Mittwoch, 28. August 2024

Gesichter der Krise: Mittendrin, aber nie dabei

Der junge Maler Kümram hat Herbert Reul mit nasser Kreide gezeichnet - eine besondere Arbeitstechnik, die eine große Durchdringungstiefe zeigen kann.

Auch er ist es nicht gewesen. Herbert Reul könnte schwören, dass er alles getan hat, was er konnte, immer. Seit der heute 71-Jährige 2017 nach Jahren als Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament zurückkehrte nach Deutschland, um Innenminister von Nordrhein-Westfalen zu werden, ging es ihm "darum, Haltungen in der Gesellschaft zu ändern". Viel mehr, als altes politisches Schlachtross, das bereits in den Amtszeiten von Kohl, Honecker, Reagan und Tschernenko Verantwortung trug, weiß Reul das besser als die meisten anderen, kann niemand tun.

Tiefe Enttäuschung

Umso tiefer sitzt die Enttäuschung jetzt, wo sich alle Anstrengungen des ehemals so engagierten Europa-Politikers als vergeblich herausgestellt haben. Seit Issa al-H. in Solingen drei Menschen ermordete, ist die Republik geschockt, die Bundespolitik paralysiert - Reul aber zieht wetternd und zeternd durch die Fernsehstudios. Ein Mann, der nicht mehr anders kann. 

Sieben Jahre hat sich der Innenminister von NRW das alles angeschaut, dann und wann daheim womöglich schimpfend, nach außen hin aber still. Als alter, weißer Mann war Reul zur Überzeugung gekommen, dass bereits bei Kindern angesetzt werden müsse, "um langfristig Wesensveränderungen zu bewirken". Herbert Reul funktionierte. Aber er protestierte nie.

Noch ein neues Gesicht

Bis zu diesem Tag von Solingen, den auch der Bundeskanzler nutzte, um all denen, die ihn nicht mehr wählen wollen, ein neues Gesicht zu zeigen. Olaf Scholz hausiert jetzt als der, der es immer schon gesagt hat, der immer schon warnte und wusste, dass es so nicht weitergehen kann. Die typisch Osnabrücker Aufregung äußert sich in kurzen, kantigen Sätzen, in denen schnelle Maßnahmen von durchgreifender Regelungstiefe angekündigt werden. 

Reul trägt die Jacke des emotional angefassten Mitspielers. Das Gesicht, das schon alles gesehen hat, streng gefaltet, taucht der kleine Herr mit der knurrigen Stimme überall auf, wo man ihn haben will. Er kritisiert die Ausstattung der Polizei, will "Zuwanderer einschränken", er nennt es ein "Riesenproblem", dass der Islamismus ein "grundsätzliches Problem" sei. 

Auf einmal lässt er alles raus, was ihm vielleicht schon seit 1985 auf der Seele liegt. "Ich bin es satt, diese Quatscherei", macht Herbert Reul aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr, in der die Abwertung von parlamentarischen Verfahren und der mühsamen demokratischen Kompromissfindung tief vergraben war. 

Mal was in die Tonne hauen

Vorbei! Was hat er nicht immer gemahnt, die von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes als Lehre aus der Hitlerdiktatur verordnete Trennung von Geheimdiensten und Polizei in die Tonne zu hauen. "Kein Mensch ist dagegen, die Parteien waren dagegen", schimpft Herbert Reul wie ein Rohrspatz darüber, den Grundsatz, dass kein gemeinsamer Datenaustausch zwischen Polizei und Nachrichtendiensten stattfinden darf, weiter zu befolgen. 

Galt bisher, dass der, der alles weiß, nicht alles dürfen soll, während der, der fast alles darf, nicht alles wissen sollte (Gusy), ist es neuerdings die Durchdringungstiefe der staatlichen Kontrolle, die nicht mehr ausreicht, Sicherheit zu garantieren.

Mehr Meldestellen

Herbert Reul hätte gern noch mehr Kontrollmechanismen für den Verfassungsschutz, denn fest steht, dass Deutschland damit "keine Freiheitsrechte aufheben" wird. "Wir geben unsere Lebensart nicht auf", schwört Reul und er klingt trotz seines heiligen Zorns wie der Kanzler und dessen Parteivorsitzende Saskia Esken.

Die hätte gern mehr Meldestellen, mehr Überwachung, sieht aber nicht, was bei Solingen schiefgelaufen sein könnte oder was daraus lernen ließe. Herbert Reul sieht das ähnlich: "Nein, die Sicherheitslage hat sich nicht verändert. Wir haben eine wachsende abstrakte Gefahr. Wie oft haben wir Anschläge verhindert, vier-, fünfmal. Das war schön, da freuen wir uns, dass nichts passiert ist. Jetzt ist mal was passiert."

Gesichter der Krise

Saskia Esken hat schon mächtig was bewegt.
Nun sind sie halt da! Esken und Reul sind zwei Gesichter der Krise, zwei Politiker, die in den zurückliegenden Jahren geholfen haben, die Basis für all das zu legen, was heute so vielen so entsetzlich schiefgegangen zu sein scheint. Beide sind sich sicher, nie etwas falsch gemacht zu haben. Das waren die anderen!, heißt es unisono. Saskia Esken verweist darauf, dass ihre Partei, die seinerzeit Polizisten entließ, als sei der Weltfrieden ausgebrochen, schon lange viele, viele, viele neue einstelle. Nur sei es schwer, die Stellen zu besetzen, weil "wir immer weniger Menschen in Deutschland werden". 

Statt 81,7 Millionen leben heute schon nur noch knapp über 84 Millionen im Land, bis 2040 könnten es nur noch 85,5 Millionen sein. Deutschland ist immer noch magnetisch, trotz seines üblen Rufs als Wachstumsbremse (BR) und kranker Mann Europas (n-tv). Für Saskia Esken ist der "erste Migrationspakt keineswegs gescheitert, sondern erfolgreich durchgeführt worden", auch die "Regierung war sehr erfolgreich", sagt sie und besteht darauf, dass die Lage längst nicht angespannt genug ist, um jetzt schon Änderungen durchzuführen. Reul würde, kann aber nicht, nicht zuletzt, weil er auch nicht weiß, was.

Schon mächtig was bewegt

"Tatsache ist doch, dass wir uns bewegt haben", beteuert die Frau, die die SPD von der Volkspartei zum Nischenprojekt einer Kaderkaste gemacht hat. Für Saskia Esken war immer klar, dass sich die Menschen und das Land an den Vorschlägen der SPD ausrichten müssen. Die Partei weiß, was gut ist, die Partei hat die Programme, die Visionen und genug Selbstvertrauen, um das Erschrecken zu überstehen, dass die Funktionäre nach dem überraschenden Wahlsieg von 2021 befiel, als klar wurde, dass niemand einen Plan hatte, was nun eigentlich aus der unverhofft erlangten Macht folgen sollte. 

Wieder Kontrolle erlangen über die Frage, "wer kommt nach Deutschland", würde Esken schon gern, aber nicht hier, nicht jetzt, nicht gleich und nicht durch Maßnahmen, die nicht schon längst durchgeführt wurden. Alles andere bleibt abzuwarten, die Menschen müssen Geduld haben, die Partei hat sie mit ihrer Führung auch. So lange der Niedergang nicht vollendet ist, besteht kein Grund zu Beunruhigung.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

OT
"Bisher galt seit Bestehen der Bundesrepublik und des Grundgesetzes, dass wahre Tatsachen auch genannt werden dürfen. "
Nun ja, @Hadmut: Nicht ALLE Tatsachen, nicht alle.

Anonym hat gesagt…

OT man findet nicht raus, wer das produziert oder bezahlt
https://www.youtube.com/watch?v=J_PMrcVLZB0

Die Gesichtsbaracke tut, als müsste man ihn kennen. Schauspieler oder so.

Anonym hat gesagt…

Die Gesichtsbaracke tut, als müsste ...
Hhmm, man mösste die Blodgroppe wissen ... Die Gesächtszöge täuschen oft.