Mittwoch, 24. Juli 2024

Letzte Zuflucht Zuversicht: Die Historie der Heilsversprechen

Mag draußen auf den Straßen auch der Eindruck nicht von der Hand zu weisen sein, dass alles immer mehr auseinanderbricht.Mögen dort, wo die Menschen warten, um von der Politik abgeholt und mitgenommen zu werden, inzwischen nicht einmal mehr Busse fahren, von Zügen und Taxis ganz zu schwiegen. Mag die Infrastruktur auch verfallen, die Wehrfähigkeit unwiederbringlich verloren sein und das Vertrauen in die Regierenden selbst bei denen, die noch welches haben, kaum mehr messbar sein. Dort, wo das Land geführt wird, in den Hinterzimmern der Ohnmacht und den verschwiegenen Leitstellen in den Parteizentralen gehört es zu den Grundtugenden, sich von der Realität nicht einholen zu lassen.
 

Lageunabhängige Beschwörung


Wie die Lage auch ist, sei sie nicht zufriedenstellend, verbesserungsbedürftig oder gar schlecht, wer politische Verantwortung trägt, ist zuallererst in der Pflicht, Zuversicht zu zeigen. Kann sein, die Wirtschaft läuft gar nicht mehr, kann sein, die Bauern und die Pfleger und die Straßenbahnschaffner sind unzufrieden, die Fluglotsen streiken oder die Lokführer. Möglich, dass die Lieferketten wieder reißen, dass die Abhängigkeit der Gasversorgung von Amerika sich als fataler Fehler erweist und eingesehen werden muss, dass auch eine zweite kollektive Anstrengung von deutscher Politik, deutschen Medien und deutscher Politik- und Medienwissenschaftlernden kaum Anlass zu Hoffnung bietet, dass amerikanische Wähler davon beeindruckt Donald Trump vom Weißen Haus fernhalten könnten. 
 
Gerade wenn es ganz mies läuft, zeigt sich die innere Stärke wahrer Führer: Sie haben immer guten Grund und jede Menge Anlass, festes Vertrauen auf eine positive Entwicklung in der Zukunft und die Erfüllung bestimmter Wünsche und Hoffnungen zu zeigen. So definiert der Duden den Begriff "Zuversicht", ein Wort, das mit "Wachsen", "Optimismus" und "Hoffnung" verschränkt ist. Durchweg Dinge also, an denen es Deutschland noch mehr fehlt als an Fachkräften, Grenzen und Politikern, die die Grundrechte achten, statt auf dem populistischen Klavier der Menschenfeinde zu spielen.  

Predigt der Populisten

Die Geschichte der Zuversicht als positive Grundhaltung deutscher Politik reicht weit zurück, weil der Terminus eine ideale Passform für politische Fensterreden hat. Wo Optimismus nach Wunschdenken klänge und "Hoffnung" wie Pfeifen im düsteren Wald, ist die Zuversicht ein treues Pflaster auf jede klaffende Wunde. Schon frühere Führer und Reichskanzler machten sich diesen Umstand zunutze, indem sie die wichtige Rolle der Vermittlung von Zuversicht auch in direkten Unterweisungen der Presse betonten. 

Der felsenfeste Glaube an eine weltgeschichtliche Mission und "die unerschütterliche Zuversicht", dass die Vorsehung die Erfüllung der großen Aufgabe begünstige, beseelte Führungspersönlichkeiten selbst in den dunkelsten Stunden. Schon Angela Merkel wusste, Zuversicht ist fester Glaube an das Unmögliche, für den es immer einen Grund gibt, auch wenn da keiner ist.

Zuversicht braucht nur den Glauben

 Nur die eigene Zuversicht kann draußen im Lande ein Lämpchen zünden. Auch wenn nicht viel bleibt als das Wort selbst, um Zuversicht zu verbreiten, so muss es doch getan werden, immer und immer wieder. "Unser Kurs heißt Zuversicht", zitiert der "Spiegel" einen Mann, der als Widerständler gegen den Kommunismus kaum Grund zur Zuversicht hatte. Andererseits ließ auch Erich Honecker schon Jahre vor seinem Ende wissen, dass "das Volk der DDR mit Zuversicht die Schwelle zum Jahr 1973 überschreiten" könne.

Peter Ramsauer griff diese zuversichtliche Sichtweise zu Beginn des Jahres 2011 auf. Die Finanzwirtschaft war zerrüttet, reihenweise waren deutsche Landesbanken über ihren Ehrgeiz gestolpert, mit Staatsgeld an den Finanzmärkten zu wetten. "Wutbürger" war gerade Wort des Jahres geworden, in Berlin führte Angela Merkel ihr zweites Kabinett, diesmal zusammengestellt aus CDU, CSU und FDP. Ramsauer rief die Bürger also zu "Zuversicht und Dafürsein" auf. Nicht immer fragen und wissen wollen. Sondern einfach mal mitmachen!

Je mieser, desto öfter

Im modernen Deutschland der Wir-Demokratie setzte der CSU-Mann damit eine Wegmarke. Je trüber die Stimmung seitdem geworden ist, desto häufiger und trotziger rufen die Verantwortlichen zur Zuversicht auf. Von Hubertus Heil über den notorischen Bergprediger Walter Steinmeier, von Horst Seehofer bis zum heute unter Verdacht stehenden Roland Koch ist die Zuversicht eine Durchhalteparole, die umso häufiger benutzt wird, je weniger Anlass sie bietet, benutzt zu werden. 

Das liegt natürlich auch an Olaf Scholz, ein Bundeskanzler, den  seine Gegner als den schlechtesten bezeichnen, der Deutschland jemals hatte, allerdings ist Scholz danach auch Chef der schlechtesten Bundesregierung aller Zeiten, so dass nicht ganz klar ist, wer wen hier mit herunterzieht. Die Kanzler das Kabinett? Das Kabinett den Kanzler? Beide zusammen das Land? Grund dazu jedenfalls besteht überhaupt nicht, das hat Scholz zuletzt verschiedentlich, immer wieder und unabhängig von der jeweils aktuellen Lage verdeutlicht. Schon in seiner Neujahrsansprache Ende 2022 ließ Scholz keinen Zweifel daran, dass ein schweres Jahr zu Ende gegangen sei, seine Botschaft von Zuversicht erzähle.

Verordnete Zuversicht

Auch für 2023 rief Scholz deshalb zu "Zuversicht" auf, mit so viel Erfolg, dass er schon drei Monate später darauf zurückkam: Vor einem der zahllosen wegweisenden EU-Gipfel rief Scholz zu Zuversicht auf. Er wisse zwar, dass sich "Zuversicht lässt sich nicht verordnen" lasse, obwohl er schon wollen würde, wenn er könnte. Leider aber sei Zuversicht immer noch "vor allem das Ergebnis bereits erzielter Leistungen". Und da sehe es, das sagte Olaf Scholz allerdings nicht, ja bekanntermaßen mehr als mau aus.

Doch versuchen muss man es, zur Not immer wieder, gerade dann und am besten  im Kreise Gleichgesinnter. Auch bei historischen SPD-Parteitag, der die glücklose Parteispitze nach einer Halbierung der Umfrageergebnisse mit Rekordwerten im Amt bestätigte, war es die "Zuversicht", zu der der inzwischen vom Verfassungsgericht seiner schwarzen Klimakasse beraubte Kanzler Zuflucht nahm. Das zeigt: Mit den Milliarden oder ohne, im Krieg oder in der Pandemie, in der Finanzkrise oder danach, mit gebrochenem Bein oder gebrochenem Hals, Zuversicht ist anlassunabhängig, frei von situativen Umständen und im politischen Geschäft ein Willensakt ähnlich dem des Baron von Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog, weil er nicht wissen wollte, dass das nicht geht.


2 Kommentare:

n0by hat gesagt…

Wunderbarer Artikel, danke dafür. den Zuversichts-Vertreten stehen als Ausgleich die Untergangspropheten zur Seite.
Als schillernster Vertreter ist mir der irakische Verteidigungsminister mit seinen Lageberichten beim Einmarsch der US-Soldaten in Erinnerung.
Ob Cassandra mit Unheil- und Untergang-Prophetie oder Zuversichts-Vertreter mit ihren Heilsversprechen das Rennen machen, ist nicht ausgemacht.
Jedenfalls hört mit dem Tod ja nichts auf, wie jeder Buddhist mit dem Übertritt in eine andere Daseinsform weiß, wie jeder Christ mit Aussicht auf Wiederauferstehung weiß, wie jeder Muslim mit Aussicht auf 72 Jungfrauen weiß, wie jeder Indianer mit Aussicht auf Ewige Jagdgründe weiß, so weiß sich jeder Zuversichts-Vertreter seiner unsterblichen Wahrheit sicher.
Amen, Inch'Allah, usw.....
:-)

irgendwer hat gesagt…

Wo das Fressen nicht reicht, muss die Moral es richten. Was wusste schon Brecht. Die greise DDR-Führung wusste es besser.

Da wo Patriotismus ganz bäh rechts ist, bleibt, um die Moral der Massen zu heben, nur LGBTQ+die Regierung zu feiern.

DAS klingt nach einem Erfolgsrezept.
Und wird garantiert nicht ins Gegenteil umschlagen. Nie.