Montag, 16. September 2024

Glaube, Liebe, keine Hoffnung: Ein Klimapfarrer gibt auf

Hendirk Krebel-Binde (l.) als junger Mann: Damals konfrontierte der Klimapfarrer aus Altkalen die Kanzlerin und ihren Vizekanzler mutig mit seinen Klimaforderungen.

Er wollte durchhalten, beseelt von seinem tiefen Glauben und dem Wissen darum, dass es auf jeden Einzelnen ankommt, will die Menschheit ihren Kampf gegen das Klima gewinnen. Seit dem Tag, an dem er erweckt wurde, wie es Hendirk Krebel-Binde selbst nennt, hat der gelernte Grafiker, Außenwandgestalter und Aktivist sich stets mit voller Kraft für seine Sache eingesetzt. 

Wink mit dem Laternenpfahl

Krebel-Binde protestierte gegen die lauwarme Klimapolitik der damals noch allenthalben hochverehrten und zur "mächtigsten Frau der Welt" erklärten Angela Merkel. Er kette sich mit Kabelbindern an einen Laternenpfahl, um vor einem SPD-Parteitag auf die Gasabhängigkeit der deutschen Sozialdemokratie aufmerksam zu machen. Und er war mit Gleichgesinnten auch unterwegs, um bei Grünen, FDP und Linkspartei klarzustellen, dass die bisherigen Schritte zum Erreichen der Klimazeile von Paris längst nicht ausreichen.

Fast 15 Jahre Kampf. Fast 15 Jahre Einsatz, Ideen und Aufopferung. Nun aber sagt Hendirk Krebel-Binde, dass er kürzertreten wolle, ja, müsse. "Mir ist in den zurückliegenden Wochen und Monaten nur allzu schmerzlich bewusst geworden, dass ich nicht jeden bekehren kann", sagt er. Den Glauben an ein Klima, das wissenschaftlich so gründlich erforscht ist, dass sich auf dem Wissen ein Weltbild bauen lässt, mit dem alles erklär- und prognostizierbar sei, spüre er in sich immer noch glühend heiß und auch "nach außen drängend".

Die Leute machen die Ohren zu

Doch in der Gesellschaft, die der ordinierte Klimapfarrer aus dem mecklenburgischen Altkalen von Anfang an hatte missionieren wollen, sei der anfangs reservierte Widerstand zum Widerwillen gewachsen. "Die Leute machen die Ohren zu, haben sie anfangs nicht zugehört, hören sie nun nicht einmal mehr hin."

Vor diesem Hintergrund habe die Mission keinen Sinn mehr. "Anhänger von Verschwörungserzählungen treten mittlerweile ganz offen gegen die Wissenschaft auf", denkt Hendirk Krebel-Binde, "sie beziehen ihr Selbstbewusstsein aus dem Computer, aus dem Internet, von Seiten wie Wikipedia und den Community-Noten von X." 

Offen und klar dagegen zu argumentieren, werde immer mühsamer, je deutlicher ganz normale Menschen zu erkennen gäben, "dass sie natürlich für den Klimaschutz seien, dafür aber nicht zum Verzicht auf Wohlstand, gewohnte Verkehrsmittel und ihre geliebten Urlaubsreisen bereit". Er habe sich lange gegen die Erkenntnis gewehrt, dass der große Kampf womöglich verloren sei. "Aber ich will auch ehrlich zu mir selbst sein und andere warnen".

Tiefe Desillusionierung

"Das alles komme ja nicht von irgendwo her", sagt der Klimapfarrer, heute 63 Jahre alt und seit nunmehr 20 Jahren ordentlich ordiniert. Hendirk Krebel-Binde ist Mitglied bei Greenpeace, Attac, dem WWF, dem BUND, Amnesty, FFF, Opas gegen die Erwärmung, der Letzten Generation und weiteren 29 engagierten Organisationen, von denen er heute desillusioniert sagt: "Wir haben mit allen nichts erreicht." Immer wieder habe es Wellen gegeben, in dem er den Eindruck gehabt habe, dass mit Hilfe der Medien bestimmte Botschaften endlich tief eingepflanzt worden seien "Und meist war schon wenig später nicht zu übersehen, dass wir uns wieder geirrt haben". 

Oft seien es Nachbarn und Freunde gewesen, die ihm offen und ehrlich von ihren Überdrussgefühlen berichtet hätten "Sie sagten, es sein einfach zu viel für sich, sie könnten es nicht mehr ertragen, die ständigen Ermahnen, die Versuche, ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden." Krebel-Binde macht sich wenig Illusionen darüber, dass es anderen anders geht. 

Zweifel an grüner Nachrichtenwelle

"Wenn ich ganz ehrlich bin, spüre ich diese Übersättigung ja auch selbst." Dass nur immer noch mehr Klimanachrichten, Nachhaltigkeitsbotschaften und eine noch höhere grüne Welle in den Medien wirksamer auf die Gelangweilten und Genervten wirken könnten, glaubt er nicht mehr. "Die, die sich nicht mehr erreichen lassen, werde auch ich nicht mehr erreichen", gesteht sich der Klimapfarrer, der schon als ganz junger Prediger Front gegen die damals noch von Angela Merkel und dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel verantwortete katastrophale deutsche Klimapolitik gemacht hatte (oben). Trotz dieser Meriten aber komme er an "diejenigen, die mir misstrauen, einfach gar nicht mehr ran".

Ihn interessieren nun nur noch diejenigen, bei denen Ansätze von Erreichbarkeit zu erkennen seien. "Sobald jemand Zweifel erkennen lässt und mich bittet, ihn mit meinen Erklärungen in Frieden zu lassen, ist er mich los." Für die anderen, die noch begierig seien, zu erfahren, was Deutschland tun muss, welche Maßnahmen alternativlos sind und wie jeder Einzelne sich einsetzen kann, habe er seine Erzählweise verändert. Krebel-Binde sieht sich auch nach seinem Entschluss, den unbedingten Klimakampf aufzugeben, weiter in der Pflicht. "Ich weiß tatsächlich nicht, ob es eine Gesellschaft langfristig aushält, wenn so viele Menschen Botschaften misstrauen, die doch einstimmig von Politik, Wissenschaft und Medien verbreitet werden."

Der Wasserstoff-Pionier: Abgasfreier und erneuerbarer Stromofen

Der Wasserstoffofen, auch kurz "Urban-Ofen" genannt: Verbrannt wird regional erzeugtes H2, und das ebenso kosten- wie vollkommen rückstandsfrei.


Erst im Winter hat die Bundesregierung den Bau von rund 30 neuartigen Fossil-Kraftwerken beschlossen, die in Strommangellagen zugeschaltet werden sollen. Später werden die H2-ready-Anlagen vielleicht mit Wasserstoff betrieben - noch vor 2040, wenn dann denn genügend Wasserstoff zur Verfügung stehen sollte. Der sächsische Tüftler Jürgen Müller wollte so lange nicht warten. Er hat  seinen alten Ölkessel mit Hilfe des bekannten Erfinders und Innovators Jens Urban jetzt schon in einen innovativen Wasserstoffofen umgebaut, der sein Haus kostenfrei mit grüner Energie versorgt.

Grüner Ofen in Kolbenburg

Es ist noch einmal ein kühler Wintermorgen im sächsischen Kolbenburg, und doch trägt der Mann, der die alte Eingangstür aus historischer Eiche öffnet, nur ein Turnhemd. Jürgen Müller schmunzelt, denn in seinem Haus herrscht auch heute eine wohlige Wärme, ohne dass der 72-jährige frühere Automobilbau-Ingenieur Angst vor explodierenden Kosten haben muss. Müller, kurzes graues Haar, kräftige Muskeln, Dreitagebart, hat vor einem Jahr eine Lebensentscheidung getroffen. "Wir haben unserem alten Ölkessel durch einen innovativen Wasserstoffofen ersetzt, der uns nun mit grüner Energie versorgt", beschreibt er. 

Müller liegt damit weit vor der Bundesregierung, die erst Anfang des Jahres Absichtserklärungen bekanntgegeben hatte, Deutschland noch vor 2040 auf eine Wasserstoffversorgung umzustellen, wenn denn dann ausreichend Wasserstoff angeboten werde. Jürgen Müller konnte und wollte so lange nicht warten. "Unsere Renten hier im Osten sind niedrig", sagt er, "im ersten Kriegsjahr hatte ich das Gefühl, die Energiekosten fressen alles auf, was wir uns in einem langen Arbeitsleben erarbeitet haben." 

Legende der Innvatorenszene

Über eine Erfinderbörse, bei der er als jahrelanger Hobbytüftler selbst Mitglied ist, lernt Müller Jens Urban kennen, eine beinahe schon legendäre Gestalt der deutschen Innovatorenszene. "Ich hatte natürlich von ihm gehört, immer wieder", sagt der Sachse, "aber ihn dann selbst treffen zu dürfen, war dann noch mal was anderes." Urban ist hat in seiner langen Erfinderlaufbahn Atommüllöfen und erneuerbare Kohle, speichernde Netze und Druckluftbatterien erfunden. "Ich habe ihn dann einfach gefragt, ob er nicht eine Idee hat, was wir hier machen können."

Jens Urban hatte. Nur 24 Stunden nach der Anfrage aus Kolbenburg "lieferte er ein spruchreifes Konzept mit Kalkulation und Bauplan", sagt Jürgen Müller bewundernd. Der neuartige Wasserstoffofen, den der in Dessau lebende und arbeitende Innovator zum Einbau empfiehlt, ist ein Prototyp. "Deshalb bot er ihn uns zu den reinen Materialkosten an." Jürgen Müller zögerte keine fünf Minuten. "Ich habe zu meiner Frau gesagt, so eine Gelegenheit bekommen wir nie wieder."

Erstellt aus Baumarktteilen

Denn das Bemerkenswerte am unter dem Namen "Urbanofen H2" patentierten H2-Brenner ist nicht nur, dass er sich aus Baumarktteilen in wenigen Stunden von jedermann aufbauen lässt, sondern auch der Umstand, dass der UOH2 sein Brennmaterial nachhaltig aus der Umgebungsluft gewinnt. Dazu verfügt der Wasserstoffofen über einen speziellen Ansaugstutzen, hinter dem ein mit Abwärme betriebener H2-Umwandler arbeitet. Ganz normale Raumluft wird mit Hilfe von elektrischem Überschussstrom und Leitungswasser aufgespalten, H2 anschließend rückstandsfrei verbrannt. 

"Ich bin absolut begeistert von der Technik und dem Konzept", sagt Müller, der sich schon lange für erneuerbare Energien interessiert hatte, wegen der hohen Kosten aber lange vor dem Kauf eines E-Autos zurückschreckte. "Ich fand schon, dass die kühlerfreien Schnauzen toll aussehen", sagt er, "aber wir konnten es uns einfach nicht leisten, dafür so viel Geld auszugeben."

Überschüssiger Wind wird genutzt

Der Wasserstoffofen, den Müller in seinem Heizungskeller installiert hat, sieht nun gar nicht spektakulär aus, eigentlich eher wie ein normaler Kaminofen, nur etwas größer und moderner. Doch er verbrennt Wasserstoff, den Müller nicht etwa aus der nahegelegenen Tankstelle bezieht, wie Skeptiker meinen. "Nein, wir nutzen wirklich überschüssigem Wind- und Solarstrom, der hier regional anfällt", bestätigt Jürgen Müller, "das ist viel umweltfreundlicher als Öl oder Gas, denn bei der Verbrennung von Wasserstoff entsteht nur Wasser". 

Jens Urban, der das revolutionäre Konzept ausgetüftelt hat, entschied sich für Wasserstoff, weil er "ein sehr effizienter Brennstoff, der viel Wärme erzeugt", wie er selbst sagt. Durch die hohe Flüchtigkeit sei er zudem gut komprimierbar und im verflüssigten Zustand lange haltbar.

Müllers Wasserstoffofen ist mit einem Wärmetauscher ausgestattet, der die Wärme an einen Pufferspeicher weiterleitet. Von dort aus wird sie über eine Fußbodenheizung im ganzen Haus verteilt. "Das ist sehr angenehm und spart uns im Grunde sämtliche Heizkosten", sagt Müller, der früher rund 1.500 Euro im Jahr für Erdgas ausgeben musste. "Das ist war zwar etwas mehr als für Öl, aber dafür ersparte es uns den eigenen Tank." Wenn auch nicht das schlechte Gewissen: Ans Klima hätten sie schon immer wieder gedacht, gerade nach Kriegsausbruch. "Aber ohne zu Heizen geht es ja auch nicht."

Bisher zumindest. Nun sind Müllers allerdings eine der ersten Familien in Deutschland, die mit einem Urban-Ofen heizen. Dessen Firma H2Home will die High-Tech-Geräte schon ab dem kommenden Jahr bundesweit vermarkten. Derzeit läuft in Zusammenarbeit mit dem Claunshofer-Institut für Flüchtige Energiesysteme (IFE) noch eine letzte Optimierungsphase. "Wir wollen zeigen, dass Wasserstoff eine sinnvolle Alternative für die Wärmeversorgung im Gebäudesektor ist", sagt Dr. Mattes Langenholz, der Leiter des Projekts. "Wasserstoff kann haushaltsnah aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden, ist leicht zu transportieren und zu speichern und hat eine hohe Energiedichte."

Beeindruckende Energiedichte

Das Projekt wird aus verschiedenen Töpfen zu Kohleaussstieg, Green Deal, Klima- und Hochwasserschutz und EU-Resilienzprogramm gefördert und läuft noch bis Ende 2024. Bis dahin sollen rund 100 Wasserstofföfen in verschiedenen Regionen Deutschlands installiert und getestet werden. Dann beginne unmittelbar der Hochlauf der Produktion. Die Erfahrungen der Nutzer sollen in die Weiterentwicklung der Technik einfließen. "Wir wollen die Kosten und den Wartungsaufwand senken, die Leistung und die Sicherheit erhöhen und die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern", sagt Langenholz, der gelegentlich Skeptikern begegnet, die zum Beispiel Fake News streuen, nach denen der Entzug von H2 aus der Atemluft deren Qualität beeinträchtige. "Dem ist natürlich nicht so", sagt er dann entschieden.

Jürgen Müller ist jedenfalls schon überzeugt von seinem Wasserstoffofen. Er hat ihn auf eigene Faust inzwischen sogar mit einer kleinen Brennstoffzelle gekoppelt, die aus dem Wasserstoff auch Strom erzeugt. Damit kann er einen Teil seines eigenen Strombedarfs decken und sich unabhängiger vom Netz machen. Die Ersparnis werde bald für den Kauf eines E-Autos reichen, da ist er optimistisch. "Ich finde es toll, dass ich mit meinem Ofen nicht nur heizen, sondern auch Strom erzeugen kann“, sagt Müller: "Das ist für mich eindeutig die Zukunft der Energieversorgung".

Sonntag, 15. September 2024

Das Ende der Empathie: Die fatale deutsche Liebe zum Hass

Der Hang zur Hetze ist dem Deutschen eingeschrieben.

Jeder soll alles sein dürfen, alles machen und alles glauben, was er will und dafür im höchsten Maße geachtet werden. Respekt verlangt der Dealer, Respekt verlangt der Schläger, Respekt bekommt der Lügner, der Fälscher beharrt darauf und der Trickser möchte gut dafür bezahlt werden. Widerworte, Zurückweisungen, das Beharren darauf, dass man irgendetwas womöglich auch anders sehen könne, gelten in Zeiten als Kulturbruch, in denen es endlich ein richtiges Leben im falschen geben soll. Arbeit muss nur klimagerecht sein, Konsum zweckdienlich und die kulturindustrielle Betäubung der eigenen Ausbildung zu Höherem dienen, dann entfaltet das Kollektiv eine Kraft, für die das Individuum nur noch dankbar sein kann.  

Grenzenlose Empathie

Voraussetzung ist eben jene grenzenlose Empathie, die das Christentum stetes gepredigt hat, aber nie verwirklichen konnte. Die neue Religion heißt Toleranz, Toleranz bis über die Schwelle des Hinhaltens der anderen Wange hinaus. Niemand muss mehr warten, bis er geschlagen wird. Er darf und soll sich selbst ohrfeigen dafür, dass er nicht derselbe ist wie seine Nebenperson, nicht ganz gleich dem Nachbarn und nicht mit geschlossenen Augen verwechselbar mit allen anderen. Unabhängig von dem, was jeder mitbringt an Geschenken aus der Lebenslotterie soll nicht mehr nur jeder eine Chance bekommen, sondern er soll sie mit demselben Erfolg in jeder Hinsicht verwirklichen müssen wie jeder andere. 

Zugleich (sic!) sollen alle nicht nur gleich sein, sondern ganz dieselben, mit identischen Wertvorstellungen, Träumen, Wünschen und Sehnsüchten. Und alle sollen das wollen, das ist geradezu eine Selbstverständlichkeit in einer Welt, die keine Charakterzüge mehr kennt, keinen angeborenen Drang zum Heucheln, keine Gier auf Karriere und keinen nicht selbstgewählten Hang, alle Fünfe gerade sein zu lassen, wenn ringsum allen der Schweiß tropft.

Auffallende Ausnahmen

Ausnahmen aber gibt es, einige nur und wenige, aber gerade diese Ausnahmen fallen im symmetrischen Gesamtbild einer formatierten Gesellschaft ganz besonders auf. Den außerhalb der Vorstellungswelt, in der der Mensch immer gut und die Absichten immer die besten sind, liegt die Idee, dass auch Männer mit der amerikanische Demiurg Donald Trump, der deutsche Nazi Björn Höcke, die AfD-Vorsitzende Alice Weidel, Erdogan, Putin, Milei oder der Ungar Orban ebenso eine werte- und interessengeleitete Politik betreiben könnten wie die, die von sich selbst sagen, sie täten genau das. Nicht einmal im theoretischen Gedankenspiel schimmert je die Möglichkeit durch, dass es vielleicht nur vollkommen andere Werte und vollkommen andere Interessen sind, die diese als Bösewichter besetzten Männer und Frauen als handlungsleitend empfinden.

Hier, hinter einer Brandmauer aus Urteilen, die meist ohne Verfahren gefällt werden, greift das Urprinzip der Polarität allen Seins: Gibt es das Gute, zu dem man selbst sich zählt, muss das andere das Böse sein, von dem man schon als Kind so viel gehört hat. Frauen und Männer, die anders glauben, denken und handeln als man selbst es tun würde, dürfen deshalb nicht mit Respekt rechnen und auch nicht mit der friedfertigen Toleranz, die sich in 2000 Jahren blutiger abendländischer Kriegsgeschichte als Alternative zum Auskämpfen aller Zwistigkeiten entwickelt hat. 

Animalische Prinzipien

Es regiert stattdessen das animalische Prinzip der Zuschreibung: Wer nicht ist, wie man selbst (gern sein möchte), wer nicht tut, was man selbst zu tun vorgibt, der entpuppt sich damit als das abgrundtief Böse, als ein Mensch, der nur aus Charakterschwächen besteht, keine Moral besitzt, kein Gewissen, und dem an nichts anderem gelegen ist als die Menschheit in einen Abgrund zu stoßen.

Es ist die einfachste Lösung für ein recht kompliziertes Problem. Anzuerkennen, dass es Aspekte der Wirklichkeitswahrnehmung und der Verarbeitung der dabei empfangenen Signale gibt, die zu anderen Schlüssen als den eigenen führen können, bedeutet, einen Hofknicks vor dem Bösen zu machen, das Knie zu beugen vor einer Glaubenswelt, die von der eigenen so weit weg ist wie die deutschen Medien von der Möglichkeit, den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen. Undenkbar.

Die Furcht vor dem Fremden

Das Bemühen, verstehen zu wollen, was einem selbst so fremd ist, birgt die Gefahr, zu erkennen, dass auch dieses Fremde auf der Basis rationaler Glaubensgrundsätze handelt. Es begeht seine Verbrechen nicht aus Bosheit, sondern zu einem Zweck. Es führt seine Kriege nicht, weil es so gern Pulverdampf riecht und Soldatensärge dekoriert, sondern weil seine Annahmen oder seine Schlussfolgerungen aus diesen Annahmen oder beides sich aufgrund einer vollkommen anderen Gewichtung von Tatsachen, Fakten, Gefahren und Chancen grundlegend unterscheidet von dem, was von der anderen Position her gesehen als logisch, wertebasiert und naheliegend erscheint.

Gilt also im Geschäft der Ursachenforschung normalerweise das Prinzip des qui bono, weil der Nutzen stets am einfachsten zum Nutznießer führt, dann fehlt dieses Moment hier aus gutem Grund: Während das eigene Weltbild als so tragfähig einschätzt wird, dass es keiner faktischen Begründung mehr bedarf, weil auch so vor jedem jüngsten Gericht bestehen wird, muss das der Gegenpartei nicht einmal mehr angeschaut werden, weil es das einfach nicht verdient. 

Es regiert die Unterstellung

Stattdessen regiert die Unterstellung: Wie dem Teufel, dessen Motivation die christliche Lehre niemals auf den Grund zu gehen versucht hat, sind auch die modernen Bösewichte auf der Weltbühne in der Regel nicht einmal an ihrem eigenen Vorteil interessiert. Etwas Rätselhaftes, Unergründliches drängt sie dazu, die Welt in einen Abgrund aus Krieg, Krisen und Verelendung zu stürzen, Millionen verarmen und verhungern zu lassen, die Überlebenden zu spalten und nach ihrem Sieg über ein Reich aus rauchenden Trümmern zu regieren.

Es ist wie Hollywood-Kino, ein wüstes Panorama voller Palpatines, die herrschen wollen, ohne daraus einen Vorteil zu ziehen, die kein Ziel haben außer dem, ihre Charakterdefekte möglichst plakativ auszustellen, und denen an nichts mehr gelegen ist als an einem möglichst schlechten Eindruck, den sie in späteren Geschichtsbüchern zu hinterlassen trachten. Vor diesen Menschen endet die Empathie, diese Figuren dürfen auf keine Toleranz hoffen. Ihnen ist mit Ablehnung zu begegnen, für sie ist der in den zurückliegenden Jahren als gefährliches Gefühl in Verruf geratene Hass gerade schlecht genug. Den liebt der Empath, wenn er die Richtigen trifft. Dem huldigt der Tolerante, weil er ihn als Waffe erkennt.

Der ist gut, wo er den Schlechten gilt.

Abriss der Erdgasnetze: Hilfe im Anzug

Schützend stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Höhepunkt der Energiekrise vor die fossile Infrastruktur. Die Colorschraffierung des Malers Kümram zeigt ihn in seiner berühmten Pose als Turbinenmann.

Niemand will es haben, jedenfalls soll es nicht vor der eigenen Haustür gefördert werden. Alle brauchen es, Energiewende hin oder her. Selbst das Kanzleramt in Berlin und der Brüsseler Berlaymont-Palast, in dem Ursula von der Leyen die Klimawende plant, werden mit Erdgas angetrieben, auch der Bundestag, zahllose Abgeordnetenbüros im politischen Berlin, die grüne Parteizentrale und die abhängten Ostgebiete in Thüringen und Sachsen hängen vor allem im Winter von dem flüchtigen fossilen Energieträger ab.  

Elektrifizierung der Gesellschaft

Es geht nicht anders, denn die Umstellung auf Elektroenergie scheitert momentan noch an der Mathematik: 80 Prozent der in Deutschland verbrauchten Energie ist kein Strom, sondern Ergebnis der Verbrennung von Erdgas, Erdöl, Kohle und Biomasse. Dass mehr als die Hälfte der im Lande genutzten Energie elektrisch ist, zeigt vor allem, wie weit der Weg zur vollständigen Elektrifizierung noch wird. Einmal verdoppeln, dann sind 20 Prozent geschafft. Dann nur noch fünfmal so viel, und die große Transformation ist beendet.

Ohne Gas geht es nicht, aber irgendwann auch nicht mehr mit. Der später wegen einer Korruptionsaffäre aus dem Amt geschiedene grüne Staatssekretär Patrick Graichen wusste das schon sehr früh. Mitten auf dem Höhepunkt der Energiekrise forderte der visionäre Vordenker des Energieausstieges die deutschen Gasnetzbetreiber zum ersten Mal auf, mit dem Rückbau der Netze zu beginnen. Die seien demnächst überflüssig, 380.000 oder 511.000 Kilometer störende Rohre quer durchs Land, genau weiß niemand, sicher aber ist, dass der Anriss dieser Infrastruktur unumgänglich sein wird. Wenn erst alle wie geplant mit Strom und Fernwärme heizen, braucht kein Mensch mehr Gasleitungen bis ins Haus. Also weg damit, forderte Graichen.

Schlag gegen Russland

Um die Umwelt zu schützen, erhöhte die Bundesregierung nach dem Ende der Energiekrise umgehend die Preise. Die Drehung an der Steuerschraube sollte den Verbrauch senken, wirkte aber aufgrund der "steigenden Reallöhne" (Olaf Scholz) nicht wie gedacht. Trotz des Erfolges der von der EU verhängten härtesten Sanktionen aller Zeiten importiert die europäische Gemeinschaft inzwischen wieder mehr Erdgas aus Russland als aus den befreundeten USA. Ganz Norwegen hat sich dank der fossilen Verkäufe an Deutschland inzwischen ein Elektroauto zugelegt und fungiert nun als globales Vorbild: Wer jahrzehntelang mehr Öl und Gas pro Kopf der Bevölkerung fördert als Saudi-Arabien, kann sich selbst eine grüne Energiewende locker leisten.

Deutschland zieht hier allerdings nicht nach. Die wenigen Lagerstätten liegen unter wertvollen Naturflächen oder - anders als in Norwegen - mitten im Meer. Ein Argument mehr für den Erdgas-Ausstieg und den Netzrückbau, der allmählich auch Form annimmt: Die Bundesnetzagentur (BNetzA), eine Behörde, die unter dem direkten Einfluss der Politik schon lukrative und rechtswidrige Entscheidungen getroffen hat, hat im Projekt "Kanu 2.0" die Kosten hochgerechnet, die anfallen werden, um nach dem Start mit den Nord-Stream-Pipelines auch den Rest der kritischen Infrastruktur zur Versorgung der Bevölkerung mit Erdgas loszuwerden.

Ein teurer Spaß

Es sind Summen, über die derzeit noch nicht gesprochen werden soll. Derzeit importiert Deutschland Erdgas im Gegenwert von 24,8 Milliarden Euro, das für rund 80 Milliarden Euro an die Endverbraucher verkauft wird. Nach den Berechnungen der Bundesnetzagentur versprechen die Rückbaukosten in Höhe von etwa 20 bis 35 Milliarden Euro, den Preis für Erdgas um etwa 20 bis 40 Prozent zu erhöhen. 

Das träfe am Ende allerdings nur die Kunden, die den Umstieg auf Wärmepumpe und Fernwärmeversorgung verpasst haben, weil sie zur Miete wohnen, sich fahrlässigerweise kein eigenes Haus oder eine Eigentumswohnung zugelegt haben oder ein Eigenheim in der falschen Gegend besitzen, abseits von Fernwärmetrassen oder in wirtschaftliche so weit zurückliegenden Regionen, dass die thermische Ertüchtigung ihres Altbaus an finanziellen Beschränkungen scheitert.

Die Bundesregierung hat das Problem zum Glück rechtzeitig erkannt. So viel höhere Kosten für Gas, weil die Gasnetzentgelte aus immer weniger Kassen gezogen werden - da droht eine neue Neid- und Mangeldebatte um die Frage, weshalb die ärmeren Bürgerinnen und Bürger mit ihren Steuern Fördermittel spendieren, um Wohlhabenderen und Überreichen den Umstieg auf Wärmepumpe und Elektroauto zu erleichtern. Während sie mit den teuren Erdgasrestnetzen zurückbleiben, weil sie sich weder das eine noch das andere leisten können.

Höhere Kosten vorziehen

Um das zu verhindern, will die Ampel-Koalition die absehbaren kräftigen Kostensteigerungen vorziehen. Nach dem von der BNetzA vorgelegten Schutzplan zahlen alle jetzt gleich mehr, damit die Letzten nicht die Hunde beißen, zumindest nicht so sehr. Durch die solidarische Finanzierung der Vernichtung der Erdgasnetz-Infrastruktur könnten spätere Erhöhungen abgemildert werden, heißt es im "Kanu 2.0"-Plan der Bundesnetzagentur. 

Da "erhebliche Teile" der früheren Gasnetz-Investitionen durch die Klimaschutzbemühungen der Bundesrepublik bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts "verpuffen" würden, weil Deutschland sich bis 2045 zu einer "Netto-Treibhausgasneutralität" verpflichtet habe, sei es erforderlich, bereits jetzt mit höheren Netzentgelten in die Finanzierung des Endes der Gasnetze hin einzukassieren. Anderenfalls drohten im Transformationsprozess "zu hohe Entgeltsprünge", die wiederum die politische und gesellschaftliche Stabilität bedrohen. 

Anschub zum Ausstieg

Lieber langsam nach dem Froschprinzip, dafür aber für alle und zugleich ausstiegsmotivierend. Die BNetzA schlägt mit dem Kanu-Plan zwei Fliegen mit einer Klappe: Früher stark steigende Gaspreise durch die "regulatorische Flankierung des Transformationsprozesses" sorgt für den schnelleren Gas-Ausstieg aller, die es sich leisten können. Zurückbleiben die Ewiggestrigen mit ihrer einkommensbedingten Vorliebe für Gasheizungen in schlecht gedämmten Altbauten. Ein warnendes Beispiel dafür, dass sich mit dem Klima nicht schachern lässt.

Samstag, 14. September 2024

Zitate zur Zeit: Alles schlecht

Ein Staat, der alles macht, macht alles schlecht.

Javier Milei

Noral: Wenn Werte vor allem nützen müssen

Für Fälle anwendungsorientierten Moral hat die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) den Begriff "Noral" vorgeschlagen.

Es klingt fast wie die Vorlage und kostete die Beamten und Angestellten in der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin Monate angestrengter Arbeit. Dann war es amtlich: Als "Noral" soll künftig im Alltag bezeichnet werden, was bisher als anwendungsorientierte Moral mühsam umschrieben werden musste. Im politischen Geschäft war es dadurch häufig zu Missverständnissen und Falschauffassungen gekommen - etwa, wenn Positionen, die gesellschaftlich lange als unmoralisch gebrandmarkt worden waren, über Nacht zur offiziellen Regierungslinie erklärt worden waren.

Abhilfe für die Ampel

"Noral" soll Abhilfe schaffen und helfen, die Politik der Ampel noch besser zu erklären, ohne den als herabwürdigend wahrgenommenen Begriff "Doppelmoral" zu benutzen. Das neugeschaffene Wort ist dabei nach Angaben von BWHF-Chef Rainald Schawidow nicht nur ein "elegantes Spiel mit dem englischen Wörtchen ,No' für Nein", sondern auch ein Akronym. Das "N" in der Neubildung steht Schawidow zufolge für "nützlich", das "O" hingegen für "Objekt". Ausgedrückt werden solle damit, dass anwendungsorientierte Moral von Fall zu Fall, aber immer nach Brauchbarkeit von Werten und ideologischen Grundsätzen wertet. Im "No" stecke nicht von ungefähr auch der Wortanfang von  "Notwendigkeit".

Noral hilft aus Erklärungsnöten, wenn ein wichtiges Werkzeug der Opposition sich als Bundeshetzkanal entpuppt oder Satire alles darf, nur nicht immer." Rainald Schawidow nennt den Umgang bedeutsamer westlicher Medienkonzerne mit der Kurznachrichtenplattform X als aktuelles Beispiel. Nachdem sich das Unternehmen geweigert hatte, nach der Übernahme durch Elon Musk ebenso zügig pleitezugehen wie Russland, habe kurze Zeit noch die Hoffnung bestanden, dass alternative und besser gepflegte Gesprächsräume wie Mastodon und Bluesky die von Hetze, Hass und Zweifeln genervten Nutzer zu sich hinüberziehen. "Aber obwohl viele große Stimmen mit zahlreichen Followern versucht haben, ein entsprechendes Vorbild zu geben, hat sich das nicht erfüllt."

Medial kein Hasskanal

Stattdessen erforderten es weltpolitische Ereignisse, sich medial wieder vor den Hasskanal zu werfen. "Als der venezolanische Diktator X nach seiner umstrittenen Wiederwahl sperren ließ, konnte das gar nicht anders erklärt werden als mit dem üblichen autoritären Vorgehen eines vom Volk abgelehnten Systems gegen ein "wunderbares Werkzeug des Widerstandes", wie der Bayrische Rundfunk den Messenger Telegram auf dem Höhepunkt der Proteste der belorussischen Opposition gegen Machthaber Alexander Lukaschenko getauft hatte.

"Niemand konnte oder wollte zu diesem Zeitpunkt ahnen", dass sowohl Telegram als auch X schon wenig später wieder infrage gestellt werden müssen. Frankreich nahm den Telegram-Gründer fest, das erst vor kurzem wieder demokratisierte Brasilien sperrte X, in Deutschland forderten der grüne Vordenker Anton Hofreiter und Katarina Barley, die nach kurzem Wahlkampf wieder nach Straßburg entschwundene starke Stimme der SPD, dass Europa nachziehen müsse, um die Verbreitung von  "menschen- und verfassungsfeindlichen Inhalte" "an der Wurzel" anzugehen.

Digitale Radikalisierungen

Die wächst nicht irgendwo, die schlägt nicht aus, weil Bürgerinnen und Bürger aus nur ihnen bekannten Gründen meinen, sie müssten sich auf elektronischem Weg Luft machen wie früher am Stammtisch. "Die Wurzel", zitiert Rainald Schawidow aus dem Entwicklungs- und Fertigungsauftrag für einen "beschreibenden Begriff, der künftig anstelle von ,Doppelmoral' verwendet werden soll", "liegt in Radikalisierungen im digitalen Raum". Mit "Noral" antworte die BWHF zielgenau auf eine neue Herausforderung. "Wenn zwei das Gleiche tun, aber nur einer dafür kritisiert wird, kann das in Zukunft nicht mehr als Doppelmoral ausgeschmiert werden."

Es ist Noral, eine an Notwendigkeit und Nützlichkeit orientierte neue Moralkategorie, die sich traditionellen Vorstellungen von Moral und Ethik entzieht. Das von einem Kollektiv aus kundigen Worthülsendrehern, Propaganda-Poeten und Schlagwortdichtern zusammengeschraubte brandneue Wort sei keineswegs nur im digitalen Bedeutungskampf, sondern jedoch gesellschaftsübergreifend anwendbar, ist Rainald Schawidow zuversichtlich. "Sobald Werte vor allem nützen müssen, lässt sich über die Erwähnung, es sei eine noralische Pflicht, dieses oder jenes zu tun, in jeder Debatte auf eine Metaebene wechseln, die unerreichbar für Kritik ist."

Freitag, 13. September 2024

Kampf gegen rechts: Verbotszonen gegen Verfassungsfeinde

Solche Verbotszonen gegen Verfassungsfeinde könnten bald überall in deutschen Städten und Gemeinden für mehr Sicherheit sorgen.

Das Verbot der langen Messer reichte nicht, es wurde skrupellos unterlaufen. Pläne, bald auch für kürzere und ganz kurze Klingen ein Trageverbot zu verhängen, drohen daran zu scheitern, dass die Kräfte zu umfassenden und regelmäßigen verdachtsunabhängigen Kontrollen wohl fehlen werden. Ohne große Angst vor Entdeckung könnten Rechtsextreme und Rechtsextremisten weiterhin zumindest kurze Blankwaffen führen - selbst die geplante Ausgabe von Messerberechtigungsscheinen über die Ordnungsämter wird daran so schnell nichts ändern, weil selbst die beste Bürokratie erst in Gang kommen muss und es selbst bis zu einer digitalisierten Meldelösung mehrere Jahre dauern dürfte.

Nutzen für die Falschen

So viel Zeit aber hat Deutschland nicht mehr. Seit Solingen schon ist klar, dass jeder Angriff den Falschen dient. Eine weiter steigende Messerinzidenz droht zum Vernichtungssturm zu werden, der im politischen Berlin keinen Stein auf dem anderen lässt. Guter Rat ist teuer, doch das Geld ist da, weil der Staat gut wirtschaftet hat. Eine Arbeitsgruppe am Climate Watch Institut (CWI) im sächsischen Grimma hat den heißesten Sommer seit Erfindung der Schrift deshalb genutzt, um alternative Lösung für das so lange geleugnete Problem rechter Gewalt zu finden.

Unter der Leitung von CWI-Wissenschaftler Ulf Gerlemann-Samasat, der den Stralsunder Verbrechensbeobachter Lars Rahmberg in sein interdisziplinäres Team holte, gelang es, aus den im Umgang mit der "Messer-Angst in Deutschland" (Bild) gemachten Erfahrungen ein probates Mittel gegen die sogenannten "national-befreiten Zonen" in vielen ostdeutschen Innenstädten zu finden. Rahmberg, der an der Ostseeuniversität im dänischen Bornholm kriminalistische Relativierung lehrt und als besonders guter Kenner der maskulinistischen Messerkultur gilt, die seit Hunderten von Jahren in konservativen und traditionalistischen Kreisen herrscht, riet dabei von Anfang an, auf teure und unerprobte Verfahren zu verzichten.

Klare Ansprache

"Ich bin der Meinung, dass eine klare Ansprache und deutliche Zeichen immer am besten durchdringen", sagt der bekannte Kritiker des medialen Umgangs mit Einzelfällen, die "erst hochgejazzt und nur Stunden später wieder weggepackt werden", wie er sagt. Wichtig sei es, die zuletzt immer wieder vorgelegten Polizeibilanzen zu Messer-Straftaten nicht überzubewerten. "Oft wird dabei nur auf das Messer als verbindendes Element fokussiert und die Täter geraten uns aus dem Blick." 

Ulf Gerlemann-Samasat, der als 2. Assistent der Referatsleiters IV in der Umweltabteilung des CWI eigentlich auf den raschen Rückbau der Öko-Bürokratie spezialisiert ist, stimmt dem im Grundsatz zu: "Bei unserer Suche nach einer Lösung haben wir uns deshalb alle Scheuklappen verboten", sagt er. Von  möglichen Impfstoffen über das generelle Verbot von Messern mit Klingen bis hin "klugen, aber klaren Regeln", die die Vergabe von Messerlizenzen an das Vorlegen polizeilicher Führungszeugnisse abhängig macht und eine Pflichtüberprüfung durch den Verfassungsschutz vorschaltet, sei alles "ohne Vorgaben von oben" bedacht worden.

Einfache Lösungen

Die Lösung, die die Forschende nun vorschlagen, ist verblüffend einfach: Wie heute schon an vielen Orten in Deutschland bereits Messerverbotszonen ausgewiesen werden, plädiere man für die Einführung einer neuen Verbotszonenkategorie, die Nazis generell ausschließt. "Das erspart die schwierigen Kontrollfragen, die sich beim absoluten Messerverbot stellen", sagt Gerlemann-Samasat. An ihren Springerstiefeln, den Glatzen, einschlägigen T-Shirts, Jacken und Tattoos sei die Mehrzahl der Gefährder für geschulte Beamte sofort zu erkennen. "Auch diejenigen, die versuchen, sich mit eher linksüblichen Statussymbolen zu tarnen, fallen in einer Nazi-Verbotszone natürlich auf."

Da es "höchste Zeit" sei, "der Verrohung und Gewalt etwas entgegenzusetzen", europäisches Recht aber verhindere, dass rechtsradikale Gefährder in benachbarte Partnerstaaten abgeschoben werden, "bekommen wir die Zahlen nur über solche klaren Regeln und deutlichen Verbotszonen rasch runter", ist Lars Rahmberg überzeugt. "Über Verbotszonen für Waffen und anlasslose Gepäck- und Taschenkontrollen durch die Bundespolizei", bekräftigt Ulf Gerlemann-Samasat, "machen sich die wirklich harten Gefährder doch nur lustig."

Trump: Der Hetzer der Herzen

Beinahe läuft es in den USA wie in Deutschland: Die Regierung tut seit Jahren alles, um ihre eingeschworenen Gegner ins Amt zu befördern.


Erst hatte der "Gesetzesbrecher Donald Trump" (Karl Doemens) sich die republikanische Partei komplett unterworfen. Dann gewann er die Vorwahlen der Republikaner. Dann das Attentat. Dann der Wahlsieg gegen einen maladen Greis, der aus dem Weißen Haus heraus noch weniger Wirklichkeit wahrnahm als der deutsche Kanzler aus seiner Waschmaschine. Die Präsidentschaftswahlen hatten gerade erst begonnen – da waren sie praktisch schon vorbei.  

Kerze in dunkler Nacht

Doch unversehens kam Kamala Harris, eine Kerze in dunkler Nacht. Die Demokraten schöpften wieder Hoffnung und nicht nur die in der Partei, sondern auch die in Europa. Das Rededuell gewann Harris im Vorbeigehen. Taylor Swift entschied sich anschließend, es die ganze Welt wissen zu lassen. Käptn, mein Käptn!

Seitdem ist es endgültig wieder möglich, dass der Mann, der "einen Putschversuch angezettelt" hat und "sich in vier Strafverfahren wegen insgesamt 90 Gesetzesverstößen verantworten" muss (FR), doch noch gestoppt wird, obwohl er bei Frauen und Männern, bei Menschen mit College-Abschluss und ohne, auf dem Land und selbst in den Vorstädten punktet.

Allen Beobachtern ist nach wie vor ein Rätsel, woran das liegen könnte, Trump ist weder sympathisch noch schön, er ist weiß, alt und arrogant, er missachtet Höflichkeitsformen und hat nicht die Deutschland so sehr geschätzte Ex-UN-Botschafterin Nikki Haley zu seiner Vize-Kandidaten gemacht, sondern einen Buchautor. Ein Umstand, mit dem die Deutschen gleich in mehrfacher Hinsicht üble Erfahrungen gemacht haben. 

Biden ist gegen ihn

Wie alle anständigen Menschen ist Haley aus objektiven Gründen inzwischen gegen ihn. Wie alle Politiker, die nicht wissen, warum der Gegner sie eigentlich dauernd düpiert, hat aber auch Joe Biden begonnen, Trump-Politik zu machen. Grenzen dicht, Obergrenze. Eines der ersten ersten und wichtigsten Wahlversprechen von Kamala Harris war es, Trumpf Trinkgeld-Zusage zu übernehmen. 

Es wirkt das Hebelgesetz der Demokratie,  dem die Deutschen in diesen Tagen staunend bei der Arbeit zuschauen. Binnen Stunden ändern sich Gesetzeslagen, ohne sich zu ändern. Nur weil die alle politischen Mitspielern bekannt ist, dass man die Opposition fordern lassen kann, so lange und so viel sie will. Nur wenn sie fordert, was die Bevölkerung möchte, dann muss man aufpassen. Denn wer nun noch länger leugnet, schaut am Ende zu, wie andere daraus ein Regierungsprogramm machen.

Vorturner und Abrissbirne

Donald Trump ist der Vorturner einer Politik, die weniger Wert auf den Jubel aus Redaktionsstuben, Uni-Bibliotheken und den Vorfeldorganisationen der Parteien legt als auf das gute Gefühl, getan zu haben, was er richtig findet. Ein Instinktfußballer, der ohne Programm auskommt, weil er weiß, was er will.

Trump ist die Abrissbirne für ein in sich geschlossenes politisches System, das sich auch in den USA in einem ersten Zug mehr und mehr Zuständigkeiten für das Leben jedes Einzelnen erteilt hat, stets mit dem Versprechen, sie besser lösen zu können als es sich Bürgerinnen und Bürger je hätten zu träumen gewagt. Um dann in einem zweiten Schritt an der Aufgabe zu scheitern, überhaupt nur festzulegen, was getan, reguliert, überwacht, besteuert und verboten werden muss.

Kampagne unterwandert

Daran ist nichts mehr zu reparieren. Zu groß, zu mächtig, zu bürokratisch erscheint der Apparat, zu sehr von eigenen Interessen geleitet der politische Betrieb. Natürlich ist in EU-Europa noch einmal alles mehrere Stufen komplizierter. Die alles umwölbende Bürokratie findet hier in Zwiebelschichten statt, über den Parlamenten thront eine Art Operettenparlament, über diesem wiederum eine "Kommission", die ihre eigenen Stolperfüße nicht mehr sehen kann und deshalb zuletzt einen intimen Kenner der verfahrenen Verhältnisse um solidarische Hinweise bitten musste. 

Aber das Prinzip ist ähnlich und die Lösungen liegen auf der Hand: Trumps Vorschlag etwa, auf Trinkgelder keine Steuern zu verlangen, war so gut, dass Kamala Harris ihn zu ihrer eigenen machte. Trump hatte sich nun auch die Kampagne seiner Gegnerin unterworfen.

Nicht komplett natürlich. Im Gegensatz zu Harris, über deren Pläne für den "Neuen Weg vorwärts" die Welt bis vor Stunden weitgehend im Unklaren war, hat Trump dafür schon vor Monaten eine Latte von 20 Forderungen und Versprechen ins Internet gestellt. Auf Deutschland übertragen bewegt sich der "König, Guru und diabolische Verführer" (Doemens) irgendwo zwischen CDU, CSU, FDP, BSW, AfD und SPD. 

20 Kernversprechen

Migrant:innen werden wie in Deutschland inzwischen üblich als Gefährder denunziert, Trump verspricht Abschiebungen im großen Stil wie Olaf Scholz, er schürt Sorgen vor kriminellen Ausländern wie Friedrich Merz und er kündigt Steuersenkungen an wie Christian Lindner. Dazu kommt Karl Lauterbachs Schutz der Krankenversicherung, die für alle bezahlbar bleiben soll. Robert Habecks Plan, Deutschland zu einem großen Energieexporteur zu machen, aber gleichzeitig mehr Produktion ins Land zurückzuholen, ist ein Kernbaustein der Angebote des "komplett enthemmten Möchtegern-Autokraten" (FR) an die amerikanischen Wähler.

Jeder, der die Parolen von der EU-Wahl noch im Ohr hat, erkennt das Prinzip. "Wirtschaft liebt Freiheit so wie Du", hieß es da, es ging um "Demokratie schafft Freiheit", "Krieg oder Frieden" und um "Sicherheit", ein "starkes Europa" und darum "innovativer als Silicon Valley" werden zu wollen. Donald Trump hat allen Parteien zugesehen und eine Essenz aus ihren Ideen gekocht. Er wolle ein "Land von Recht und Ordnung" aufbauen, wenn er erst wieder im Oval Office sitze.

Eine Ankündigung von 20 sogenannten Kernversprechen, um Amerika wieder groß zu machen. Karl Doemens, der sein halbes Leben der Verhinderung von grundstürzenden Reformen gewidmet hat, schüttelt es.

  1. Die Grenze abriegeln und die Migranteninvasion stoppen
  2. Die größte Abschiebeaktion der amerikanischen Geschichte durchführen
  3. Die Inflation beenden und Amerika wieder erschwinglich machen
  4. Amerika zum mit Abstand größten Energieproduzenten der Welt machen!
  5. Das Outsourcing beenden und die Vereinigten Staaten zu einer Supermacht der Produktion machen
  6. Große Steuersenkungen für Arbeitnehmer und keine Steuer auf Trinkgelder!
  7. Unsere Verfassung verteidigen, unsere Bill of Rights und unsere Grundfreiheiten, einschließlich der Redefreiheit, der Religionsfreiheit und des Rechts, Waffen zu besitzen und zu tragen.
  8. Den dritten Weltkrieg verhindern, den Frieden in Europa und im Nahen Osten wieder herstellen und einen großen Raketenabwehrschild mit eiserner Kuppel über unserem gesamten Land errichten – alles Made in America.
  9. Die Aufrüstung der Regierung gegen das amerikanische Volk beenden.
  10. Die Epidemie der Migrantenkriminalität stoppen, die ausländischen Drogenkartelle zerschlagen, Bandengewalt unterdrücken und Gewalttäter einsperren.
  11. Unsere Städte wieder aufbauen, einschließlich Washington D.C., und sie wieder sicher, sauber und schön machen.
  12. Unser Militär stärken und modernisieren, um es ohne Frage zum stärksten und mächtigsten der Welt zu machen
  13. Den US-Dollar als Reservewährung der Welt erhalten
  14. Die Sozialversicherung und Krankenversicherung ohne Kürzungen schützen, einschließlich keiner Änderung des Renteneintrittsalters
  15. Stornierung der Elektroautopflicht und Abbau kostspieliger und belastender Vorschriften
  16. Kürzung der Bundesmittel für Schulen, die unseren Kindern kritische Rassentheorie, radikale Genderideologie und andere unangemessene rassistische, sexuelle oder politische Inhalte aufdrängen
  17. Halte Männer vom Frauensport fern
  18. Deportierung von Pro-Hamas-Radikalen, um unsere Universitätsgelände wieder sicher und patriotisch zu machen
  19. Sicherung unserer Wahlen, einschließlich Stimmabgabe am selben Tag, Wählerausweis, Stimmzettel und Staatsbürgerschaftsnachweis
  20. Unser Land vereinen, um es zu neuen und rekordverdächtigen Erfolgen zu befähigen

Donnerstag, 12. September 2024

Sauer im Abgang: Wenn niemand mehr etwas von Dir wissen will

Das "Projekt", so nennt es der Gesundheitsminister noch immer, startete mit Euphorie. Nach 16 bleiernen Merkel-Jahren trat deren Koalitionspartner SPD endlich ins Licht. Über Jahre hatten die Parteistrategen gegrübelt, geplant und sich ausgedacht, wie sie die Gesellschaft fit machen würden für eine gerechte, nachhaltige und umfassend klimatechnisch reformierte Zukunft. 

Sauer statt lustig

Gleich zu Anfang kamen die Pläne der beiden Koalitionspartner noch obendrauf. Die Grünen brachten Ideen mit, wie nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt in nur wenigen Jahren komplett umgebaut werden könnte. Die Liberalen dachten an Steuererleichterungen, später. Erstmal aber war es gut, lieber zu regieren als regiert zu werden, denn nur so lässt sich alles Falsche zumindest noch abmildern.  

Das Dreierbündnis erregte Aufsehen. Selten zuvor hatte Deutschland so ein hübsches Kabinett: Hier der knurrige, kleine Kanzler, fast glatzköpfig, aber mit einem sogenannten Schlumpfenlächeln, das ihn sympathisch macht. Er redet nicht viel, sondern regelt die Sachen als Chef. Dafür ist sein Vizekanzler von den Grünen eine sprechende Verheißung. Wenn Robert Habeck das Wort an die Bevölkerung richtete, schwärmte das Land. So ehrlich. So eindringlich. So emotional. 

Seele streicheln

Nie zuvor seit vielen Jahren hatte jemand die Seele der Menschen so zart gestreichelt und ihre Fantasie geküsst, dass am Ende kaum mehr jemand zu sagen wusste, worum es eigentlich gegangen war. Fasziniert von der Aussicht, der erste Staat der Welt zu sein, der klimagerecht, nachhaltig und demokratisch auf elektrischer Basis wirtschaftet, gingen die Massen mit. Die Grünen bauten ihre Beliebtheit aus. Die SPD fand sich mit ihrem Kanzler ab, einem Mann, den sie als Parteivorsitzenden nicht hatte haben wollen und als Kanzlerkandidaten nur aufstellte, weil sie sich sicher wähnte, dass das Rennen ohnehin verloren war.

Was genau die Menschen mitnahm, wenigstens in den ersten Stunden, war auch bei Annalena Baerbock und Karl Lauterbach nicht klar, den beiden anderen beliebten Köpfen im Kabinett. Sie war das schönste Gesicht der Ampel, das sich stolz überall auf dem Globus zeigte. Er übernahm die Rolle des Kärrners, der seine kaum zu bewältigende Sisyphus-Aufgabe mit großer Lust erledigt. Dafür aber verdeutlichte Christian Lindner, Vizekanzler Nummer 2, immer wieder, worum es ihm ging. Ja, das reicht noch nicht. Unbedingt müsse man da schneller werden. Es würde länger dauern, aber das sei nicht gut. Doch wäre er nicht dabei, wer weiß, wie es dann aussähe. 

Zauber des Anfangs

Der Zauber des Anfangs, er hatte die Deutschen schon ein wenig verzaubert. Wie die Statistiken der Suchmaschine Google verraten, interessierten sich zu Beginn der Ampeljahre Millionen Menschen für die neuen Hauptdarsteller im Staatstheater. Vor allem Baerbock, Scholz und Lauterbach erlebten einen wahren Aufmerksamkeitsansturm. Wer sind diese Unbekannten, die uns führen, fragten sich die Menschen. Wieso steht Annalena Baerbock unterm Eiffelturm und was macht Olaf Scholz vor diesem Trumm von Gasturbine? 

Niemand weiß es mehr, aber es interessiert auch keinen. Obwohl die führendsten Ampel-Politiker eine höhere Medienpräsenz genießen als Minister einer Bundesregierung oder Parteichefs jemals vergönnt war, ist das Interesse der Öffentlichkeit weitgehend erlahmt. Die Statistik der Suchanfragen bei Google (oben)  zeigt: Die Ampel ist abgeschrieben. Was sie tut oder nicht tut, plant oder zu unterlassen vorhat, sagt oder verschweigt, wird draußen im Land für ähnlich wichtig gehalten wie die Zusage, bald ein Klimageld auszuzahlen oder das Wahlkampfversprechen der wummsgetriebenen "Magiconomics" doch noch umzusetzen.

Warten auf das Ende

Keiner glaubt noch irgendetwas, keiner erwartet noch Führung oder Entscheidungen anstelle des unablässig grummelnden Dreierstreits zwischen Grün, Rot und Gelb. Ein Land wartet, dass es endlich vorübergeht. Selbst ob es ein Ende mit Schrecken wird, plötzlich und unerwartet eines Abends aus nichtigem Anlass in der "Tagesschau" erklärt, oder der Schrecken noch bis zum bitteren Ende am Wahltag im September 2025 währt, ist mittlerweile auch egal.

Tag der Abrechnung: Der traurige Triumph von Lissabon

Europa Lissabon-Strategie 2000 Bar namens Europa
Lissabon II lockt: Mit neuen Milliardenschulden will Mario Draghi die EU planmäßig aus der Wachstumsdepression führen.

Als Mario Draghi im Mai 2000 den Vorsitz des Wirtschafts- und Finanzausschusses der Europäischen Union übernahm, war alles noch frisch. Fast roch sie noch nach Farbe, die Lissabon-Strategie, mit der die EU sich in den wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt verwandeln wollte. Der Euro war eine strahlende Vision, die Gemeinschaft ehrgeizig, der Plan kühn: Könnte man mit Regulierung bis zum äußersten Anschlag, strengen Planvorgaben, mit Verboten, Maßgaben und verbindlichen politischen Zielen die Produktivität und Innovationsgeschwindigkeit auf einem Kontinent erhöhen, der kurz davor stand, Staaten mit völlig unterschiedliche Volkswirtschaften mit dem eisernen Band einer einheitlichen Währung zu fesseln?

Ein umjubeltes Experiment

Ein spannendes Experiment, dessen Start von Jubel umtost war. Immerhin aber gaben sich die Staatenlenker zehn Jahre Zeit bis zu Erfüllung. Zehn Jahre gelten im politischen Raum als idealer Korridor. Zumeist reicht diese Zeitspanne, um Dinge vollkommen in Vergessenheit geraten zu lassen. Droht doch ein Tag der Abrechnung, wird häufig schon vor dem Enddatum ein neues Fass aufgemacht: Noch hochfliegendere Pläne und ehrgeizigere Ziele ersetzen dann das absehbar scheiternde Ursprungsvorhaben. Ein neuer Name motiviert zudem regelmäßig zu neuer Zuversicht. Zugleich wird dann immer die Zeitspanne verlängert - im Fall der "Lissabon-Strategie" folgte "Europa 2020", für noch "intelligenteres, nachhaltigeres und integrativeres Wachstum".

Mario Draghi war immer dabei, mal hier und mal dort, aber stets in wichtiger Funktion. Wie die anderen aus dem nur zwei, drei Dutzend führender Köpfe umfassenden Zentralpersonalvorrat der Gemeinschaft stellte der wackere Italiener Weichen hier und Weichen da. Er sagte als EZB-Chef den Satz von "egal, was es kostet", rettete damit den Euro und durfte mit 74 schließlich italienischer Ministerpräsident werden. Nur kurz allerdings, denn nach nur etwas mehr als einem Jahr gab er den Regierungsauftrag zurück.

Glück für die EU

Zum Glück für die EU, die schon lange jemanden gesucht hatte, der ihr sachlich und ganz ehrlich Auskunft darüber gibt, wie sie 25 Jahre nach der Ausrufung der Lissabon-Strategie wirtschaftlich dasteht. Hat die Gemeinschaft der 27 wie geplant Japan und die USA hinter sich gelassen? Ist die größte Staatenfamilie "im Rahmen des globalen Ziels der nachhaltigen Entwicklung ein Vorbild für den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt in der Welt" geworden? Und wie steht es um die geplanten Innovationen, die "als Motor für Wirtschaftswachstum" hatten dienen sollen?

Draghi, als früherer EZB-Chef den Umgang mit Millionen - anfangs - und Milliarden gewohnt, hat nun geliefert. Und eine klare Rechnung aufgemacht: Ein knappes Vierteljahrhundert nach dem großen Sprung von Lissabon braucht die EU für Innovationen Investitionen von bis zu 800 Milliarden Euro, selbstredend zusätzlich zu allem, was an Sonderschulden und Wiederaufbauprogrammen sonst so unter die Leute geworfen wird. Das sind rund 4.000 Euro pro Arbeitnehmer in der EU, mithin keine Summe, die Ursula von der Leyen nicht aus dem Ärmel schütteln könnte, würde man sie lassen.

Niemand hat Schuld

Das ist aber auch schon das Positive am Urteil des EU-Altinternationalen. Denn Mario Draghi ist es in dem Jahr, seit er beauftragt wurde, herauszufinden, "wie die EU ihre Wirtschaft wettbewerbsfähig halten kann" (Tagesschau) augenscheinlich nicht gelungen, herauszufinden, warum sie über diese Frage überhaupt nachdenken muss. Natürlich, "Sorge bereiten ihm die USA und China", zwei Wirtschaftsräume, in denen es irgendwie anders läuft, um nicht zu sagen besser. Aber liegt das an der Sprache dort? Am Wetter?

Er weiß es nicht. Fakt sei aber, dass in Europa die Produktivität schwach, sehr schwach" ausfalle, so dass sich "zwischen der EU und den USA eine große Lücke im Bruttoinlandsprodukt aufgetan" habe. Mit der Folge, dass das "verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in den USA seit 2000 fast doppelt so schnell gestiegen sei wie in der EU und die europäischen Haushalte den Preis in Form eines entgangenen Lebensstandards gezahlt" hätten.

Nicht hat Gründe

Nur woran das lag, war offenbar nicht herauszubekommen. Draghi ist zwar der verpassten Digitalisierung auf die Spur gekommen, er hat auch herausgefunden, dass die EU kaum Hightech-Konzerne vorzuweisen hat und im Internet die zwölfte Geige spielt. Ursachen aber hat das nach Angaben des inzwischen 77-Jährigen keine. 

Hier mal was verpasst, ja, unglücklich. Dort nicht aufgepasst und überholt worden, nun ja, nicht zu ändern. Nur vier der 50 größten Technologieunternehmen der Welt seien europäische Unternehmen, hat Draghi in seinen einjährigen Recherchen ermittelt. Wer hätte das gedacht? Darüberhinaus aber "fragt euch nach den Gründen nicht!" (Heinrich von Kleist). Kein Gedanke daran, dass bestimmte politische Weichenstellungen es gewesen sein könnten, die Europa einen sicheren Platz im Besenwagen des Fortschritts beschwert hat. 

Überregulierung? Planwirtschaft? Politische Zielvorgaben, die Firmen in den Käfig behördlich geförderter Innovationen zwingen? Ein Kapitalmarkt, der so kompliziert und überbeaufsichtigt ist, dass selbst die wenigen erfolgreichen Neugründungen lieber in Übersee an die Börse gehen? Mario Draghi hat 13.000 Gesetzte und Rechtsakte gefunden, die die EU mit 30.000 zusätzlichen Beamte und Beauftragte erdacht und eingeführt hat. Doch der erfahrene Italiener wäre kein alter EU-Kämpe, wenn er anfangen würde, am Europa der Bürokraten herumzukritteln, nur weil es dringend nötig erscheint.

Der Ablenker

Nein, dem Mann, der an der Wiege der Lissabon-Strategie stand, schwebt stattdessen eine Fortsetzung der bisherigen Erfolgsgeschichte vor. Welche Regulierungen, rechtsakte und EU-Gesetze bräuchte es, um mit noch mehr Planwirtschaft, mehr Zentralismus und weiteren 13.000 kleinteiligen Vorschriften alles zu verändern, aber nichts? Nur noch größer, schöner und mit einem noch neueren Namen. Ein "Marshallplan" soll es sein, das zieht immer, irgendwer soll aus dem Geldtopf, der so heißt, von dem aber nicht klar ist, wer ihn füllen wird, mächtige "zusätzliche jährliche Mindestinvestitionen von 750 bis 800 Milliarden Euro" ausschütten. Beantragung, Vergabe und Kontrolle könnten sich am Corona-Wiederaufbaufonds orientieren. Das würde wenigstens ein Drittel der nicht vorhandenen Mittel sparen, so dass der Rest deutlich länger reichen dürfte.

Die Magie der großen Zahl, keiner weiß sie besser einzuschätzen als Mario Draghi, dem aus jahrelanger Tätigkeit als Populist auch sehr gewärtig ist, wie sich wichtige Fragen durch belanglose Details überblenden lassen. Dass seine Milliardenforderung einer Förderung von irgendwas, was niemand weiß, "mehr das Doppelte der Hilfen aus dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg" betrage, ist ebenso hilfreich wie es der Hinweis gewesen wäre, dass Geld Tore schießt, aber die Abwehr Meisterschaften gewinnt.

Draghis Thema

Draghis Thema ist denn auch ein ganz anderes. Treu im Dienst der europäischen Sache empfiehlt der Italiener die Aufnahme neuer Gemeinschaftsschulden nebst neuer Instrumente zum Eintreiben von EU-Eigenmitteln, eine Paraphrase, die im Europäischen für eigene EU-Steuern, EU-Einfuhrzölle und EU-Extraabgaben wie die auf Plastik steht. Hochverschuldete Länder wie Italien (sic) und Frankreich sind schon lange dafür, Deutschland und die Niederlande wehren sich noch. Doch wie lange können sie das, wenn der Euro-Retter Draghi die Europäer vor einer "existenziellen Herausforderung" warnt? Wer will schon schuld sein, wenn es wieder nicht klappt mit dem wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum?

Lissabon II schimmert schon am Horizont. Neue, riesengroße Pläne. Zentrale Planung, Leitung und Durchführung. Engmaschige Aufsicht über Innovationen. Neue Cookie-Aufhebungscookie-Richtlinien. KI-Act und Chips-Act und die "Senkung der Energiepreise"! Dazu die "Verringerung der Abhängigkeit von anderen Ländern" durch eine bessere "Justierung der Klimapolitik in der EU". Mario Draghi hat Hoffnung mitgebracht, dass eine weitere Runde großer Ankündigungen weitere Jahre für ein bedingungsloses Weiterso kaufen können.

Gleichschritt oder Tod

Es hält sogar für nicht unmöglich, sondern für "sehr wahrscheinlich, dass die Dekarbonisierung eine Wachstumschance ist". Voraussetzung aber sei Einigkeit in allen 27 Mitgliedsstaaten und die Durchsetzung gleicher Regeln und Vorschriften auf dem gesamten Kontinent - ein Ding also, das in der EU noch niemals gelungen ist. Bleibt es diesmal dabei, so Draghi, bestehe "die Gefahr, dass die Dekarbonisierung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Wachstum zuwiderläuft". Um noch mehr Vorschriften führt also gar kein Weg herum.

Mittwoch, 11. September 2024

11. September 2001: Das endlose Echo des Islamismus

Die Erinnerung lässt nach, obwohl täglich Anstöße zur Erinnerung erfolgen.

Heute jähren sich die Anschläge vom 11. September 2001 zum 23. Mal. Wenige Daten haben sich so eingeprägt und die Weltgeschichte so nachhaltig beeinflusst wie dieser Tag, wenige Ereignisse sind immer noch so präsent, dass selbst in Deutschland jeder sagen kann, wo er damals war, als die Türme fielen. Der 9/11 war der Tipping Point in eine andere Welt, der Moment, in dem der islamistische Terror sich zum ersten Mal stolz in seiner ganzen Erbärmlichkeit vor aller Augen zeigte. Der Westen hat daraufhin wie üblich reagiert. Augen zu. Kopfschütteln. Pfeifen im Keller.

Die Erfindung des "Islamismus"

Es hat geholfen. Obgleich der Islam in seiner als "Islamismus" verbal abgespaltenen überaggressiven Ausformung in Europa so präsent ist wie noch nie, ist der 11. September als Geburtstag einer neuen Weltordnung in die Phase der stillen Historisierung eingetreten. Wo anfangs noch erinnert und aufgearbeitet, analysiert und beschrieben wurde, herrscht schon seit Jahren tiefes, strenges Schweigen, allenfalls unterbrochen durch ein kurzes, pflichtschuldiges Erinnern. 

Irgendwas anderes ist immer, mal ein laufender Wahlkampf, mal ein aktueller Anschlag, mal die Sorge um die Wirtschaft, mal die Angst vor dem Russen oder vor dem zu niedrigen Füllstand der Gasspeicher. Bei den großen Blättern hat inzwischen auch eine Generation übernommen, für die der Angriff des Steinzeit-Islam auf die westliche Welt nur ein paar Seiten im Geschichtsbuch sind. Sie glauben, es hieß immer schon "Muslime". Sie haben das deutsche Wort dafür nie gehört. Und wissen so wenig, wie und warum es verschwunden wurde, wie ihnen auffällt, dass es Islam und Islamismus gibt, aber nicht Christentum und Christentumismus oder einen Begriff für mit dem Schwert missionierenden Buddhismus.

Hasser des Westens

Die Welt von heute ist nicht mehr die, die sie vorher war. Doch denen, die danach kamen, erscheint sie so. Die Angriffe auf nichtsahnende Zivilisten, begangen von westlich sozialisierten Hassern des Westens, waren ein Startschuss, der bis heute nachhallt. Der Terror, der schon besieht schien, schlich sich in den Alltag der westlichen Gesellschaften. Deren Anführer, lebensunerfahrene Amateure, die 11. September 2001 noch Grundschule gingen oder gerade auf Gymnasium gewechselt waren, ignorierten die Langzeitwirkung der demonstrativen Tat. Sie hielten und halten die strikte Verleugnung für die schärfste Waffe des Westens gegen die Angst.

Die heroischen Sätze, dass "wir uns unser Lebensweise nicht wegnehmen" lassen und "uns dem Terror nie beigen werden", haben bis heute zahlreiche Menschenleben gefordert. Nicht auf einen Schlag, aber nach und nach. Das als singulär begriffene Ereignis eines massenmörderischen Anschlages des gewalttätig missionierenden Islam ist zur Dauererscheinung geworden, gegen die Betonsperren so wenig wie Messerverbotszonen helfen. 

Hydra mit neuen Köpfen

Seit 2001 hat sich die Welt der Zivilisationen des Westens deutlich verändert. Je länger die Herausforderung durch fanatische Islam-Anhänger keine Rolle spielte, umso größer wurde sie. Al Kaida starb, der Hydra wuchs mit dem IS ein neuer Kopf. Der IS ging unter, aber er ist immer noch da. Die Hamas, die "palästinensische Sache" (Georg Restle) und der Islam, der "zu Deutschland gehört" (Nancy Faeser), sie sind Fasern vom selben Fleisch. Ginge es nur um Terror, den eine kleine Gruppe im Irrglauben an die Richtigkeit einer extremen Auslegung des Koran ausübt, eine Art islamistischer RAF, die den Krieg in die Wohnzimmer des Feindes tragen will, hätte die Welt kein Problem. 

Doch der Islam, mit 1,6 Milliarden Gläubigen weltweit die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft nach dem Christentum, lebt beinahe überall dort, wo er Gesellschaften dominiert, mit aller Kraft einen Allmachtsanspruch. 26 von 44 größeren Staaten auf der Erde, die an der Todesstrafe festhalten, sind islamisch geprägt. Unter den Ländern, in denen die Prügelstrafe verboten ist, befindet sich kein islamisch geprägtes. An den Grenzen zwischen muslimischen Siedlungsgebieten und denen Andersgläubiger kommt es häufiger zu blutigen Konflikten als an den Saumrändern zwischen irgendeiner anderen Kombination an Religionen.

1402 Jahre nach dem Aufbruch Mohammeds


Es ist kann dem stolzesten Moslem nicht leichtfallen, 1402 Jahre nach dem Aufbruch Mohammeds in die Oasenstadt Medina stolz auf die Errungenschaften des jüngeren Ablegers und Konkurrenten des Glaubens an Gott und Jesus und Maria zu sein. Wenn Allahs Länder Handball spielen wollen, importieren sie Spanier. Im Gegenzug schicken sie junge Männer, die sich dort, wo ihnen Schutz vor Verfolgung, Unterkunft, Essen und eine Zukunft geboten wird, in die Luft sprengen. 

Wenn arabische Länder guten Fußball sehen wollen, schalten sie die europäische Champions League ein, für die eigene Liga verpflichten sie Christen, die aber um Gottes willen nicht als solche in Erscheinung treten dürfen. Die Anhänger Mohammeds haben so viel Angst vor der Konkurrenz, das in Saudi-Arabien auf den Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion die Todesstrafe steht.

Länder mit der geringsten Lebensqualität


Ist der Islam Ursache oder Folge? In mehr als die Hälfte der Länder mit der geringsten Lebensqualität dominiert der Koran das öffentliche Leben. Ganze zwei Nobelpreise sind in den vergangenen 115 Jahren in die islamische Welt gegangen. Frauen sind hier Menschen mit geringen Rechten, Ajatollahs und Imame bestimmen, wie kurz ein Rock sein darf. Schiiten und Sunniten liefern sich seit Hunderten von Jahren einen unversöhnlichen Krieg um die Frage, ob der eine Nachfahre des Propheten oder der andere den Babo machen darf. Eines der wenigen muslimischen Länder, das dank seines Ölreichtums nicht auf Alimente aus dem Westen angewiesen ist, peitscht Gotteslästerer aus und steinigt Ehebrecherinnen.

Der 11. September war eine Zeitenwende, die noch nicht beendet ist. Während Islamisten ihre Taten damit begründen, dass sie nur zurückschlügen gegen einen gottlosen Westen, läuft in den Ländern des Propheten seit Jahrzehnten das größte Segregationsprojekt der Menschheitsgeschichte. Den Jemen, ein failed state, den kriegslüsterne Terroristen regieren, haben die Juden bereits verlassen. Die Alawiten werden aus dem Irak gejagt, die Christen müssen Syrien verlassen. Die Türkei unterdrückt alles, was nicht Moslem ist. Saudi-Arabien zerstört die Kirchen auf seinem Staatsgebiet. 

Der als Allmächtiger gerühmte Allah ist nicht in der Lage, seine Anhänger zu ernähren, zu kleiden und ihnen die Bildung angedeihen zu lassen, die sie in den Stand versetzen würde, sich am friedlichen Aufbau einer Erde zu beteiligen, die vielleicht eines Tages wirklichn allen alles gibt, was sie brauchen. Doch die schütteren Dokumente, die des Propheten Verkündigungen aus Hörensagen in Gesetze verwandelt haben, motivieren bedeutende Teile der Glaubensgemeinschaft, sich gegen alles zu stellen, was der Rest der Menschheit für richtig befindet.

Terror jeden Tag


Terror, der jeden Tag stattfindet, und immer selbstbewusster, inzwischen auch in Mannheim, Solingen und Stendal, wo Satire, die eigentlich alles darf, an neue Geschmacksgrenzen stößt, sobald der Prophet, sein Bote oder auch nur eine steinzeitliche Kleidungsvorschrift ins Spiel kommen. Als damals die Flugzeuge in die Zwillingstürme von New York gesteuert wurden, war das der Beginn der ersten großen Zeitenwende nach dem Mauerfall und dem Ende der Ost-West-Konfrontation.

 

Zehn Jahre hatte die Menschheit seit dem Ende des Kalten Krieges und Francis Fukuyama "Ende der Geschichte" Luft geholt, ehe wieder Bewegung in die Weltgeschichte kam: Aus den primitiven Hütten des Steinzeit-Islam und den Ölpalästen der Blutprinzen wurde ein Angriff auf die Zivilisation geführt, dessen nachhaltige Natur erkannt, aber nach Kräften ignoriert wurde. Glaubenskriegern, losgelöst von jeder Rationalität, bedrohen alles, was Konkurrenzwirtschaft, technischer Fortschritt und Globalisierung an Wohlstandsgewinnen für die Menschheit erwirtschaftet haben. Und es gibt - die Geschichte Israels erzählt seit dem Tag der Staatsgründung davon - keine Mittel und keine Medizin dagegen.

Die erste Zeitenwende

Es ist nie wieder geworden, wie es vor dem "Tag, der die Welt veränderte" gewesen war. Der "Kampf gegen den Terror" wurde siegreich beendet, der Terror aber hat triumphiert. Der Westen hat Namen Feldzüge geführt und Kriege verloren, Diktatoren gestürzt und sich extralegale Hinrichtungen erlaubt, er hat sich bei Befreiungsversuchen blamiert und sich untereinander zerstritten. Alle Bemühungen, die vergossene Milch der frommen Denkungsart aufzuwischen, das Argument, dass beinharte Islamisten an einen anderen Islam glauben als moderate Islamisten, und der Versuch der Definition eines aufgeklärten Euro-Islam, sie mussten aufgegeben werden. 

Die letzte Lösung war eine verzweifelte: Der mit dem Koran begründete Terror wurde zum Teil der multiethnischen Weltfolklore. In Japan essen sie mit Stäbchen, in Russland trinken sie Wodka, in Deutschland haben sie Angst vor Atomen und Genen und unter den wahren Gläubigen ist die Quote derer, die sich selbst in die Luft sprengen, höher als die unter den Einwohnern von Rumsfelds altem Europa, die höher als einen Meter springen können.

Wer gegen wen

Niemand weiß, ob heute in Syrien noch Krieg ist, geschweige denn, wer gegen wen kämpft. Auch mit den Taliban kann man reden, vernünftige Leute eigentlich, wenn man sie machen lässt. Die Hamas wird währenddessen aus Europa finanziert, während die deutsche Außenministerin die ehrenvolle Aufgabe erledigt, die einzige demokratisch gewählte Regierung im Nahen Osten an ihre Pflichten zu erinnern. Grenzen lassen sich nicht schließen, das steht fest, zumindest stand es lange. Die Gesellschaft ist gespalten, aber lässt sich nicht. Dort, wo die wenigstens Islamisten wohnen, ist die Angst vor ihnen am größten. Um sie zu verringern, wer erkennt nicht die Logik, braucht es mehr Islamisten. 

Die Zeitenwende von 2001, sie wirkt deutlicher nach als alles, was sonst in den vergangenen 35 Jahren geschehen ist. Und doch geht ihre Bedeutung heute schon gegen null. Damit ist der Zeitraum beschrieben, den Zeitenwenden zu prägen vermögen: Im zehnten Jahr danach sind sie noch das wichtigste Thema. Ab dem 20. Jahr danach aber gar keines mehr.

Wenn der Wähler Beine macht: Die schnelle Truppe

Klare Kante gegen alles, was bisher unumstößlich war.

Die Hoffnung war ja, dass der eine Abschiebeflug Symbol genug sein würde. Jetzt sind sie halt weg, rief die Bundesinnenministerin, riefen der Kanzler und die Vizekanzler vor dem Wahlgang in Thüringen und Sachsen ganz überraschend. Seht her, wir tun etwas! Wenig später reklamierte Olaf Scholz gar "die größte Wende" bei der Asylpolitik für sich, die es jemals gegeben habe.  

Der Wendekanzler

Da aber war es schon wieder zu spät. Der Wähler hatte gesprochen und er hatte nicht gesagt, was er sollte. In hektischen Krisengesprächen räumte die SPD langjährige Grundpositionen ab. Verblüffend schnell fanden sich Lösungen, die im August noch unsagbar gewesen waren. 

Zurückweisungen. Flächendeckende Grenzkontrollen, von denen die Bundesinnenministerin noch vor kurzem der Meinung war, dass sie "nichts bringen". Ein härterer Asylkurs mit Prüfung von Asylgesuchen schon an der Grenze samt Haft bis zur Entscheidung.

Doch in Brandenburg droht Ungemach. Großes Ungemach. Mehr Ungemach, als dieses empfindliche Konstrukt aus Rot, Grün und Gelb nach Monaten andauernder Niederlagen, Nackenschläge und Selbsttore noch wird ertragen können. 

 Rechtliche Bedenken gibt es deshalb keine mehr. Beinahe über Nacht haben sich Bedenken in Luft aufgelöst. Noch am Sonntag hatte Olaf Scholz behauptet, alles sei längst auf einem guten Weg, die Zahlen sinken und man wolle nun ganz in aller Ruhe schauen, was noch denkbar sei. 

48 Stunden später, der Zeitraum beschreibt aus Sicht der Politikwissenschaft eine sogenannte "Ampel", also eine 360-Grad-Wendung nach Baerbock, sieht die Sache schon ganz anders aus. Es werden "Haftkapazitäten" gesucht, die EU-Partnerstaaten auf eine Rückreiswelle vorbereitet, aber auch augenzwinkernde Einreisetipps gegeben: Nur wer kein Asylgesuch stelle, werde durch die Bundespolizei zurückgewiesen.

Schon lange rechtens

Das geht jetzt alles, und es geht noch viel mehr, seit ehemalige Verfassungsrichter die Gesetzeslage nach langem Schweigen auf einmal nach Pegida-Art deuten. Das alles sei schon lange "rechtens", nur nicht gemacht worden. Auch Europarecht stehe dem nicht entgegen, vielmehr sei die "jetzige Praxis nicht zulässig", weil "keine europarechtlichen Regelungen, die über deutschem Recht wie dem Paragrafen 18 des Asylgesetzes stehen".

Ein Jahr seit dem letzten großen Durchbruch zu einer gemeinsamen Lösung aller EU-Staaten, damals geradezu euphorisch als "Einigung für mehr Solidarität und geteilte Verantwortung" gefeiert, stehen die Einiger nackt im Wind der garstigen Wirklichkeit. Nicht einmal der Versuch, den Hunger der Bevölkerung nach einer Politik ohne Scheuklappen mit Brosamen wegzufüttern, hat etwas gebracht.

 Die Ampel steht vor einem Trümmerhaufen aus Illusionen. Die Opposition, die einst einer Kanzlerin folgte, der das "freundliche Gesicht" am wichtigsten war, versucht beherzt, die Chance zu nutzen, und die Regierung an die Brandmauer zu drücken.

Wasserfall aus Paraphrasen

Legal, illegal, irregulär, unerlaubt - der Wasserfall aus Paraphrasen, der neun Jahre lang Wasser auf die Mühlen der Als Gesichert Rechtsextrem Eingestuften AfD (AGREAF) spülte, er macht nun eine rechte Welle, auf der sich wunderbar surfen lässt. So schnell und grundlos die SPD umgefallen ist, unmöglich selbst von den Grünen zu halten, die ahnen, dass zu harter Protest gegen ein hartes Grenzregime die Fortschrittskoalition schneller beenden würde als Alice Weidel "haben wir doch immer schon gesagt" behaupten kann, so schnell kippen die Brigaden aus Medienarbeitern hinterher, nach deren Selbstverständnis die Wahlergebnisse dieses Jahres mit allem zu tun hatten. Nur nicht mit der Politik.

Auf einmal bekommt jeder eine Plattform, der gesichert rechtsextreme Weisheiten zu verkünden hat. Auf einmal muss sich das "freundliche Gesicht" hinten anstellen. Auf einmal ist Irine Mihalic, die "Erste Parlamentarische Geschäftsführerin" der Grünen, die prominenteste Verteidigerin eines status quo, den die Bürgerinnen und Bürger seit Jahren mit zunehmender Verzweiflung abzuwählen versuchen.

 "Keine Haft, kein Zaun"

"Transitzentren" waren vor neun Jahren noch von Sigmar Gabriel mit dem Jubelschrei "keine Haft, kein Zaun" vom Tisch gewischt worden. Vor sechs Jahren wurden sie mit der Zusicherung, man prüfe, aber nehme sich "jetzt die Zeit, die wir brauchen, um da zu einer Entscheidung zu kommen" auf die lange Bank geschoben. 

Letztes Jahr waren sie der Kern der "europäischen Einigung", nur der Bau sollte dauern, bis das letzte Braunkohlekraftwerk abgeschaltet wird, in China. 
 
Jetzt sind sie von einem Moment auf den anderen eine "europarechtlich saubere Lösung". Es braucht dazu nur die "Fiktion der Nichteinreise" und die Abkehr von allem, was gestern noch geglaubt werden sollte. Und die "Genehmigung der EU", auf die das größte Mitgliedsland nun hoffen muss wie Klein-Paule auf einen gütigen Weihnachtsmann. Wird sie mitmachen beim leichtfertigen Opfern "grundlegender Menschenrechte und der europäischen Zusammenarbeit auf den Scheiterhaufen eines hysterischen Zeitgeistes? Nein, mit der Realität hat das alles nichts mehr zu tun.