Dienstag, 20. August 2024

Alles dichtmachen: Faesers Abschottungsfantasie

Seit mehr als 3.200 Tagen kontrolliert Deutschland seine Grenzen "vorübergehend". Mit Blick auf anstehende Wahlkämpfe hat Innenministerin Nancy Faeser die temporären Maßnahmen noch einmal verlängert, diesmal für immer.


Jetzt fehlt fast nur noch die Remigration! Wegen des großen Erfolges plant die Bundesinnenministerin, die vorübergehenden Maßnahmen an der Grenze zu Polen und anderen Ländern mindestens bis ins nächste Jahr fortzusetzen. Die Grenzkontrollen, von der "Süddeutschen Zeitung" vor einigen Jahren noch als die "Axt an der Europäische Idee" abgemahnt und von anderen großen Medienhäusern als "das Ende von Schengen" betrauert", sollen nun so lange "vorübergehend" bleiben, bis "auch andere EU-Mitglieder mehr Flüchtlinge aufnehmen", ließ Nancy Faeser wissen - unbeeindruckt von der frühen Mahnung des damaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker damals. Der schon 2017 gesagt hatte, wer Grenzen kontrollieren wolle, dem "fehlt an Europa, und es fehlt an Union".

Erfolge an allen Fronten 

Die Innenministerin, die zuletzt an zahlreichen Fronten Erfolge gefeiert hatte, zeigt damit klare Kante nicht nur gegen die europäischen Partner, sondern auch gegen den grünen Koalitionspartner. Erst im Sommer vergangenen Jahres hatte die Gemeinschaft eine europäische Lösung für die Flüchtlingsfrage erzielt, nach acht Jahren intensiver Verhandlungen aber hielt der Kompromiss nur bis in den Herbst. Dann wurden komplizierten Notstandsregeln erforderlich, um der Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass sie zwar nichts tun könne, aber sich schon bemühe, so zu tun.

Nancy Faeser stand damals noch auf der Seite derer, die sich wacker dagegen wehrten, "das dreckige Spiel der AfD mitzuspielen", wie die Sozialdemokratin es nannte. Mit Zähnen, Klauen und  Leidenschaft verteidigte die bei der Landtagswahl in Hessen von den Wählerinnen und Wähler so übel abgestrafte Sicherheitspolitikern, was von den gemeinsamen Werten, den offenen Grenzen und dem Widerwillen gegen Mauern und Zäune noch übrig war, einige Monate nach dem Beginn des Baus der großen Mauer Polens zu Weißrussland und wenige Jahre vor der ersten Ausschreibung des ersten Architektenwettbewerbs zum Bau des ersten Außenlagers an der Innenseite der Gemeinschaft, in dem  Asylbewerbern künftig widerrechtlich inhaftiert werden sollen. 

Grenzkontrollen bringen nichts

Dafür war Nancy Faeser dann allerdings auch, selbst die Grünen stimmten zähneknirschend zu. Nur die Grenzkontrollen, die "bringen nichts", sagte die Fachministerin, wann immer Rechtspopulisten aller Parteien forderten, sie möge die 2017 eingeführten temporären Kontrollen verlängern und möglichst verschärfen. Das EU-Recht steht dem entgegen: Nach den europäischen Verträgen sind Grenzkontrollen im an sich offenen Schengen-Raum nur für "einen begrenzten Zeitraum von höchstens 30 Tagen"  möglich, der bei "außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Artikel 29 auf eine Höchstdauer von zwei Jahren verlängert werden" kann. 

Dazu muss die EU-Kommission ihre Genehmigung geben. Ein Ansinnen, das schon der Grieche Dimitris Avramopoulos als bis 2019 zuständiger Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft abgelehnt hatte. Stattdessen forderte er die Rückkehr zu Rechtsstaatlichkeit und Schengenregeln - vergebens, denn als keine Genehmigung aus Brüssel mehr zu erwarten war, stellte bereits die Merkel-Regierung vorsichtshalber gar keine entsprechenden Anträge mehr. Höchstrichterliche Urteile werden seitdem weitgehend ignoriert.

Offizielle Sprachregelung

Offiziell gilt nunmehr die Sprachregelung, dass die Bundesregierung Grenzkontrollen nicht mehr in Brüssel genehmigen lässt, sondern sie dort nur noch "anmeldet". Der durch den Schengen-Vertrag geschaffene "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" (Bundeszentrale für politische Bildung ist dadurch zu einem Flickenteppich aus einzelstaatlichen Regeln geworden, der allen Absichten der Unterzeichner Hohn spricht.  Eben erst wurden die Grenzkontrollen noch einmal verlängert, zum 15. Mal, seit die EU-Kommission verkündete, sie würden bis Dezember 2016 beendet.

Nachdem Nancy Faeser "die vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Landgrenze" unmittelbar nach ihrem Amtsantritt um weitere sechs Monaten verlängert hatte, waren alle Dämme gebrochen. Überall wird kontrolliert, dauerhaft. Die Kontrollen zu Österreich laufen seit mittlerweile neun Jahren, sie sind für den Kanzler unverzichtbar im Kampf gegen den "Zustrom" (Merkel) und damit gegen den grassierenden Rechtspopulismus, aber eben auch rechtswidrig und nicht nach Auffassung der FDP schon lange überflüssig.

Dafür und zugleich dagegen

Nancy Faeser war immer für das alles und zugleich dagegen. Sie lehnte kategorisch Grenzkontrollen ab, und sie führte neue Grenzkontrollen ein. Diesmal seien sie ganz bestimmt nur "temporär" und  auf eine kurze Zeit begrenzt, hieß es. Niemand und schon gar nicht die Ministerin habe die Absicht, Grenzkontrollen zu verlängern.  Kritik daran kam aus der oppositionellen Union - aber auch vom Koalitionspartner FDP, der die "echte Freizügigkeit in Europa" nun doch nicht "wiederherstellen" will. Die Ministerin, die sich lamge sicher war, dass Kontrollen ohnehin keinen Erfolg haben, versprach, sie zu beenden. Und sie versprach gleichermaßen, sie fortzusetzen "so lange wie nötig".

Die Grünen protestieren gegen die geschlossenen wie früher Pegida gegen die offenen Grenzen. Die SPD-Politikerin betonte, man sehe, dass das, was "nichts bringe" (Faeser) nun wirke. Die irreguläre Migration sei rückläufig und es werde weiter kontrolliert, bis sie "merklich zurückgegangen" sein werde. Momnetan sind die rechtswidrigen Kontrollen offiziell bis zum 15. Dezember 2024 geplant, danach werden sie, soweit weihte Nancy Faeser die Öffentlichkeit bereits in ihre Plöne ein, mit Blick auf die im nächsten Jahr anstehende Bundestagswahl verlängert, bis eines fernen Tages eine Reform des europäischen Asylsystems greift.

Kontrollen seit 3.200 Tagen

An der Grenze zu Österreich wird inzwischen seit 3.200 Tagen kontrolliert. Vorübergehend. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Heiko Maas, der seinerzeit die Einführung von Kontrollen durch die italienische Regierung scharf verurteilt hatte, weil "die Reisefreiheit und das Schengen-Abkommen wesentliche Errungenschaften der europäischen Einigung sind und nicht infrage gestellt werden dürfen", hat sich die aktuelle Außenministerin noch nicht zum Abschied vom goldenen Schengen-Standard geäußert. Die EU schweigt. Gemeinsame Regeln sind zum Brechen da und wer sie nur lange genug bricht, von dem wird gar nichts anderes mehr erwartet. 

Hatte der Grieche Dimitris Avramopoulos das leidige Thema der hartnäckigen Regelverstöße der meistens Mitgliedsstaaten wenigstens immer mal genutzt, um der europäischen Öffentlichkeit in Erinnerung zu rufen, dass die EU natürlich auch über einen Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft verfügt, ist seit dessen Abschied nicht nur jede Spur seiner segensreichen Tätigkeit aus den Annalen der EU getilgt worden. Mit ihm ist auch das EU-Mahnwesen vollständig zum Erliegen gekommen. 

Es gibt keinen Plan

Acht Jahre nach der Versicherung von Faesers Vorgänger Thomas de Maiziere, es gebe keinerlei Pläne, Schengen auszuhöhlen und "systematische Grenzkontrollen wieder einführen" zu wollen, gibt es keine Diskussion mehr um die Frage, ob sich Deutschland abschotten sollte. Nancy Faeser pflegt ihre rigiden Abschottungsfantasien nicht mit Blick auf die, die kommen, sondern um die gewogen zu stimmen, die bereits da sind.

In der deutschen Sozialdemokratie ist die Strategie unumstritten. Faesers ehemals so weltoffene Partei fordert die Bundesregierung nicht mehr "zum Handeln" auf, keine liberale FDP sieht "raschen und detaillierten Aufklärungsbedarf", um die eigenen Umfragewerte zu beflügeln. Die Union will die Kontrollen nicht mehr "sehr eng begrenzen" und die Medien sind nun einhellig der Meinung, dass es vermutlich den Regeln widerspricht, aber letztlich doch eine gute Idee ist.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

OT (Hier ist noch Luft)

>> Von RAINER K. KÄMPF | Seit dem Bestehen der AfD gab und gibt es immer mal wieder Stimmen aus dem Off, die mit der Idee hausieren, die Partei wäre eine Erfindung des Systems. So eine Art Blitzableiter der Unzufriedenen. <<

Na, was denn sonst!? Lächerhaft.

Anonym hat gesagt…

Und noch einen:

>> Fenriswolf 21. August 2024 at 11:19

Eine Partei die ihre Schlägertruppe auf den politischen Gegner hetzt, hatten wir auch schon mal ... <<

Welche er wohl meinen mag ???

Der lachende Mann hat gesagt…

Ich erinnere mich zu deutlich an die geschönten Bilder der Bonzen, die am 1. Mai neben Spruchbändern durch die Straßen getragen wurden, als daß ich den "Jungen Maler Kümram" nicht vom ersten Tag an im Verdacht haben könnte, diese Tradition als Gewerbe fortzusetzen.