Republikaner Vance: Werk und Autor radikal zusammendenken und ausgrenzen. |
Das neuerdings zweifelhafte Buch steht auf Platz 1 der Buchhitparade, weit vor dem Bestseller, der dort eigentlich stehen müsste. Beinahe tausend Plätze Abstand zwischen J.D. Vance' acht Jahre alter autobiografischer "Hillbilly-Elegie" und Kamala Harris' selbstgeschriebener Offenbarung "Der Wahrheit verpflichtet - Meine Geschichte" - was soll das für ein Signal sein, das da von Deutschland aus in die Welt geht?
Absage im Panzerbär
Der Ullstein-Verlag, im Dritten Reich nazifiziert, als Herausgeber der Frontzeitung Der Panzerbär erfolgreich, von den Alliierten aufgelöst und schließlich 1952 neu gegründet, zog schnell entsprechende Schlüsse: Schon kurz nach Vance' Nominierung als Donald Trumps Kandidat für das Amt des US-Vizepräsidenten entschied der heute zu einem schwedischen Großkonzern gehörende Verlag, den Vertrag mit dem Republikaner aus Ohio nicht zu verlängern und die "Hillbilly-Elegie" nicht neu aufzulegen.
Das "ist kein Skandal" (Die Zeit), auch weil Ullstein die Lizenz zum Nachdruck an eine andere Organisationseinheit des schwedischen Eigentümers weitergab. Ein Schachzug, ähnlich geschickt wie vor Monaten die Platzierung eines Einweg-Kaffeebechers auf einem Marketing-Foto der Grünen-Chefin während einer kurzen Krafttank-Pause auf einer letztlich vergeblichen Wahlkampftour. Der Rauswurf eines möglichen US-Vizepräsidenten, der den Marschallstab für eine eigene Präsidentschaft im Tornister hat, sorgte für genug Aufsehen, das im "Spiegel" ehemals als schlüssige Erklärung dessen gelobt wurde, was in deutschen Bionadevierteln als misstrauisch als "weiße Unterschicht der USA" beäugt wird.
Das gute Buch
Das gute Buch steht sieben Jahre nach seinem Erscheinen unter dem Verdacht, einen schlechten Einfluss auszuüben. Der Bundeskanzler hatte einst beim Lesen weinen müssen, der Autor vertritt nun "eine aggressiv-demagogische, ausgrenzende Politik" (Ullstein), so dass er keinen "wertvollen Beitrag zum Verständnis des Auseinanderdriftens der US-Gesellschaft" mehr liefern kann. Gegen Ausgrenzung hilft nur Ausgrenzung. Und gegen die Zweifel, ob das wohl genauso gut funktionieren wird wie die Brandmauer gegen rechts kann nur mit satirischer Überhöhung angegangen werden.
René Pfister, selbst einstiger Träger des Max-Zimmerring-Preises für staatsstabilisierende Dichtung, hatte zuletzt anklagend darüber berichtet, dass sämtliche Qualitätsmedien genau wie er selbst erst nach der desaströsen Kandidatendebatte Bidens mit Trump Notiz von der kognitiven Verfassung des Amtsinhabers genommen hätten. Nun nimmt er sich die deutsche Cancel Culture vor: "J.D. Vance kann nur der Anfang sein, lieber Ullstein-Verlag", ist die Satire überschrieben, die dank der Bezahlschranke des früheren Nachrichtenmagazin weitgehend so gelesen wird, wie sie gemeint ist.
Vorurteile beim Publikum
Offenbar kann sich heute kaum noch jemand vorstellen, dass das einstige "Sturmgeschütz der Demokratie" nicht dafür eintritt, sogenannten umstrittenen oder gar missliebigen Autoren die Verträge zu kündigen, ihre Machwerke aus den Regalen zu nehmen und den Nachdruck zu verhindern. Pfister spielt geschickt mit der Erwartung der Nicht-Abonnenten, dass der "Spiegel" Vance' Wandlung vom "Trump-Kritiker und Buchautor zum Trump-Fan und Vizepräsidentschaftskandidaten" nicht ohne einen neuen, kritischen Blick auf sein Buch hinnehmen wird, das seinerzeit "Furore machte" (Spiegel).
Dass es "goldrichtig" gewesen sei, den "Bestseller aus dem Programm zu werfen", mag nicht so gemeint gewesen sein. Doch wenn ein "Spiegel"-Autor, der schon in Horst Seehofers Modellbahnkeller und in Angela Merkels Kopf hat schauen dürfen, lobt, dass "umstrittene Autoren in einem renommierten Verlag nichts zu suchen" hätten, dann erscheint die "Spiegel"-Forderung, dass "dieses Prinzip jetzt konsequent durchgesetzt werden" müsse (Pfister) realistischer als die Vermutung, es könne sich um eine aufrüttelnde Warnung vor dem um sich greifenden "canceln, canceln, canceln" (Spiegel) handeln.
Vor den Schnellgerichten der Faktenchecker
Es zeigt sich hier das Ur-Problem, auf das Hohn, Spott und Satire in den Zeiten der postfaktischen Wahrheitspflicht immer häufiger treffen. Witze wirken angesichts einer immer launiger werdenden Regierungspolitik bierernst. Spaßig gemeinte Parolen werden als Versuche verbotener De-Legitimierung verstanden. Selbst großen Adressen mit einer langen Geschichte staatstragender Ernsthaftigkeit müssen sich immer öfter wegen Verstößen gegen die Bundessatirerichtlinie vor den reisenden Schnellgerichten der Faktenchecker verantworten.
Ohne Markierungspflicht für Falschgemeintes werden die Behörden dem Trend kaum Einhalt gebieten können. Bundesinnenministerin Nancy Faeser und ihr Kollege, der Justizminister Marco Buschmann, sind gefordert, Verunsicherern wie René Pfister und dem absichtliche irritierenden Treiben von Redaktionen wie dem "Spiegel" das Handwerk zu legen. So lange Satireportale ungehemmt bedauern, dass Verlage manche Bücher verlegen und die von "radikalen Trumpisten" nicht, braucht es vielleicht sogar gemeinsame europäische Lösungen, um der Bedrohung Herr zu werden.
2 Kommentare:
Pfister und Satire paßt eigentlich nicht zusammen. Im vorliegenden Fall täte ich eine Ausnahme beantragen wollen tun, daß der Cancel-Artikel als solche gelesen wird.
Nach wie vor neige ich der Ansicht zu, dass damit lediglich Vorwitzige / Aufmüpfige aus der Deckung gelockt werden sollen. Weil, so abartig bescheuert geht doch gar nicht. Undenkvoll.
Oder traue ich diesem (Selbstzensur) damit doch zu viel Intellijenz zu?
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