Samstag, 14. September 2024

Noral: Wenn Werte vor allem nützen müssen

Für Fälle anwendungsorientierten Moral hat die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) den Begriff "Noral" vorgeschlagen.

Es klingt fast wie die Vorlage und kostete die Beamten und Angestellten in der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin Monate angestrengter Arbeit. Dann war es amtlich: Als "Noral" soll künftig im Alltag bezeichnet werden, was bisher als anwendungsorientierte Moral mühsam umschrieben werden musste. Im politischen Geschäft war es dadurch häufig zu Missverständnissen und Falschauffassungen gekommen - etwa, wenn Positionen, die gesellschaftlich lange als unmoralisch gebrandmarkt worden waren, über Nacht zur offiziellen Regierungslinie erklärt worden waren.

Abhilfe für die Ampel

"Noral" soll Abhilfe schaffen und helfen, die Politik der Ampel noch besser zu erklären, ohne den als herabwürdigend wahrgenommenen Begriff "Doppelmoral" zu benutzen. Das neugeschaffene Wort ist dabei nach Angaben von BWHF-Chef Rainald Schawidow nicht nur ein "elegantes Spiel mit dem englischen Wörtchen ,No' für Nein", sondern auch ein Akronym. Das "N" in der Neubildung steht Schawidow zufolge für "nützlich", das "O" hingegen für "Objekt". Ausgedrückt werden solle damit, dass anwendungsorientierte Moral von Fall zu Fall, aber immer nach Brauchbarkeit von Werten und ideologischen Grundsätzen wertet. Im "No" stecke nicht von ungefähr auch der Wortanfang von  "Notwendigkeit".

Noral hilft aus Erklärungsnöten, wenn ein wichtiges Werkzeug der Opposition sich als Bundeshetzkanal entpuppt oder Satire alles darf, nur nicht immer." Rainald Schawidow nennt den Umgang bedeutsamer westlicher Medienkonzerne mit der Kurznachrichtenplattform X als aktuelles Beispiel. Nachdem sich das Unternehmen geweigert hatte, nach der Übernahme durch Elon Musk ebenso zügig pleitezugehen wie Russland, habe kurze Zeit noch die Hoffnung bestanden, dass alternative und besser gepflegte Gesprächsräume wie Mastodon und Bluesky die von Hetze, Hass und Zweifeln genervten Nutzer zu sich hinüberziehen. "Aber obwohl viele große Stimmen mit zahlreichen Followern versucht haben, ein entsprechendes Vorbild zu geben, hat sich das nicht erfüllt."

Medial kein Hasskanal

Stattdessen erforderten es weltpolitische Ereignisse, sich medial wieder vor den Hasskanal zu werfen. "Als der venezolanische Diktator X nach seiner umstrittenen Wiederwahl sperren ließ, konnte das gar nicht anders erklärt werden als mit dem üblichen autoritären Vorgehen eines vom Volk abgelehnten Systems gegen ein "wunderbares Werkzeug des Widerstandes", wie der Bayrische Rundfunk den Messenger Telegram auf dem Höhepunkt der Proteste der belorussischen Opposition gegen Machthaber Alexander Lukaschenko getauft hatte.

"Niemand konnte oder wollte zu diesem Zeitpunkt ahnen", dass sowohl Telegram als auch X schon wenig später wieder infrage gestellt werden müssen. Frankreich nahm den Telegram-Gründer fest, das erst vor kurzem wieder demokratisierte Brasilien sperrte X, in Deutschland forderten der grüne Vordenker Anton Hofreiter und Katarina Barley, die nach kurzem Wahlkampf wieder nach Straßburg entschwundene starke Stimme der SPD, dass Europa nachziehen müsse, um die Verbreitung von  "menschen- und verfassungsfeindlichen Inhalte" "an der Wurzel" anzugehen.

Digitale Radikalisierungen

Die wächst nicht irgendwo, die schlägt nicht aus, weil Bürgerinnen und Bürger aus nur ihnen bekannten Gründen meinen, sie müssten sich auf elektronischem Weg Luft machen wie früher am Stammtisch. "Die Wurzel", zitiert Rainald Schawidow aus dem Entwicklungs- und Fertigungsauftrag für einen "beschreibenden Begriff, der künftig anstelle von ,Doppelmoral' verwendet werden soll", "liegt in Radikalisierungen im digitalen Raum". Mit "Noral" antworte die BWHF zielgenau auf eine neue Herausforderung. "Wenn zwei das Gleiche tun, aber nur einer dafür kritisiert wird, kann das in Zukunft nicht mehr als Doppelmoral ausgeschmiert werden."

Es ist Noral, eine an Notwendigkeit und Nützlichkeit orientierte neue Moralkategorie, die sich traditionellen Vorstellungen von Moral und Ethik entzieht. Das von einem Kollektiv aus kundigen Worthülsendrehern, Propaganda-Poeten und Schlagwortdichtern zusammengeschraubte brandneue Wort sei keineswegs nur im digitalen Bedeutungskampf, sondern jedoch gesellschaftsübergreifend anwendbar, ist Rainald Schawidow zuversichtlich. "Sobald Werte vor allem nützen müssen, lässt sich über die Erwähnung, es sei eine noralische Pflicht, dieses oder jenes zu tun, in jeder Debatte auf eine Metaebene wechseln, die unerreichbar für Kritik ist."


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

bzgl. Trittin zeigt das Bild zweimal den gleichen Stern-Artikel. Die Noral von der Geschichte erschließt sich so nicht. Sollte vielleicht nochmal überarbeitet werden.

Anonym hat gesagt…

Christoph Gurk sieht so vegan aus wie er heißt.

Anonym hat gesagt…

Man kann aber sagen, dass der Brasilianer den Fratzenvergleich gewonnen hätte, wenn der Venezolaner nicht so schamlos bei Stalin abkupfern würde.