Donnerstag, 29. August 2024

Wiedervereinigung: Rettung für die Linkspartei

Gerade erst haben sie sich getrennt, nun gibt es erste Rufe nach einer Wiedervereinigung: In die neue linke Einheitspartei soll das BSW seine begeisterten Wähler und die politische Unbescholtenheit einbringen, die Linke dagegen den Rest der SED-Milliarden und die regionale Verwurzelung.
Gerade erst haben sie sich getrennt, nun gibt es erste Rufe nach einer Wiedervereinigung: In die neue linke Einheitspartei soll das BSW seine begeisterten Wähler und die politische Unbescholtenheit einbringen, die Linke dagegen den Rest der SED-Milliarden und die regionale Verwurzelung.

Erst fehlte ihr nur die Strategie, sich in veränderten Zeiten anzupassen. Dann verlor die Linkspartei nach und nach ihre prominenten Köpfe. Die neue Führung der alternden Kommunistentruppe überholte ihre Mitglieder und Wähler linksaußen. Zuletzt fanden sich kaum mehr junge Leute, die dem Versprechen, der nächste sozialistische Großversuch werde der erste richtige sein, noch Glauben schenken wollten.  

Böhmermann findet es "beschissen"

Mittlerweile ist die Situation "beschissen", wie deutsche Starkomiker Jan Böhmermann womöglich sagen würde. Die Linke treibt führungslos auf ein nächstes Wahldebakel hin. Wären das nicht die in die Demokratie hinübergeretteten Reste von DDR-Parteivermögen, die vor mehr als 100 Jahren aus dem Spartakusbund geborene Avantgardepartei könnte sich ebenso gut auflösen. Fehlen würde sie niemandem mehr, denn ihr Zustand ist derzeit so bedauernswert, dass selbst in großen Solidarmedien ernste Sorgen geäußert und erste Nachrufe verfasst werden.
 
Nicht jedem gefällt das, nicht alle sind damit einverstanden, dass die frühere SED einfach so von der Bildfläche verschwindet. Jana Kallmorgen-Krawetz etwa macht sich große Sorgen über einen möglichen Rechtsruck, der eintreten könnte, wenn eine traditionsreiche linke Partei wie die vormalige PDS aus dem politischen Wettbewerb ausscheidet. "Mir würde etwas fehlen", sagt die engagierte junge Frau.

Freund sozialer Gerechtigkeit

Kallmorgen-Krawetz war früher nie selbst SED oder Linken-Mitglied, aber wie sie sagt "immer ein großer Freund von sozialer Gerechtigkeit". Dass sie die voranzutreiben versucht habe, habe sie an der Linken in ihren unterschiedlichen Zustandsformen immer geschätzt. "Wichtig fand ich, dass die Partei sich in den letzten 25 Jahren deutlich verbürgerlicht hat, dabei aber nie versuchte, den letztlich harten kommunistischen Kern ihrer Absichten ganz zu verbergen."

Ein Aus einer solchen politischen Kraft wäre fatal, glaubt Jana Kallmorgen-Krawetz, die im Rheinland in einer öffentlichen Verwaltung arbeitet und im Gespräch im Büro, aber auch in ihrem Wohnviertel und im Fitnessclub schnell bemerkte, dass es nicht nur ihr allein so geht. Kurzentschlossen habe sie deshalb mit Gleichgesinnten einen Initiativkreis gegründet, der umgehend einen Rettungsplan für die Linke ausgearbeitet habe. "Wir glauben, dass nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die Zeit reif sein wird dafür."

Fortlaufende Wähler

Die Idee, mit der die der engagierten Retter*innen die Linke retten wollen, ist relativ einfach. "Nachdem die Linkspartei inzwischen nicht einmal mehr eine Führung hat und ihr die letzten Wähler in Scharen davonlaufen, denken wir, dass es am einfachsten wäre, wenn die derzeitige Linkspartei und die Wagenknecht-Bewegung sich zusammenschlössen." Das Bündnis der früheren stellvertretenden Parteichefin im Bundestag hatte sich erst vergangenes Jahr abgespalten, dabei aber nicht nur die meisten Wähler, sondern auch das politische Momentum mitgenommen. "Zurückgeblieben sind die Tausende Mitglieder ohne Führung und ohne politische Vision, die zudem von anderen bürgerlichen Parteien hinter eine Brandmauer gesperrt werden."

Eine Wiedervereinigung liegt auf der Hand, denkt Jana Kallmorgen-Krawetz, "denn sie könnte im Handumdrehen eine starke linke Kraft etablieren". Derzeit summierten sich die Wahlergebnisse der Restlinken und der noch ohne politisches Programm antretenden BSW je nach Bundesland auf bis über 30 Prozent. "Mit solchen Ergebnissen wäre die neue linke Kraft berechtigt, eine Regierung zu führen." Kallmorgen-Krawetz verwiest auf die aktuelle Situation nach dem Rechtsruck in der Gesellschaft. "Es wird eng im Wettrennen zwischen demokratischen und totalitären Parteien", warnt sie angesichts des Gerangels an beiden Enden des Hufeisens. "Diese Lage erfordert dringende strukturelle Veränderungen."     

Eine einfache Lösung              

Was simpel klingt, könnte in der Praxis sogar noch einfacher sein. "Der Gedanke ist der einer Kraftsammlung ohne Rücksicht auf private Befindlichkeiten", umreißt Kallmorgen-Krawetz. Umfragen zeigten deutlich, dass die Führung der Linkspartei abgewirtschaftet habe. "Die Strategie, die alte SED als politischen Arm radikaler außerparlamentarischer Bewegungen zu etablieren, ist gescheitert."
 
Nun sei es Zeit, mit Wagenknecht ins Gespräch zu kommen: "Schlössen sich die organisierten Reste der früheren DDR-Staatspartei dem BSW an, liefe zum Beispiel ein Verbot der Union, mit der Linken zu koalieren, ins Leere." Die immerhin 124 Jahre alte und mehrfach umbenannte Kommunistische Partei Deutschlands vermiede mit dem Manöver zudem ein diesmal womöglich endgültiges parlamentarisches Aus und die neue Einheitspartei könnte nutzbringend auf die Reste des beiseite geschafften SED-Vermögens zugreifen.

Initiativkreis Wiedervereinigung

Wählerinnen und Wähler, so glauben sie beim Initiativkreis Wiedervereinigung der Linken (IWVL), würden einen Zusammenschluss keineswegs ablehnen. "Beide in Parteien sind Fleisch vom selben Schwein, beide folgen dem Traum von einem neuen sozialistischen Großversuch." Doch während die junge Wagenknecht-Bewegung trotz fehlender Strukturen im Land und ohne feste Verwurzelung in der Bevölkerung von einer Welle der Euphorie enttäuschter linken Wähler getragen werden, gehe es in der Wagenburg der ehemaligen PDS nach dem verlorenen Machtkampf um die wenigen verbleibenden Posten. 
 
"Wir glauben, dass es Zeit ist, dass die ohnehin scheidende Linkenführung ihre Verantwortung erkennt und über ihren Schatten springt." Der scheidenden US.-Präsident Joe Biden habe es vorgemacht: "Er hat das Schicksal des Landes über das eigene gestellt, das erwarten wir auch von Janine und Martin". Gemeint sind Janine Wissler und Martin Schirdewan, die beiden letzten Parteivorstände, die vergeblich versucht hatten, die orthodox-marxistische Ex-PDS zu einem grünbunten Angebot für die Zielgruppe der verbeamteten Moralisten in den urbanen Bionadeviertel der westdeutschen Wohlstandsinseln zu machen.

Alte Linke lieben die Idee

Ehemals führende linke Visionäre wie Dietmar Bartsch stehen der Idee offenbar offen gegenüber. "Die Wählerinnen und Wähler haben es in der Hand, ob Bodo Ramelow Ministerpräsident bleibt oder sie es mit Katja Wolf probieren wollen", hat der frühere Chef der Bundestagsfraktionschef  angedeutet, dass eine engere Zusammenarbeit der beiden populistischen Linksparteien für ihn kein Tabu ist. Er setze auf Rot-Rot-Rot in Thüringen, also ein Bündnis der drei ehemaligen Arbeiterparteien Linke, SPD und BSW. Das sei "in Reichweite", sagt der frühere SED-Funktionär, der als PDS-Bundesschatzmeister große Erfahrungen bei der Sicherung der Kampfkraft der Linken sammelte. Und wäre eine bundesweite Premiere: Erstmals seit 1989 würden in einer Teilregion Ostdeutschlands genau die Kräfte wieder allein regieren können, die zwischen 1949 und 1989 den Aufbau des Sozialismus gelenkt und geleitet hatten.
 
Wissler und Schirdewahn gelten als Totengräber der mehr als hundertjährigen Parteigeschichte, aus Sicht des Initiativkreises könnten sie aber auch zu Helden der so oft so ratlos wirkenden Partei der Arbeiterbewegung werden. Mitglied- wie Wählerschaft würden eine feierliche Wiedervereinigung der Linkspartei mit den Wagenknecht-Getreuen zweifellos erleichtert hinnehmen. "Beginnend mit der Spartakustruppe über die USPD und die KPD bis zur SED und zur WASG hat sich die heutige linke Restpartei ja immer wieder neue Namen gegeben und andere Parteien geschluckt."

Experiment mit Thüringern

Ein Endpunkt müsse die vom IWVL angeregte schnelle Wiedervereinigung von Linkspartei und BSW keineswegs sein. Gelinge das Experiment in Thüringen, schwebe allen Beteiligten eine "große Lösung" für die zersplitterten Kräfte der progressiven Linken vor, sagt Jana Kallmorgen-Krawetz. "Es wäre ein Traum von uns allen, dass die SPD als dritte kleine linke Kraft noch vor der Bundestagswahl 2025 den Mut aufbringt und sagt: Statt mit fünf oder acht oder elf Prozent bei Wahlen hundert Prozent der eigenen Vorstellungen von der gesellschaftlichen Transformation nicht umsetzen zu können, verbünden wir uns lieber mit der Linken und dem BSW und setzen 30 Prozent durch."


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