Mittwoch, 31. Juli 2024

Unter Null: Wachstumsdelle im Wirtschaftswunder

Stillgelegter Schornstein, 5G-Mast und Wärmepumpe
Die Wärmepumpen sind angeschlossen, die 5G-Verkabelung steht. Und doch ist das Schwächeln der Wirtschaft weit weg vom Wumms.

Was für eine faustdicke Überraschung! Eben noch hatte die Bundesregierung mit einer Verschiebung ihrer Wachstumsziele auf die Zeit unmittelbar vor dem in einem Jahr beginnenden Wahlkampf zum neuen Bundestag für Enttäuschung bei Untergangspriestern, Schlechtrednern und Zweiflern am großen Transformationsprojekt gesorgt.  

Finanzminister Christian Lindner versprach eine bald beginnende Wirtschaftswende, Bundeskanzler Olaf Scholz setzte alles auf ein Dynamisierungspaket als Nachfolger von Wumms und Doppelwumms. Medien flankierten hingebungsvoll mit Stichworten aus der Bundesworthülsenfabrik (BWHF): "Schwächeln" war in der Wirtschaft angesagt, eine "Wachstumsdelle" und das vom Kanzler selbst ausgerufene "Schwungholen" vor dem nächsten "Wirtschaftswunder" (Scholz).

Nur technisch und rechnerisch

Nur rechnerisch steckte Deutschland seit Monaten mittendrin in einer Rezession, aber die war "technisch" (DPA) und kein Grund zur Sorge. Wenn das "Wachstumschancengesetz" vom Frühjahr erst zünde, werde das alles kein Thema mehr sein. Kein Grund, das R-Wort zu verwenden, denn auf den Flügeln der Windgeneratoren werde sich das Land aufschwingen in neue Höhen, bioneutral grün lackiert und damit ein von innen leuchtendes Vorbild für die Welt.

Nun aber ist Deutschlands Wirtschaft doch wieder geschrumpft, wenn auch ganz und gar "überraschend", wie überall bekanntgegeben wird. Nach dem stolzen Wachstum von 0,1 Prozent im vergangenen Quartal,  bei einer Inflationsrate von knapp 2,3 Prozent ein kopfgerechnetes Minus von 2,2 Prozent, "sieht es wieder schlechter aus" (Spiegel).

Nicht schlecht natürlich. Dazu reichen die 10.000 Insolvenzverfahren monatlich nicht, denn selbst wenn die acht Millionen Beschäftigten im produzierenden Gewerbe alle nach Hause geschickt würden, blieben immer noch die acht Millionen Lohn- und Gehaltsempfänger im Öffentlichen Dienst, die Richter, Krankenkassen- und Rentenkassenverwalter, die Bürgergeldberechtigten und mehr als 21 Millionen Rentner als Stabilitätsanker.

Es läuft super

Für sie ändert sich nichts, ob nun mal ein Quartal besser oder eine lange Reihe von Quartalen "schlechter" läuft. Vor allem im Osten, darauf hat die grüne Fraktionsvorsitzende im Bundestag gerade hingewiesen, läuft es doch super: Das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal mag ja gesunken sein. Doch "der Wirtschaftsaufschwung ist im Osten viel stärker als im Westen", sagt Katharina Dröge. Noch viel stärker, hätte es in der DDR geheißen, die sich auf die Definition selbstgemachter Siege noch ein wenig besser verstand.

Der Osten, beargwöhnt, beschimpft und längst letztinstanzlich abgeurteilt, verdankt seinen neuen Ruhm als Leuchtturm der Hoffnung einem einzigen Unternehmen: Tesla, die E-Autofabrik des immer wieder auffälligen Elon Musk, bescherte Brandenburg zuletzt ein Plus zum BIP in Höhe von sechs Prozent, das das Schrumpfen von Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen mehr als ausglich. Zumal Mecklenburg-Vorpommern half, das vom Trend zum Urlaub auf eigener Scholle profitierte - genau so, wie es die Nationale Tourismusstrategie vor einem Jahr mit einer Orientierung hin "zu einer möglichst raschen Transformation hin zur Klimaneutralität"empfohlen hatte.

Längerer Anlauf, höherer Sprung

"Gute Jobs, eine stabile Wirtschaft, alle Aspekte sozialer Sicherheit und ein Klimaschutz, der die Menschen mitnimmt", das ist das Geheimrezept, nach dem Katharina Dröge gegen die wachsenden Zweifel an einem Konzept ankochen will, nach dem die Wirtschaft nur umso kräftiger wachsen werde, je länger sie vorher geschrumpft sei. Ein längerer Anlauf, Olympioniken kennen das aus den Marathonwettbewerben, führt immer zu weiteren und höheren Sprüngen. 

Eine "richtige Krise" sei das nicht, hat Klaus Wohlrabe, der Konjunkturexperte des Münchner Ifo-Instituts, Sorgen beiseite gewischt. Marcel Fratzscher, der in Krisenzeiten allgegenwärtige Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hat mehr Bemühungen der Unternehmen gegen die AfD gefordert, um die rote Wachstumslaterne in der EU loszuwerden. Es müsse nicht mehr gearbeitet werden, aber es müssten mehr arbeiten, sagte der einzige deutsche Ökonom mit eigenem Verb

Seine Denkfabrik hat für die "überraschende" Schwäche der Wirtschaft bereits eine wissenschaftliche Erklärung geliefert: "Trotz des positiven Jahresauftakts ist die deutsche Wirtschaft bisher offenbar nicht wirklich in Schwung gekommen", heißt es da. Damit verzögere sich die konjunkturelle Erholung, die aber prinzipill immer noch unmittelbar bevorstehe.

Flatten the curve

0,1 Prozent runter in einem Quartal, dessen Vergleichsmonate noch bei glatt Null gelegen hatten, das ist so schlecht nicht, sondern eben nur "schlechter". Ein Minus, das gerade noch als "Schwebezustand der Stagnation", eine Formulierung vom letzten Jahr, als Robert Habeck Statistiken über eine schrumpfende Wirtschaftsleistung als Schlechtreden des Standortes kritisierte. Man sagt nicht "Wirtschaftskrise" in einer Wirtschaftskrise, denn das befördert nur "German Angst" (Habeck). Und die ist "unbegründet" (Habeck), weil ja "die Daten nicht gut, aber erklärbar" seien.

Wenn es abwärts geht mit der Wirtschaft, dann immer nur "leicht" (DPA). Wenn eine Rezession erst eine ist, wenn das Bruttoinlandsprodukt zwei Quartale hintereinander schrumpft, dann reicht es vollkommen aus, wenn jedes zweite Quartal die Null hält. Das Konzept flatten the curve kennen Ältere noch aus der Pandemie, es hilft auch hier langfristig: Jeder schlechtere Monat heute erhöht die Chancen, dass ein nicht ganz so übler im nächsten Jahr von innen leuchtet, ein Fanal für das Scholz'sche Wirtschaftswunder, eine Fackel, die die fürchterlichen Prognosen des IWF überstrahlt und die Kaffeesatzleser vom Ifo-Institut Lügen straft.


7 Kommentare:

Arminius hat gesagt…

Die reaktionäre Presse verschweigt mal wieder das eigentlich Positive: Wo nicht produziert wird, wird auch kein CO2 erzeugt, deshalb ist das Bruttosozialprodukt immer noch viel zu hoch. Da gibt es noch Potential nach unten.
Auch ein anderer Aspekt wird zu wenig berücksichtigt: Die Bemessungsgrundlage ist das Bruttosozialprodukt einer Industrienation, die gerade den Bewohnern von Drittweltnationen Platz macht. Auch für ein Drittweltland ist das Bruttosozialprodukt noch zu hoch.

ppq hat gesagt…

korrekt. das ist es, was die aufschwungschwurbler nicht verstehen

Anonym hat gesagt…

Nebenbei, "weit weg vom Wumms" ist eine prächtige Alliteration. So, wie "brünstig zeugte dich Bruno im Bette". (Ludwig Thoma).

ppq hat gesagt…

deshalb hat sich der autor wohl nach langem überlegen dafür entschieden

Anonym hat gesagt…

Ein längerer Anlauf, Olympioniken kennen ...

Ein wenig Klugscheißen: "Olympioniken" sind Olympiasieger (Nike = Victoria). Und "bolognese" ist KEIN Substantiv. Einen noch: Die letzte Pandemie war 1918/19.

ppq hat gesagt…

In Abweichung zur etymologischen Bedeutung werden heute – besonders im Journalismus und in der Umgangssprache – oft sämtliche an Olympischen Spielen teilnehmenden Sportler, egal ob Sieger oder nicht, so bezeichnet.[2]

Anonym hat gesagt…

In Abweichung zur etymologischen Bedeutung werden heute ...

Ebend!
Schpaghetti m i t veganer Bolognese ... Was kommt danach? Sich in aller Öffentlichkeit gegenseitig lausen?