Donnerstag, 18. Juli 2024

Zweifel an Trittin-Rente: Flaschensammeln lohnt sich immer

Verblüffender Flaschen-Effekt: Je geringer das Einkommen, desto mehr profitieren Sammler von der sogenannten Trittin-Rente.

Es ist eine alte Diskussion, die durch gezielte Kampagnen vor allem von rechts immer wieder neue Nahrung bekommt. Bis in die CDU hinein behaupten Politiker, Bezieher neuer, großzügiger Sozialleistungen wie etwa dem nun für alle verbindlichen Bürgergeld hätten netto mehr Geld zur Verfügung als Geringverdiener, die sich jeden Cent selbst erarbeiten müssen. Das ist laut einer Studie des Climate-Watch-Institutes im sächsischen Grimma allerdings "schlichtweg falsch". Die zugrundeliegenden Berechnungen, so fasst Institutsleiter Herbert Haase die Ergebnisse der in seinem Haus über vier Jahre hinweg erstellten Forschungsergebnisse zusammen.

Profitieren von Sozialmaßnahmen

Unter dem Titel "How low earners increase their wealth particularly quickly" im renommierten Wissenschaftsmagazin "True research and brilliant science" (TRBS) veröffentlicht, zeigen die Berechnungen aus Sachsen tatsächlich, wie vor allem weniger begüterte, arme und armutsbedrohte von den sozialpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung profitieren. Man habe Durchschnitte annehmen müssen, um die Angaben nachvollziehbar zu gestalten, erläutert Haase, "doch die von uns entdeckten Wohlstandseffekte sind auf eine Weise basisabhängig, dass wir heute sagen können, ja, Flaschensammeln zum Beispiel lohnt sich immer."

Laut Studie bekommt ein alleinstehender Arbeitnehmer, der schon länger keinen Job hat, 563 Euro im Monat sogenanntes Bürgergeld. Das sind 328 Euro weniger als jemand zur Verfügung hat, der 40 Stunden arbeiten geht und dafür ein Gehalt von 1.000 Euro brutto. Ihm bleiben nach Anzug von Steuern und Abgaben 891 Euro netto, davon bezahlt der Betroffene seine Kosten für die Fahrt zur Arbeit, vom Rest begleicht er dann Miete, Fernsehgebühr, Strom, Gas und was sonst anfällt. "Die 328 Euro Mehreinkommen sind da recht schnell aufgezehrt", erklärt Herbert Haase.

Verblüffender Eeffekt

Doch ausgerechnet dieses Detail sorgt für einen verblüffenden Effekt: Laut einer Studie des CWI-Instituts lohnt es sich in Deutschland immer, Flaschensammeln zu gehen. Es sei der Politik über mehrere wechselnde Koalitionen gelungen, das Flaschenpfand trotz der zuletzt deutlich überschießenden Inflation stabil zu halten, zugleich wurde die Pfandpflicht auf zahlreiche neue Warengruppen ausgeweitet. "Da hatte man natürlich schon die Menschen im Hinterkopf, die auf die sogenannte Trittin-Rente angewiesen sind", sagt Haase. Da beim Sammeln und Zurückgeben von Flaschen keinerlei Steuern und Abgaben anfallen, führe die Sammeltätigkeit stets zu einem höheren verfügbaren Einkommen im Vergleich zum reinen Bezug von Sozialleistungen ohne Arbeit, aber auch im Vergleich zu reinen Lohnarbeit in unterbezahlten Bereichen, wie das Institut mitteilte.

Noch mehr selbst verblüfft war Herbert Haase jedoch von einem Nebeneffekt, "mit dem wir so auch nicht gerechnet hatten", wie er beschreibt. Danach ist die Behauptung einiger Politiker, dass Sozialleistungsbezieher vom Staat netto mehr Geld erhielten als emsig arbeitende Geringverdiener, nicht nur schlichtweg falsch, sondern umgerechnet auf den Stundenlohn überhaupt nicht vergleichbar. 

"Der Vorwurf lautet ja immer, dass ein Geringverdiener für die 300 oder 350 Euro, die er am Monatsende mehr hat, 160 Stunden arbeiten geht, also nur einen Stundenlohn von um die zwei Euro erzielt." Das aber könne so gar nicht gesagt werden, weil ein Sozialleistungsbezieher, der nicht arbeiten könne, wolle oder noch nicht das Richtige gefunden habe, schon von der Grundanlage seiner Lebensgestaltung auf keinerlei Stundenlohn zurückgreifen könne.

Wumms-Effekt beeindruckt

Für beide Fälle aber gilt, was in der Studie aus Grimma als "Wumms-Effekt" bezeichnet wird: Je geringer das verfügbare Haushaltseinkommen, desto größer der Einfluss von selbstgesammelten Pfandflaschen auf dessen Höhe. "Jeder einzelne Cent wirkt sich ja netto aus", erklärt Forschungsleiter Haase, "weil die Freibeträge für Pfandflaschen sowohl für Erwerbstätige als auch bei Bürgergeldempfänger bei 100 Prozent liegen und so keine Anrechnung der zufließenden Einnahmen auf Einkommen oder Sozialleistungen erfolgt." 

Die Studie analysierte verschiedene Sammelkonstellationen, darunter eine mit 1.000 Flaschen im Monat, aber auch eine mit 5.000 und 10.000. "Im ersten Fall vereinnahmte der Sammler 80 Euro zusätzlich, im zweiten 400 und im dritten bereits 800." Das übertreffe bei einem Bürgergeldempfänger den vom Staat gezahlten Lebensunterhalt, bei einem ganz Geringverdienter verdoppele sich quasi das Einkommen.

Nachschärfen erforderlich

Flaschensammeln lohne sich also immer, je mehr sogar, je weniger Einkommen jemand habe. Eine Gerechtigkeitslücke sehen die Forscher allerdings, denn während alleinlebende Sammler voll von jeder abgegebenen Flasche profitierten, müsse bei Alleinerziehenden mit Kindern, Alleinverdiener-Ehepaaren, doppelt Bürgergeldpflichtigen und selbst bei Doppelverdiener-Ehepaaren mit geringen Löhnen immer geteilt werden. "Das heißt, das eingenommene Pfand aus einer zurückgegebenen Flasche ist nur noch die Hälfte wert." 

Als Beispiel wurde ein Alleinstehender in einer Stadt mit durchschnittlichem Mietniveau genommen, der ein Bruttoeinkommen von 1.000 Euro hat, davon knapp 800 behalten darf und nach Abzug seiner laufenden Kosten nicht mehr übrig hat. "Sammelt er Flaschen im wert von 100 Euro, hat er 100 Euro mehr." Das gleiche gelte für jemanden, der nur Sozialleistungen bezieht. "Doch wenn wir auf Familien schauen, dann sehen wir: 100 Euro mehr sind bei einem Zwei-Personen-Haushalt eigentlich nur 50, bei vier Personen sogar nur 25." Hier müsse der Staat nachregeln, möglichst mit einer Pfandlösung, die sich am sozialen Bedarf orientiert. "Das folgern wir zumindest aus unseren Forschungsergebnissen."


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