Freitag, 30. August 2024

Die Zurückgebliebenen: Auf verlorenem Osten

Sachsen nennt sich slebst auch "Küchenland"
Wer die Hitze nicht vertrage, solle nicht in die Küche gehen, hat ein Sachse der Reportin Svenja Prantl geraten. Sachsen nennt sich selbst auch "Küchenland".

Die meisten trauen sich nur für ein paar Stunden hierher, umgeben von kräftigen Kameramännern und Tonfrauen, die ihre Selbstverteidigungskräfte im Jiu-Jitsu-Studio und bei Krav-Maga-Kursen gestählt haben. Die Luft für Fremde ist dünn hier in den kaum mehr von Demokraten besiedelten weiten Flächen der Steppen im Osten. 

In den wenigen Städten in mitten tiefer, dunkler Wälder leben unbekannte Völkerschaften, nur rudimentär erforscht, die bis heute fragwürdigen Gebräuchen anhängen und von Sitten nicht lassen wollen, die die zivilisierte Welt ablehnt.

Mit offenem Visier

Hierher zu gehen, ohne zusätzlichen Schutz abgesehen von einem leichten Kettenhemd, mit offenem Visier und das nicht nur für ein paar kurze Stunden am hellerlichten Tage, das ist ein Wagnis, das nur wenige hartgesottene Reporter*innen einzugehen bereit sind. Ein kleiner Fehler nur, und die zu Wutbürgertum und aufbrausender Anmaßung neigenden Einheimischen werden tätlich. Messer finden sich hier in jedem Haushalt, häufig auch Äxte und sogar Schusswaffen, etliche davon seit mehr als 80 Jahren unangemeldet. 

Es musste dennoch sein. Wie immer aller vier Jahre gilt es vor der jeweils anstehenden Schicksalswahl, genau dort nach den Rechten zu schauen, wo sie versuchen, sie vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Wie das benachbarte Thüringen, ein Bundesland, das niemandem im Münsterland, am Rhein oder der Saar fehlen würde, wäre es morgen verschwunden, ist auch Sachsen ein Landstrich unter begründetem Verdacht. 

Deutsche Diktatoren wurden hier geboren, deutsche Großverbände gegründet, große Geschichten geschrieben von vor aller Augen ermordeten Freibadkindern und brutal überfallenen jungen Frauen, die in wenigen Sekunden für das ganze Leben entstellt wurden.

Scharfzüngige Beobachterin

Svenja Prantl, die eigentlich als vielbeschäftigte Freelancerin an einem Strand in Asien lebt und sich von dort immer wieder mit scharfzüngigen Meinungsbeiträgen zu Wort meldet, hat nicht lange gezögert, als sie angefragt wurde, ob sie sich einen experimentellen Aufenthalt im Wilden Osten vor der Wahl vorstellen könnte. 

Mit den sächischen Wurzeln, auf die die 32-Jährige dank eines in Riesa zurückgebliebenen Onkels verweisen kann, sei sie prädestiniert, die Menschen zwischen Bautzen und Annaberg-Buchholz und die zwischen Leipzig und Göritz zu verstehen, sagt sie. Acht Wochen später, die Prantl ohne Pause oder freien Tag unter Wilden verbrachte, liegt ihre Reportage vor. Ein Dokument, das literarisch, dokumentarisch, verständnisheischend und entsetzlich zugleich ist.

Landestypisch in Flecktarn:Prantl.


Prantl sagt selbst, dass sie alles gefunden habe, was das Vorurteil über den Osten ihr versprochen hatte. Hass auf Wessis, Jobs mit schlechter Bezahlung, verhärtete Ressentiments gegenüber der Regierung, Antiamerikanismus und Friedenssehnsucht, rechtspopulistische Einstellungen, die ohne Scham gelebt werden, und Ostdeutsche, die die Demokratie bejahen, aber bis heute nicht verstanden haben. Oft zurückgezogen in kleine Zimmer in kleinen Pensionen, ihr winziges Zelt oder in eine bei Airbnb gemietete preiswerte Kemanate, hat Svenja Prantl die Geschichte ihrer Reise aufgeschrieben, um andere zu warnen.

Hinter der Brandmauer

Bereits ihr Vordringen hinter die berühmte Brandmauer, die die demokratischen Gebiete der Republik schützt, empfand Prantl als abenteuerlich. Hinter Oberhartmannsreuth, das gerade noch zu Bayern gehört, überwand sie unterstützt von Helfer*innen den Feilebach und gelangte über die Gedenktafel an der Wüstung Groschenreuth nach Ottengrün. 

Obwohl derzeit so viele Berichterstatter aus den erfahrenen Bundesländern im Osten unterwegs seien, dass ihr vorhergesagt worden war, sie müsse aufpassen, nicht irrtümlich einen anderen Reporter zu interviewen und die Auskunft zu bekommen, der Gesprächspartner halte natürlich die Demokratie für die beste Staatsform, blieb die Ankunft unbemerkt.

Svenja Prantl berichtet vom Überwinden der Grenze. "Wir bestiegen unsere Kanus mit den Vorräten und Behältern mit sauberem Trinkwasser, aber sofort am anderen Ufer mussten wir dann zu Fuß weiter. " Die mutige junge Frau hat nur das Allernötigste im Rucksack, neben dem Zelt einen wasserdichten Beutel mit der Fotoausrüstung. Das Gelände habe sich als sehr anspruchsvoll herausgestellt, zudem regnete es ununterbrochen, "wie so oft in diesem Sommer in Sachsen", schmunzelt die von Haus aus neugierige Tochter eines Physiklehrers. Es seien unzählige kleine Hindernisse zu überwinden gewesen, darunter schmale, den Einheimischen offenbar als Brücke  dienende Holzwege.

Stimmung am Nullpunkt

So wunderte sie es nicht, dass die Stimmung bereits am ersten Tag auf den Nullpunkt gesungen war, noch ohne einem einzige local begegnet zu sien. "Die Gegend ist sehr dünn besiedelt, die Menschen sind auch alt und gehen kaum noch raus", beschreibt sie. 

Aber dann erreicht Svenja Prantl das erste kleine verschlafene Dorf. "Ein Traum von Idylle", sagt sie. Allerdings habe der Dorfkrug geschlossen gehabt - "seit 2021!", ruft Parntl. Funkempfang habe es nicht gegeben, um bei einem Bringedienst zu bestellen, "wie man das zu Hause tun würde".

 Prantl isst eine Dose Sardinen mit zwei aus Mais geformten Knödeln, die sie daheim vorgekocht hat. "Wenn es sein muss, aber auch nur dann, kann ich durchaus ein paar Tage gar nichts essen, ohne zu verzweifeln", ordnet sie die Beschwernisse der Expedition im Nachhinein undramatisch ein.

Von der vielbeklagten Institutionenskepsis, von politischer Ohnmacht, grundsätzlicher Verweigerung und dem den Sachsen so oft nachgesagten moralischen Überlegenheitsgefühl, das sich aus der Arroganz der Erinnerung speist, schon einmal ein politisches System gestürzt zu haben, sei nichts zu spüren gewesen. 

"Das war überraschenderweise einfach ein hübsches, leeres Dorf, in dem nur ein paar Hunde bellten, wenn man an den fest geschlossenen Hoftoren vorbeiwanderte." Mit jedem Meter habe sie sich sicherer gefühlt, "ich versuchte, mich so zu bewegen, als gehörte ich dorthin", sagt sie, die eigens eine Jacke im ortsüblichen Flecktarnmuster angezogen hatte. "Das hat sich als richtig herausgestellt."

Mitten im Wald

Unterwegs begegnet ihr dann viel Wald, zerschnitten von einigen wenigen Straßen. Ein wenig Fachwerk, viel Natur und "nicht eine Verbotszone für Waffen", wie sie kopfschüttelnd konstatiert. Es sei, glaubt sie, angesichts dessen kaum verwunderlch, dass "die Menschen sich nicht mehr sicher fühlen oder zumindest glauben, nsich nicht mehr sicher fühlen zu können." 

Der Weg erscheint ihr zuweilen wie ein Pfad in eine andere Welt. Auf einer Lichtung lagern Wanderer, ganz normale Menschen aus Hamburg, "freundlich und offenbar sehr mutig". Ein Dorf gleicht dem anderen, alle wirken gepflegt und verbergen die Abgründe, die sich hinter den Fassaden vermuten lassen, nahezu perfekt. 

Auffällig erscheint Svenja Prantl, was auf den ersten Blick nicht auffällt. "Neben hochmodernen Feuerwachen stehen Kaugummiautomaten, die zweifellos schon seit vielen Jahren nicht mehr neu bestückt werden." Rostig sind sie, rostig und überflüssig, denn "Kinder leben in diesen Regionen kaum". Bei 1,3 pro Frau liegt die Fertilitätsrate, kein Wert, aus dem irgendwann einmal wieder eine ökonomische Dynamik entspringen kann. 

 Arm an Ereignissen

"Die Gegend ist allgemein arm an ungewohnten Ereignissen, deswegen sind die dort noch Ansässigen sehr hellhörig und lebhaft interessiert an jedem Geräusch, das vom üblichen Einerlei aus Bofrostauto am Mittwoch und Bäckerwagen am Freitag abweicht." 

Computern stünden viele ablehnend gegenüber, "sie sagen, die hätten sie früher auch nicht gehabt". Auch E-Roller und Lastenräder seien kaum zu sehen. "Die Leute fahren Verbrenner, am liebsten aus DDR-Produktion, Simson, Schwalbe, also uralte Knatterkisten."

Daran störe sich niemand, ebenso wenig daran, dass Jungen schon im Kondesalter die Arbeiten ihrer Papas nachahmen, etwa auf dem Feld helfen oder bei Verputzen einer Wand. 

"Sie glauben alle, dass sie das selbst können, und ignorieren dabei konsequent, wie viele Steuereinnahmen dem Staat entgehen, weil keine Firma beauftragt wird." 

An Wochentagen würden die Kinder jedoch fortgebracht. Teils über Stunden führen sie in das nächste kleine Stadt, weil die Schulen in den Orten nach und nach geschlossen worden seien. Einerseits identifizierte Prantl das als den Versuch eines Bildungsprojekts. "Andererseits ist es natürlich wichtig, dass der Staat alles unternimmt, um die Kinder aus diesen beengten dörflichen Milieus herauszuholen, in dem sich die Haltungen der Eltern ja immer nur wieder dublizieren."

Die Zurückgebliebenen

Diejenigen, die in der Siedlung bleiben, weil sie es sich leisten können oder eine Rente beziehen, obwohl sie wegen ihres langen Aufenthaltes in der DDR überwiegend kaum oder gar nicht in die Rentenkassen eigezahlt haben, unterhalten sich dann ausdauernd und in einem langsam rhythmisierten Singsang über gemeinsame Bekannte, Verstorbene und das Fernsehprogramm. 

 Besucher würden nicht verjagt, aber auch kaum einbezogen. "Ich habe es versucht, aber ich kannte nicht nur die betreffenden Nachbarn nicht, sondern auch keine der disputierten TV-Sendungen", gesteht Svenja Prantl offen. 

Der Tag vergehe für viele mit Warten, Warten auf die Rückkehr der Berufstätigen und der Schulkinder  – "das ist in der warmen Jahreszeit üblich, sagte man mir". Hecken müssen geschnitten, Gehwege gefegt und geharkt werden, es sind Kuchen zu backen, Suppen zu kochen und für den Winter muss Holz gehackt werden.

 Entgegen allem, was die Außenwelt annehme, spielten Parteienstreit, staatliche Vorhaben und Vorgaben und selbst der laufende Wahlkampf in den USA für einen Großteil der Menschen keine Rolle, hat Prantl beobachtet.

Verachtng für Staatsführung

"Einer, der seinen Namen wie alle nicht nennen wollte, verriet mir, dass viele in seinem Ort schon zu DDR-Zeiten die vergreiste Staatsführung verachtet hätten, ohne es außerhalb ihrer inneren Kreise zu verraten. "Jetzt ziehen sie viel Selbstbewusstsein aus dem Umstand, dass sie nicht verpflichtet sind, Vertrauen in Autoritäten, Institutionen oder gar in den Staat als Ganzes zu zeigen."

Im direkten Kontakt mit den Sachsen ist Svenja Prantl positiv überrascht. Absichtlich habe sie sich entschlossen, ohne einen Führer zu reisen, der hätte übersetzen und vermitteln können. 

"Mir war es wichtig, unmittelbar in touch zu gehen, um das echte Sachsen zu erleben", sagt sie. Lässt sich nun anhand ihrer Erfahrungen erkennen, was getan werden muss, um rechtspopulistischen Einstellungskomplexen wirksam zu begegnen?  Reichen ein paar demonstrative Wahlkampf-Abschiebungen, ein paar Messerverbote und neue Überwachungsmaßnahmen? 

Was kann, vor allem, in der akut so bedrohlichen Situation unternehmen, damit Sachsen nicht ganz Deutschland in den braunen Sumpf der Unregierbarkeit zieht? 

Diagnose, Bewertung und Medizin

Svenja Prantl zuckt mit den Achseln. "Selbst die aktuellen Anstrengungen aller großen deutschen Medien, der Sozialwissenschaft und von forensischen Psychiatern, zu einer Diagnose und Bewertung des Krankheitsbildes der Sachsen und all der übrigen Ostdeutschen zu kommen, werden wohl nicht ausreichen, die richtige Medizin zu verordnen", fürchtet sie.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die journalistische Kompetenz der Ostland-Fahrenden scheint zumindest die Rechtschreibung von PPQ stark angegriffen zu haben. 🤣

ppq hat gesagt…

die abmahnung an die junge kollegin ist raus