Mittwoch, 7. August 2024

Verfassungsschutz: Zittern in der Haarbergstraße

In Öl gemalt: Das Verfassungsschutzzentrum in Erfurt. Abb.: Kümram, Palmöl auf Karton

Eine Angst geht um, diesmal nicht in Europa, sondern in der Haarbergstraße 61 in Erfurt, der Landeshauptstadt des deutschen Bundeslandes, das kurz davor steht, in längst vergessen geglaubte Zustände zurückzukippen. Dort, wo die Feinde der offenen Gesellschaft in den zurückliegenden Jahren ihre entschlossensten Gegner fanden, herrscht in diesen Tagen noch mehr Furcht als in den Städten und Dörfern ringsum. 

Gedrückte Stimmung in den Büros. Kaum mehr Lächeln auf den Fluren. Selbst die Kaffeemaschinen röcheln nur noch gedämpft hier beim Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, wo rund 100 Mitarbeiter darüber wachen, dass kein Feind der demokratischen Grundordnung schaden kann.

Eine Ära endet

Nur noch zweieinhalb Monate, dann könnte diese mehr eine Ära enden. So wie der Verfassungsschutz seine Beobachtung der nach zahlreichen Umbenennungen als "Die Linke" firmierenden ehemaligen SED nach dem Einzug der früheren DDR-Staatspartei in die Erfurter Staatskanzlei einstellte, droht im Umgang mit der AfD Ähnliches. 

Kommt es nach der Landtagswahl im September zu einer Machtergreifung der Faschisten, droht nicht nur ein abruptes Ende zahlloser zivilgesellschaftlicher Organisationen in Thüringen. Sondern auch ein Ende der fünf Fachreferate, die in der Vergangenheit etwa für die Führung des "Fränkischen Heimatschutz", des neonazistischen Kameradschaftsnetzwerk Thüringer Heimatschutz, der NPD in Erfurt und für die Unterstützung der Terrorgruppe NSU zuständig gewesen war

Die Linke wird in Baden-Württemberg immer noch als Partei beobachtet, in der "offene Extremisten" das Ziel verfolgen, "die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung durch ein sozialistisches bzw. kommunistisches System zu ersetzen". Vor allem die "Linksjugend" [’solid] sieht der Verfassungsschutz im "antifaschistischen Kampf gegen den Kapitalismus". Eine andere Gruppe sich betätige sich "außerhalb der universitären Sphäre ebenfalls in typischen linksextremistischen Aktionsfeldern wie der "Antirepression". 

Verfassungswidrig beobachtet

In Thüringen hingegen ist die Linke seit Jahren Staatspartei, sie stellt den Ministerpräsidenten, der bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Jahr 2013 selbst verfassungswidrig vom Verfassungsschutz beobachtet worden war. Ein Jahr später wurde Bodo Ramelow Ministerpräsident, der Verfassungsschutz musste ihn, seinen neuen Dienstherren, zu dieser Zeit aber glücklicherweise schon nicht mehr argwöhnisch im Auge behalten. 2015 übernahm ein neuer Chef die offiziell als AfV bezeichnete Abteilung des Innenministeriums im Erfurt. Seitdem konzentrieren sich die rund 100 Mitarbeiter auf die Bearbeitung der rechten Umtriebe, für die Thüringen besonders bekannt ist. 

Doch wie lange noch? In der Haarbergstraße ist das in diesen vielleicht letzten Tagen der Demokratie im grünen Herzen Deutschlands eine oft gestellte Frage. Zwar bedienen sich die Geheimdienstler auch hier "nach offizieller Lesart nur aus öffentlich zugänglichen Quellen, also Reden, Informationsmaterialien, Positionspapiere und anderen Verlautbarungen" (Die Zeit). 

Aber wenn die nach umfangreichen Prüfungen durch die Experten als in Teilen gesichert rechtsextrem eingestufte sogenannten Alternative für Deutschland im September bei den Landtagswahlen weiter erstarkt, könnte es zum Schlimmsten kommen: Fiele die Brandmauer, bräche dem Amt nach der Linken womöglich auch die Rechte als Arbeitsauftrag weg.

Was tun?

Was denn dann? Worauf all die Anstrengungen richten? Im "Wahl-o-Mat" der Bundeszentrale für politische Fortbildung wird der Wunsch nach Auflösung des Landesamtes bereits als Option angeboten. Wie aber sollen Hetze, Hass und Hohn bekämpft werden, wenn es zum Schlimmsten kommt?

Das schon in ein paar Wochen droht. Angst herrscht in eben jener Haarbergstraße, wo in einem großen, schlichten und allgemein wenig beachteten achtstöckigen Halbhochhaus der Thüringer Verfassungsschutz seiner verantwortungsvollen Aufgabe nachgeht. Die "Pannen-Truppe aus der Haarbergstraße" (Spiegel) ist aufs Äußerste sensibilisiert.

Wie in Sachsen besteht auch im kleineren ostdeutschen Freistaat die Gefahr, dass AfD und BSW die Mehrheit erlangen oder eine demokratische Mehrheit verhindern. Kommt es dazu, würden die Partnerdienste in den weiterhin demokratischen Bundesländern einem Medienbericht zufolge handeln. Erfurt und Dresden würden vom Informationsfluss der anderen Verfassungsschutzämter abgeschnitten.  

Alles wie früher

Alles wäre wie damals, als sich die Schlapphüte in den einzelnen Bundesländern bei ihren Nachforschungen zum NSU gegenseitig vor Überkenntnis bewahrten, so dass das Landesmat in Hesen ganz andere Dinge für sich behalten konnte als das in Erfurt, während die Kollegen in Bayern einen Mitarbeiter zu den Mittwochsstammtischen der thüringischen Neonazis schickten, von dem in Nordrhein-Westfalen niemand wusste.

Eine entsprechende Entscheidung zum erneuten Ausschluss der Kollegen sei bereits getroffen worden, berichtet des SPD-Nachrichtennetzwerk RND unter Berufung auf ein Leck, das RND-Erklärungen zufolge bei "Sicherheitskreisen im Bund und in den Ländern" sprudelt, deren Angaben aber von der scheidenden brandenburgischen Landesregierung bereits als Fake News zurückgewiesen wurden.

So soll verhindert werden, dass sich die AfD als gesichert rechtsextreme Vereinigung nicht nur wie gewohnt in den Genuss üppiger Gelder aus der Wahlkampfkostenrückerstattung kommt, sondern auch Zugang zu in den geheimen Erkenntnissen eines Landesamtes für Verfassungsschutz erlangt. Nach Angaben des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" ist der Ruf der Erfurter Geheimdienstler ohnehin nicht der beste: "Wenn es in der Vergangenheit Pannen beim Verfassungsschutz gab, war oft die Thüringer Landesbehörde beteiligt", musste sich der Erfurter Nachrichtendienst schon vor Jahren sagen lassen. 

Druck in Sachsen

Auch der Dienst in Sachsen steht unter Druck: Ein "plaudernder Mitarbeiter" (RND) hatte dort Kritik öffentlich gemacht und Zweifel an den Fähigkeiten des Verfassungsschutzes und seines Präsidenten geschürt. "Was gestern legale Kritik war, kann heute ein Grund sein, ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten", hatte der Mann gewarnt. Nur ein koordiniertes Eingreifen von Behördenspitze und Medien ließ die Affäre schnell einschlafen.

Was aber wäre, wenn? Wie würden Überinformationen wie diese wohl genutzt, wenn interessierte Kreise sie gegen die Frauen und Männer in der Haarbergstraße verwendet würden, um diese Mitte September vielleicht schon letzte Bastion anzugreifen? Vieles könnte ins Wanken geraten, die Meinungsfreiheit droht vielleicht wieder zum Freibrief zu werden und Leute, die es nicht besser wissen wollen, füttern den populistischen Affen, indem sie dem Verfassungsschutz "intellektuell erschütternde" Arbeit vorwerfen. 

Verhindern wird das der Wähler müssen, und auch die Wählerin ist gefragt. Es geht auch um Arbeitsplätze: Schon heute liegt die Quote in Thüringen höher als im Bundesdurchschnitt.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Haldenwang plant, im Fall der Machtergreifung die Schlösser auszutauschen und eine Luftbrücke einzurichten.

Anonym hat gesagt…

Sehr unwahrscheinlich und recht selten, dass eine Obrigkeit sich selbst ihres Inlandsgeheimdienstes begibt. Immerhin hat Iwan Wassiljewitsch der Finstere seine Opritschnina gewaltsam aufgelöst, was nicht ohne unschöne Bilder abging, nachdem diese es sogar für einen Psycho wie ihn allzu üppig getrieben hatten.