Montag, 12. August 2024

Volksgerichtshof: Spahns reisendes Standgericht

Jens Spahn ist ein Kunststück gelungen: Mit seinem Nazivergleich zur Abwehr von Corona-Aufarbeitungsbestrebungen hat der CDU-Politiker den Volksgerichtshof wieder hoffähig gemacht.


Als sie in Sachsen begannen, über die Umbenennung ihres Provinzflughafens nachzudenken, schrillten die Alarmglocken? Führer-Flughafen? Führer? Klein, hässlich, Massengrab? Der Hitler-Vergleich, ein deutsches Phänomen, dessen Erscheinen im Normalfall das unmittelbar bevorstehende Ende einer Diskussion anzeigt, verhinderte wirksam, dass Sachsen seinen verdienten Bürgerrechtler durch einen eigenen Airport ehren konnte.  

Heerscharen Hitlers

Wo Hitler auftaucht, wird es giftig. Wer Hitler auftauchen lässt, hat schon verloren. Als der in Deutschland und der EU schon längst in Ungnade gefallene US-Milliardär Elon Musk einen Hitlervergleich bemühte, folgte er den Heerscharen der anderen, die begreifen mussten, dass sich in jeglicher Hinsicht diskreditiert, wer zum Hitlervergleich greift. 

Diese "ganz große Keule in der unerbittlichen Schlacht um Aufmerksamkeit" (Wirtschaftswoche) dürfe nicht jeder und nicht jederzeit hervorgeholt werden. Und immer gilt: Manchmal ist die Gleichstellung des Massenmörders "politisch unklug und falsch", wie damals, als Wolfgang Schäuble die Annexion der Krim an Russland mit dem Anschluss des Sudetenlandes 1938 verglich. Die Kanzlerin distanzierte sich. Putin war nicht Hitler. Manchmal aber ist auch nur der Maßstab falsch. Dann wird das Falsche mit dem Falschen verglichen, weil sich darüber alle immer so schön aufregen.

Absteigender Aufmerksamkeitsast

Nichts bringt Menschen, die die Öffentlichkeit nie gekannt oder vergessen hat, so gut ins Gespräch wie ein Hitler- oder Nazivergleich oder ein beiläufig gezeigter kleiner oder großer Hitlergruß, das weiß auch Jens Spahn. Der frühere Gesundheitsminister und Beinahe-Anwärter auf das Amt des nächsten oder zumindest übernächsten Kanzlerkandidaten der Union steckt seit seinem Abschied aus der Politik im Karriereloch. Er kann fordern, mahnen und warnen wie er will, niemand hört mehr Leuten zu, die auf dem absteigenden Aufmerksamkeitsast herumklettern. 

Wenn es doch noch mal irgendwo um Spahn geht, dann steht der 44-Jährige am Pranger: Spahns rigorose Corona-Politik, die Einschränkung der Grundrechte auf dem Verordnungsweg, die Lügen und Manipulationen, die zuletzt durch die RKI-Leaks so nachdrücklich belegt worden waren, dass auch die Faktenchecker der "Tagesschau" über gewisse Zweifel an der Unabhängigkeit des RKI zu raunen begannen, sie hängen Jens Spahn nach.

Immer dafür

Dabei ist der im Kampf um den CDU-Vorsitz gescheiterte Münsterländer doch selbst einer, der immer dafür ist. Derzeit nun nicht für harte Einschränkungen, sondern für "eine umfassende Corona-Aufarbeitung im Bundestag". Freiwillig sei er bereit, sich seiner Verantwortung für seine Entscheidungen in der Pandemie zu stellen, hat der gelernte Bankkaufmann erklärt, um allen recht naheliegenden Vorwürfen den Wind aus den Segeln zu nehmen, eine Aufarbeitung der Corona-Politik sei von der Politik parteiübergreifend weder noch von den in der Pandemiezeit so hilfreichen großen Medienhäusern gewünscht.

Spahn würde, aber Spahn stellt Bedingungen. Aufarbeitung gern, jederzeit, aber "breit angelegt" müsse sie sein, ganz wie früher die langen Haare gepflegt sein sollten. "Breit angelegt" meint übersetzt aus dem Politischen langwierig und ohne Konsequenzen für irgendwen, mit einem Abschlussbericht, der aufgrund im Hinterzimmer ausgehandelter politische Kompromissformulierungen und Leerformeln sieben Bände umfasst, dafür aber erst zum 25. Jahrestag des ersten Lockdowns erscheint. 

Spahns Schlüsselsatz

Da wäre Jens Spahn dabei, deshalb hat er eingeordnet, wohin alles andere führen würde. Werde aus der Corona-Bilanz ein "Scherbengericht", dann würden die damals Verantwortlichen Opfer von Verschwörungstheorien. Bis zum Ende des Dritten Reiches hätten 70 bis 80 Prozent der Deutschen dessen Politik mitgetragen. Deshalb müssten sich auch in einer möglichen Wahrheitskommission alle Blickwinkel wiederfinden und auch die als Angeklagte vorgesehenen Frauen und Männer müssten bei Urteil mitreden dürfen. Spahns Schlüsselsatz: "Das kann weder die rosarote Brille für die damalige Bundesregierung sein, noch ein Volksgerichtshof der Corona-Leugner".

Da ist sie wieder, die gute alte Nazikeule, die Ungeheuerliches relativiert, um sich vorsorglich vor jeder Kritik zu schützen. Jens Spahn, der sich mit dem Satz "wir werden einander viel verzeihen müssen" schon im April 2020 selbst einen Freibrief für Fehler, Eingriffe in die Grundrechte und Übergriffe aller Art ausgestellt hatte, erklärt das Ansinnen, wissen zu wollen, was wer wann wusste, auf welcher Basis verfassungsmäßige Rechte ausgesetzt wurden und wer wann auf welchem Weg wie viel daran verdient hat, zum Versuch, die Standgerichtsbarkeit der Nazizeit wiederaufzubauen. 

Spahn darf das

Der Volksgerichtshof fällte mehr als 5.000 Todesurteile, meist in einem kurzen Prozess. Seine Richter wurden von Adolf Hitler persönlich ernannt. Ihre Aufgabe war es, Feinde des Regimes und der nationalsozialistischen Willkürherrschaft abzuurteilen. Auf Beweise waren sie dabei ebenso wenig angewiesen wie auf Strafrechtsparagrafen. Vorwürfe wie "Wehrkraftzersetzung", "Feindbegünstigung" und "Vorbereitung zum Hochverrat" bewiesen sich von allein schon dadurch, dass Anklage erhoben worden war.

Selbst in der Sommerzeit, in der das politische Berlin ausgiebig Urlaub macht, wäre die Gleichsetzung von Menschen, die nach der Wahrheit über das verlangen, was mit ihnen angestellt wurde, mit den Blutrichtern eines diktatorischen Regimes gewöhnlicherweise gut für eine mittlere Empörungswelle.  Spahn hat Volksgerichtshof gesagt! Kurz nach dem Jahrestag des 20. Juli! Als das beim DFB geschah, nicht auf der Bühne, sondern im Hinterzimmer, war die Medienrepublik auf 180.

Akzeptierter Nazivergleich

Diesmal nicht. Spahns Nazivergleich ging unwidersprochen durch. Nirgendwo auch nur ein Mµ Aufregung, Erschrecken oder Verunsicherung über den Umstand, dass ein Mitglied des CDU-Vorstandes mit Ambitionen auf einen Ministerposten sich dermaßen im Vergleichregal vergreift. Man darf jetzt nicht mehr nur, weil es nicht strafbar ist, man kann auch.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Verlangt ja niemand, dass man diese Leute aufknüpft. Wie kommt die Dramaqueen wieder auf sowas. Rechtsstaat würde ja reichen. Der wird aber nur gegen Netto-Steuereinzahler eingesetzt. Schade.

Rudi hat gesagt…

Nazikeulen zu Poolnudeln. Immer feste damit schlagen, bis sie weich ist.

Anonym hat gesagt…

Verlangt ja niemand, dass man diese Leute aufknüpft.

Ebend. Gibt ja noch andere, viel hübschere Sachen. Siehe z.B. Claude le Beau "Seltsame und neue Reise zu den Wilden von Nordamerika", oder B.Traven "Rebellion der Gehenkten".