war sie eben noch unterwegs in den Steppen Ostdeutschlands, um die Seelenlage der Widerspenstigen und Kremltreuen zu erkunden. Hier erklärt Kolumnistin Svenja Prantl, warum die Lage nach dem Erdbeben von Dresden und Erfurt so stabil geblieben ist.

Zum Frühstück Scherbengericht

Svenja Prantl kennt ihre "Ossis".

Überall in den Parteizentralen gibt es heute zum Frühstück Scherbengericht. Übernächtigte Funktionäre suchen nach positiven Ansätzen. Die Worthülsen zur Erklärung des Debakels in Thüringen und Sachsen, die in den vergangenen Wochen so sorgsam und einfallsreich gedrechselt wurden, sind verschossen. 

Neue Lieferungen nicht in Sicht, schon gar nicht die Güterzüge mit schweren Waffen, die die Ampelparteien so dringend benötigen, um aus dem tiefen Tal der Missachtung durch eine breite gesellschaftliche Mehrheit auszubrechen, in das sie sich in den zurückliegenden drei Jahren manövriert hatten. 

Das "Bessererklären" ist verschossen, das "Zusammenraufen" aufgebracht, "Zeitenwende" und "Neuanfang", "Wirhabenverstanden" und "Jetztaber" haben sich als Platzpatronen erwiesen. Letztlich ist es wie immer: Wer sich darauf beruft, aus rechtlichen, moralischen oder ideologischen Gründen nicht umsetzen zu können, was ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung für unumgänglich hält, wird über kurz oder lang dabei zusehen müssen, wie andere es umsetzen. Das Kommando Letzte Patrone, das in Berlin regiert, flüchtete sich am Wahlabend in eine Wagenburg aus Weiterso und Jetzterstrecht. Flunkernde Funktionäre, dankbar dafür, keine Parteibasis mehr fürchten zu müssen.

Duldsame Basis

Was für ein Glücksfall. Von Linkspartei über SPD, FDP und Grüne hätten Landtagswahlergebnisse wie die in den beiden blühendsten Ostländern noch vor 20 Jahren zu einem Sturm der einfachen Mitglieder und Basisfunktionäre auf die Führungsebene geführt. Sonderparteitage wären veranstaltet und Konsequenzen verlangt worden. Köpfe hätten rollen und verdienstvolle Führungskader ihre Koffer packen müssen. Es wären die Fetzen geflogen, mancher hätte die hohe Wahlbeteiligung als Ausdruck eines Wählerwillen missverstanden, neu anzufangen, statt nur fortwährend darüber zu reden, warum es zu demokratischer Kontinuität in den Lagergrenzen der alten Bonner Republik keine Alternative gibt.

Doch nicht ganz ein Jahr nach den letzten ideologischen Grabenkämpfen auf dem Grünen-Parteitag in Karlsruhe, bei dem gegen den erbitterten Widerstand der Progressiven in der Partei CSU-Formulierungen wie "Steuerung, Ordnung und Rückführung gehören zur Realität eines Einwanderungslandes wie Deutschland dazu" ins Programm "Sicherheit in unsicheren Zeiten" aufgenommen worden waren, muss keine Chefetage keiner Partei mehr fürchten, aus den eigenen reihen angegriffen und für den Verlust von der Hälfte bis zu vier Fünfteln der Wählerinnen und Wähler haftbar gemacht zu werden.

Wie ein Mann

Die Nomenklatura der politischen Klasse hat die Lage im Griff. Beim Scherbengericht wird Ersatzerklärungsnahrung aufgetischt, nicht Blutwurst, kalte Machtnudeln und frischgezapfter Vergeltungssaft. Abgesehen von der FDP, in der Wolfgang Kubicki als Dauerquengler rund um die Uhr warnt, gibt es in keiner der früheren Volksparteien mehr eine innerparteiliche Opposition. Ob SPD oder Grüne oder Linkspartei, überall stehen alle wie ein Mann zur Parteilinie. 

Dass die Parteien, die in den zurückliegenden 75 Jahren regiert haben, keine Regierungsmehrheiten mehr zusammenbekommen, ohne AfD oder BSW dazuzuholen, gilt als Folge eines Volkes, dem nicht die Klugheit gegeben ist, zu wissen, was ihm guttut. Wichtigste Aufgabe in den Stunden danach: Dem Eindruck entgegentreten, dass die Regierung irgendetwas mit der Politik der letzten zehn Jahre zu tun haben könnte oder gar mit deren Ergebnissen. 

Alle anderen sind schuld

Nein, da ist die Parteibasis offenkundig überall derselben Meinung wie die Vorstände. Es könnte Hetze gewesen sein, der Hass, Elon Musk, der Russe, der Chinese, das Klima, die Inflation, Orban, Erdogan, das Wetter oder die Uneinsichtigkeit der Schwurbler und Kremlknechte, die wichtige Weichenstellungen in Berlin oder Brüssel nicht verstehen wollen. Nur weil es Wagenknecht und Höcke, dem neuen Alptraumpaar aller Demokraten, gelungen ist, Millionen Menschen über ihre wahren Absichten zu täuschen, seien die Rechtsextremisten und die Kommunisten gewählt worden.

Umso mehr, so heißt es in den Parlamentsbunkern im politischen Berlin, müssten ab sofort die Reihen geschlossen werden, die Arme untergehakt und klare Kante gezeigt. In keiner Partei der Mitte hat die Stunde einer Palastrevolution geschlagen, in allen sitzen die abgeworfenen Reiter weiter fest im Sattel ihrer toten Pferde. Es gilt, nur drei Wochen zu überstehen, dann steht schon die Landtagswahl in Brandenburg an, einem Bundesland, das ganz überwiegend von Menschen der Mitte und Menschen von Morgen besiedelt ist

Der Urnengang in der Wahlheimat von Bundeskanzler und Bundesaußenministerin wird Besserung zeigen und beweisen, dass kein hektischer Kurswechsel nötig ist, um die Zweifelnden und die Verzweifelten zu überzeugen. Gelingt es bis dahin noch, immer mal wieder mit einem Abschiebeflug, einem Sicherheitspaket oder einem neuen Stark-Sinkende-Strompreis-Gesetz spazieren zu gehen, wäre die Lage befriedet. Der nächste Termin für störende Wortmeldungen ist dann erst die Bundestagswahl Ende September.


7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Migranten trauen sich in Erfurt sicher schon nicht mehr aus den Schischabars heraus.

Anonym hat gesagt…

Das "Bessererklären" ist verschossen ...
Sicher des'? Also ich vermute eher, es wird nochmal kommen, mehr oder weniger umformuliert.

Anonym hat gesagt…

Und haste nicht gesehen, schon macht ein Bug der Alternative ihre Sperrminorität zur Sau.
Aber wer weiß, was der Schelm von den Freien Wählern macht.
Doch auch das Problemchen lässt sich von der Antifa in den Griff kriegen, siehe Kemmerich.

Anonym hat gesagt…

Wohin soll denn die Reise gehen bis zur Bundestagswahl? Dahin.
Brasilien hat X schon gesperrt, Geldstrafe für VPN user.
https://fortune.com/2024/09/02/elon-musk-brazil-alexandre-de-moraes-ban/

Clintons alter Deepstatezwerg Robert Reich (gesprochen Reisch) ist über 80 und kann daher Minenhund sielen.
https://www.theguardian.com/commentisfree/article/2024/aug/30/elon-musk-wealth-power

Na und warum soll man bei X aufhören? Bei X fängt man an.

Anonym hat gesagt…

>ist über 80

Ok aber fast über 80.

Anonym hat gesagt…

Ist der so eine Synthese aus Rainer Zitelmann und Rainer Mausfeld? Der seit Jahren dasselbe Buch neu rausbringt..?

Anonym hat gesagt…

Über Zitelmann las ich erstmals auf wehwehweh fauaho ork. (Det finns inte längre ...) Ein Lauer, den der HErr ausspeien wird aus seinem Munde.