Sonntag, 21. Juli 2024

Plätschern der Beliebigkeit: Der Tod des Radios


Nun reicht nicht einmal mehr das Geld. Hatte die ARD als Deutschlands größter Medienkonzern und Platzhirsch auf dem Radiomarkt in den zurückliegenden Jahren eher aus Geschmacksgründen immer mehr klassische Moderatorensendungen abgebaut, kommt jetzt auch noch der Druck dazu, sparen zu müssen. Selbst wenn es noch einmal gelingen sollte, eine Gebührenerhöhung durchzusetzen, wird es auf lange Zeit die letzte sein. Und sie wird wohl kaum hoch genug ausfallen, die wachsenden Ruhestandsverpflichtungen zu bedienen.

Die große Zusammenlegung

Statt weiterhin nur an der Originalität zu kürzen, geht es nun um eine große Zusammenlegung, die zur Vereinheitlichung der Radiolandschaft führen soll. Die zahllosen Regionalstudios sparen sich die letzten paar Radiooriginale. Mit dem angekündigten abendlichen Einheitsprogramm bei den Info- und Kultursendungen bleibt die gesetzliche geforderte Grundversorgung gewährleistet, es stirbt nur das Moderatoren-Radio, eine Kinderkrankheit des Mediums, die international mit Stimmen wie der von Howard Stern, Allan Freed und John Peel assoziiert wird und in Deutschland verbunden ist mit Figuren wie Werner Reinke, Thomas Gottschalk, Alan Bangs oder Frank Laufenberg.

Seit über einem Jahrhundert begleitet das Radio Menschen mit Musik, Nachrichten, Unterhaltung und Bildung durch Tag und Nacht. Doch je mehr es zu einem Dudel-Medium wurde, bei dem belanglose Musik unterbrochen wird von belanglosen Verkehrshinweisen, Wettervermutungen und auf zwei Sätze zusammengekürzten Nachrichten, desto mehr hat es an Bedeutung verloren. Es dudelt immer noch und überall, aber am Mikrophon sitzen immer seltener Charakterstimmen, wie sie das alte klassische Moderatoren-Radio prägten. Abgelöst hat sie eine Generation von geföhnten Ansagern mit Sonnenscheinstimmen, die die verbliebenen Zuhörer ungefragt Duzen, ihre knappen Wortbeiträge vom Teleprompter ablesen und die Musikauswahl einem Computerprogramm zu überlassen haben.

Das Ende der Radio-Revolution

Die Radio-Revolution, sie endet wie alle Revolutionen: Nach Heinrich Hertz, Nikola Tesla und Guglielmo Marconi, den Erfindern und Entwicklern der technischen Grundlagen, kamen die Handwerker, die die Möglichkeiten entdeckten und popularisierten. Doch 100 Jahre nach der ersten Rundfunksendung in Deutschland spielt das Radio gesellschaftlich keine Rolle mehr: In den 30er Jahren Machtmittel der Nazis, nach dem Krieg Werkzeug der Umerziehung in beiden Teilen Deutschlands und mit Beginn der Ära der Popmusik ein Schlachtfeld im Kampf der Geschmäcker der verschiedenen Generationen, ist das ehemals so wichtige Informations- und Unterhaltungsmedium heute nur noch ein Schatten seiner selbst. 

Nicht einmal als Propagandamedium taugt es mehr, denn die, die noch zuhören, hören längst nicht mehr hin. Zu sehr gleicht sich das, was die Sender abspulen, um die Stille zu füllen: Dieselben 15 Hits auf allen Kanälen, dort, wo diese 15 Hits vermieden werden sollen, sind es dann eben die 15 Hits von vor 15, vor 25 oder 35 Jahren. Wer gelegentlich und unvorbereitet - etwa bei einer längeren Autofahrt - in das Reich der Radiosendenden gerät, ist häufig bereits nach einer halben Stunde versucht, rechts ranzufahren und seinem Auto die Antenne vom Dach zu reißen.

Die unüberschaubare Vielfalt an Programmen und Genres, die Hörspiele, Indie-Rock-Sendungen, Hitparaden der Gesänge fremder Völkerschaften und die raunenden Reisereportagen, sie sind verschwunden, weggeschwemmt durch einen Einheitsbrei aus Einfalt und eintönigem Superstargesinge.

Die gleiche traurige Fröhlichkeit

Vom Radio als Medium der Rebellion, das immer etwas mehr wagte als das Fernsehen, ist nichts übrig, vor allem keine Charakterstimmen. War Radio in seiner Blütezeit vor allem ein Medium der Moderatoren, die mit ihrer Stimme, ihrem Humor, ihrem Wissen und ihrer Persönlichkeit die Hörer faszinierten, ist es heute das ganze Gegenteil. Auf allen Frequenzen derselbe Ton, die gleiche traurige Fröhlichkeit, angelernt in denselben öden Sprecher*innenschulen, überzuckert mit stampfender Tristesse in Dur. 

Im Konkurrenzkampf mit dem Fernsehen, das von den 80er Jahren an immer mehr Publikum abspenstig machte, reagierten die Radiomacher mit einer Anpassung an den Zeitgeist, mit mehr Musik, weniger Wortbeiträgen und mehr Werbung. Dabei gab es seine Bedeutung auf: Radio wurde zu einem Hintergrundmedium, das Menschen allenfalls noch nebenbei anschalten, ohne die Absicht zu haben, dem Plätschern der Beliebigkeit zuzuhören.

Ein trübes Einheitsangebot

Das Radio ist heute ein Einheitsmedium, bei dem sich Jugendwelle, Gemeinsinnsender und Privatfunkstation nur noch marginal voreinander unterscheiden. Mit diesem trüben Angebot konkurrieren die Sender auch noch mit einer Vielzahl von neuen Medien, die den Nutzern mehr Auswahl, Interaktivität und Individualität bieten. Wer zuhören will, tut das bei Podcasts. Wer Wortbeiträge haben möchte, sucht sich seinen Stammtisch. 

Das Massenradio, das früher selbst Stars hervorbracht, ist nur noch ein Randmedium ohne Relevanz, Attraktivität und Zukunft. Mit der Bedeutung sinken die Hörerzahlen, mit den Marktanteilen das Bemühen, Qualität zu liefern. Wie in anderen Bereichen der Medienlandschaft auch, gefährdet ausgerechnet die Originalität, die nötig wäre, um relevant zu sein, den Programmauftrag, bloß nicht als lebendig, kritisch und unterhaltsam aufzufallen. Hundert Jahre nach dem Beginn seines Aufstieges zum ersten elektronischen Massenmedium steht das Radio vor den letzten Jahren seines Niedergangs. Am Ende wartet ein leider Tod. Nicht einmal Kränze und Blumengebinde wird es noch geben.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich habe seit 34 Jahren kein Radio mehr und ich habe es keine Sekunde vermisst. Wenn ich aud der Arbeit zwangsbedudelt wurde habe ich die Ohren auf Durchzug gestellt, später war es hilfreich, das Hörgerät rauszunehmen.

Anonym hat gesagt…

"Das" Radio begann unrettbar zu erkranken, als die Verschwörung der Handymen den Kabelkopfhörer durch Bluetoothknöpfe ersetzte, die keine Antennenwirkung haben. Seitdem war Radio eine internetbasierte, lästige kostenlose Konkurrenz der kostenpflichtigen Streaminganbieter:
Der mit Umfrageinstituten und der Musikindustrie gemeinsam entwickelte, zielgruppenkonforme Mix von Dudel- bis Zündfunk lockte Millionen von Nutzern von profitorientierten Portalen fort.

Es entspann sich ein Kampf auf Leben und Tod, in dem nun die Abschaltung massentauglicher Frequenzen "mangels Bedarfs" "dem" Radio einen finalen Todesstoß versetzt. Denn wer glaubt ernsthaft, dass sich Nutzer, jenseits des Autoradio genannten Multimediacenters, neue Empfangsgeräte beschaffen, deren Kosten sie am neuesten Mobiltelefon einsparen müssten?

Auch wer Streamingabos gegen die Anschaffung eines DVD-Players gegenrechnet, erkennt den Anachronismus analoger und analog-analoger Medien.

"Das" Radio muss nun seine Agonie in einen Sterbeprozess transformieren, welcher die Zahlung der Altersvorsorge verdienter Mitarbeiter sichert, aber nicht zu viele neue Ansprüche nachwachsen lässt, um ein friedliches Ausschleichen zu gewährleisten.

Der Rest ist Streaming.