Donnerstag, 22. August 2024

Dicke Duden-Überraschung: Freudensprünge in der Worthülsenfabrik

Nahezu alle Krisenbegriffe, die die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in den zurückliegenden Jahren an die Politik lieferte, haben es in die neue Duden-Ausgabe geschafft.

Nun, nachhaltig sei das sicher nicht, das gibt Rainald Schawidow später am Abend freimütig zu. Da hat der Chef der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) im politischen Berlin schon mehr als die für ihn üblichen drei Glas Sekt zum Anstoßen intus. Schawidow ist allerdings an diesem Abend im weitläufigen und doch vor Passantenblicken geschützten Garten der Worthülsenfabrik, versteckt am Spreeufer gleich neben dem Bundeskanzleramt, auch bester Stimmung und das mit gutem Grund.

Am Nachmittag erst war die Nachricht vom Hauptsitz in der Cornelsen Gruppe hereingekommen, deren Dudenredaktion Jahr für Jahr darüber befindet, welche Wortneuschöpfungen das Zeug zum Klassiker habe und in die jeweils neue Druckausgabe des "Duden" aufgenommen werden. "Diesmal", freut sich Rainald Schawidow, der seit Anfang der 90er Jahre Hausherr ist im Nachfolgebetrieb des DDR-Unternehmens VEB Geschwätz, "ist unsere Trefferquote absolut unübertrefflich."

Gnade vor kritischen Augen

3.000 neue Begriffe fanden diesmal Gnade vor den kritischen Augen der Duden-Experten, deren besonderes Augenmerk bei Neuaufnahmen traditionell insbesondere der Medien- und Politiksprache gilt. Neben dem direkt in den von Werbeexperten direkt für die Bionadeviertel der Republik erdachten Begriffen "Granola"  und "Tahini" finden sich diesmal nahezu ausschließlich Neuschöpfungen berücksichtigt, die aus den Verbalschmelzen, Schlagwortschmieden und Worthülsenautomaten der BWHF stammen.  "Balkonkraftwerk", "Deutschlandticket", "Klimakleber" oder auch "Extremwetterereignis", sagt Rainald Schawidow, "jedes einzelne Krisenwort stammt von unseren Propagandapoeten undHülsendrehern".

Anderds als beim weitgehend unbekannten Begriff  "Granola" - dabei handelt es sich um überzuckertes Knuspermüsli, das mit der Begründung verkauft wird, es verschaffe Eiweiß- und Ballaststoffquelle, und liefert wichtige Mineralstoffe und Vitamine - oder bei "Tahini", einer feingemahlenen, meist gerösteten Paste aus Sesamstaub, die in keiner Vielfaltsküche fehlen darf, stehen die Produkte der BWHF für  Krise, Krieg und den Kampf der Politik um die Köpfe der Menschen.

Sachverhalte als Schlagwort

"Natürlich sind wir der Dienstleister, der versucht, komplizierte Sachverhalte in knappe Schlagworte zu packen", erläutert Rainald Schawidow die Vorgehensweise seiner Behörde, die ihre Wurzeln beim Reichsamt für Worte und Benennungen (RWB - Forschungsbehörde AO)  hat. Der "Benzingipfel" etwa wurde damals erdacht, in den vergangenen Jahren folgten "Euro-Rettungsschirm", "Energiewende" und "Wachstumspakt", "Mietpreisbremse", "Stromautobahnen", "Ökoflation", "Obergrenze mit atmendem Deckel" und "Basisschutz", durchweg Worte, die aus dem Alltag von Millionen Bürgerinnen und Bürgern kaum mehr wegzudenken sind.

Duden-Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum redet auch gar nicht um den Fakt herum, dass der Duden durch die krisenbedingte Überproduktion der Bundesworthülsenfabrik  wieder dicker geworden ist.  "Der Duden ist Spiegel seiner Zeit. Diese Wörter sagen etwas darüber aus, was in den letzten drei bis vier Jahren passiert ist", sagt sie. 

Auffällige Veränderungen

Weil die 29. Auflage des bekanntesten Nachschlagewerks der deutschen Rechtschreibung "coronabedingt" (BWHF) erst nach vier Jahren Pause erscheint, sind die Sprachveränderungen der vergangenen Jahre besonders auffällig: Mit dem Begriff "Coronapandemie" gibt der Duden den Versuch auf, zusammengesetzte Substantive zu koppeln - eine Praxis, die die BWHF-Experten stets abgelehnt haben. 

Vielleicht auch deshalb sind ihre in den zurückliegenden Jahren ins politische Berlin gelieferten Worthülsen diesmal so erfolgreich: Neben dem "Antigenschnelltest", dem  "Coronaleugner" und dem "Extremwetterereignis" haben es auch "Flugabwehrsystem", "Gasmangellage" und "Entlastungspaket" unter die nunmehr 151.000 Begriffe geschafft, die der Duden als quasi amtlichen deutschen Wortschaft auflistet.

Reaktion auf anstehende Ernährungsgewohnheiten

"Es war nicht alles umsonst", fasst Falk Ebenhagen zusammen, der als Hauptabteilungsleiter Hauptsatzverwaltung (HHV) in der BWHF großen Anteil am Erfolg hat. Längst aber liefere die BWHF nicht mehr nur reine Propagandamunition für den politischen Bedeutungskampf, betont er. Auch auf die anstehenden klimagerechten Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten habe mit Begriffen wie "Fleischersatz", "Gemüsekiste" und "Kontaktgrill" vorbeugend reagiert. 

Dass nicht nur immer mehr Begriffe aus der BWHF in den Duden aufgenommen, sondern diesmal im Zuge einer gründlichen Reinigung der Sprache auch einige Worte wieder entfernt wurden, lässt den Mittdreißiger Ebenhagen kalt, nicht aber seinen Behördenleiter Schawidow. "Das war damals ein Irrtum", sagt er über die Zeit vor 1989, als deutsche Worthülsendreher versucht hatten, begriffliche Bedeutsamkeit und Modernität durch eine populistische Latinisierung herzustellen. Die aber sei verpufft, weil der allgemeine Rückbau des Bildungsniveaus Verständnisprobleme verursachte.

Irrweg Latinisierung

"Wir setzten damals etwa auf das Wort "Frigidär" für Kühlschrank und auf die Bezeichnung "Rationalisator" für Mitarbeiter, die mit Bürokratieabbau beschäftigt waren." Inzwischen habe man erkennen müssen, dass "diese Art Wichtigsprech weder gesellschaftlich durchsetzbar gewesen noch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger notwendig" sei. Die allermeisten in der Mehrheit der Empfänger von Gemeinsinnfunksendungen und Tagesnachrichten im Internet bevorzugten eine klare, am herkömmlichen einheimischen Idiom orientierte Ansprache. "Freiheitsenergie, Klimageld, Kontaktsperre und Abstandsgebot, das versteht jeder, das wird akzeptiert und angenommen."


3 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Michael Klein

Schallwellen menschlichen Ursprungs, ausgelöst durch Sprache, sind nach einer Schätzung von “Experten” dafür verantwortlich, dass weltweit nicht nur die Erdbeben und Vulkanausbrüche, sondern auch die Stürme und Hurricans zunehmen. Schallwellen, die von Menschen freigesetzt werden, kumulieren sich insbesondere in Städten und dort vor allem über Gebäuden, die von Organisationen gebraucht werden, deren Mitarbeiter sich vor allem in Geschwätz üben ...
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Hat sich der Schawidow schon mal Gedanken darüber gemacht, welch verheerende Folgen seine Geschwätzproduktion für die Menschheit hat? Ganz zu schweigen, von dem immensen CO2-Ausdünstungen der Leute, die auf seine Wortschöpfungen zurückgreifen.

Wir sind kurz vor dem Ende, und der Schawidow verlkustiert sich auf einer Sektpaarty. Unfaßbar.

ppq hat gesagt…

das sind kollateralschäden. der nutzen der umfassenden sprachregelung überwiegt diese kleinen nebenfolgen bei weitem. als oberere bundesbehörde unterliegt die BWHF ja zum glück der kontrolle von umweltbundesamt und rechnunghof. von dort wurde bislang immer grünes licht gegeben. auch die EU hat ja vor einiger zeit nachgezogen und mit dem Amt für Einheitliche Ansagen eine eigene EU-BWHF gegründet. das kann also alles nur okay sein

Anonym hat gesagt…

Nicht zuletzt sind es auch die Politik- und Medienschaffenden, die ausgemusterte Worthülsen umgehend durch das neueste Sortiment ersetzen.