Freitag, 12. Juli 2024

In der Räterepublik: Das Volk als Stichwortgeber

Auf freiem Grund mit freiem Volke sitzen und anschließend Bitten nach Zensur zu äußern: Bürgerräte sind die neue Wunschmaschine der Spitzenpolitik.

Keine Verantwortung tragen müssen, Entscheidungen als alternativlos ausgeben, sie aber zudem noch damit begründen können wollen, dass sie nur so getroffen werden können, weil es der Wunsch vieler und außerdem ja auch feste Vorgabe einer wichtigen Institution ist - nicht erst seit der großen Pandemie hat die Spitzenpolitik die Vorteile entdeckt, die in Verantwortungsverdünnung liegen.  

Sommer der Empörung

Schon damals, als es in jedem Sommer noch Empörung über die anstehende Entscheidung der Bundestagsabgeordneten über die Höhe ihrer Diätenerhöhung gab, rauchten die Köpfe. Wie könnte sich der unangenehme Teil der Angelegenheit automatisieren lassen? So gestalten, dass niemand mehr sagen kann, diese dreiste Art der Selbstbedienung sei doch empörende Selbstbedienung?

Die Einführung einer ewigen Erhöhung, die nicht irgendeinem Wert folgt, sondern dem bestmöglich greifbaren, beendete den Ärger für immer. In aller Stille genießen die Volksvertreter die Früchte ihrer Arbeit. Nicht einmal, wenn sie wollten, könnten sie den Geldfluss stoppen, denn so, wie er ist, will ihn das Gesetz. Andere Dinge wiederum will die EU, manchmal ist es auch die Nato oder ein Klimagipfel oder das Bundesverfassungsgericht, das der Politik Entscheidungen abnimmt, weil sie bereits gefallen sind. 

Nur noch reagieren

Dann muss nicht mehr aufwendig herumregiert, sondern nur noch reagiert werden. Vorschriften wie das Verbrennerverbot, die Dämmvorschriften oder die nachhaltigen Heizungsregeln, die meist nahezu unbemerkt vom Himmel gefallen sind, müssen dann "in nationales Recht umgesetzt" (DPA) werden. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Das ist bequem. Das sorgt dafür, dass niemand mehr für nichts etwas kann. Politische poltern nicht ins Haus, sie kommen durch den Briefschlitz. Abgeordnete zucken mit den Achseln. Das ist nun mal so Vorschrift. Das gibt die EU so vor. Das muss bis zu dieser oder jener Frist. Das wünschen sich auch die meisten. Sonst wäre es doch niemals beschlossen worden. Wo eigentlich? Von wem? Deutschland hat das jedenfalls unterschrieben. Und damit ist es "völkerrechtlich bindend". Kann man gar nichts machen. selbst wenn man wollte. Das hättet ihr Euch früher überlegen müssen.

Ein Vehikel für Wünsche

Mit den Bürgerräten hat die wankende, schwankende Ampel schon vor geraumer Zeit ein Vehikel entdeckt, sich überall dort die eigenen ideologischen Wünsche diktieren zu lassen, wo die vom Grundgesetz vorgesehenen verfassungsmäßigen Volksvertretungen sich schwertun, Tacheles zu regieren. Was in Angela Merkel Großer Koalition noch ein kurzlebiges Experiment gewesen war, bei dem 160 handverlesene Amateure "Deutschlands Rolle in der Welt" dermaßen neu bestimmten, dass das dabei verfertigte Grundsatzpapier umgehend im Orkus verschwand, ist für die Scholz-Administration ein Handwerkszeug geworden, zu dem gern und oft gegriffen wird.

Wenn der Wunsch nach mehr Verboten von draußen kommt, von unten, aus dem Volk, welcher Politikernde könnte da ablehnen? Wenn einfache Leute, Menschen wie dieser und jener, mit beiden Beinen im Leben, nach strengeren Maßnahmen rufen, nach mehr Aufsicht und einer festen betreuenden Hand, welcher große Staatsmann sähe sich da nicht gefordert, diese Bitten zu erhören?

Wissenschaftliche evaluiert

Der "Bürgerrat Ernährung im Wandel" legte nicht nur wohltuend nachhaltige Empfehlungen zur künftigen Ernährung der Deutschen vor, er war nach einer ersten "wissenschaftlichen Evaluierung der Entscheidungsprozesse" (Bundestag) auch sehr erfolgreich "im Sinne des Einsetzungsbeschlusses". Obwohl keiner seiner Ratschläge befolgt oder gar umgesetzt wurde. 

Wichtiger ist derzeit auch erstmal die "hohe Zustimmung für das Format Bürgerrat", die das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF) der Bergischen Universität Wuppertal im Auftrag des Deutschen Bundestages ermitteln konnte. Die Tür ist auf für eins, zwei, viele Bürgerräte, zu allen Themen, an die man gern ran wollen würde, sich aber nicht so recht traut.

Herren der Räterepublik

Und da kommen sie auch schon um die Ecke, die Herren einer neuen Art von Räterepublik. War es bisher der Bundestag, der vom Volk gewählt wird, um unterschiedliche Auffassungen über den richtigen politischen Weg zu diskutieren, ehe er mit Mehrheit entscheidet, ist das Hohe Haus im politischen Berlin nun der Ort, von dem aus Räte einberufen werden: Ein "Bürgerrat Desinformation" stimmt über   "Gegenmaßnahmen gegen Fake News" (DPA) und die "Eindämmung von Desinformation" ab. Ein "Bürgerrat" soll nach den Wünschen des scheidenden Bundeskanzlers auch die Aufarbeitung der Pandemiepolitik übernehmen - richtig gut ausgesucht, dürfte da nichts anbrennen.

So volksnah sich gerade die SPD oft zeigt, so auffallend ist beim Aufbau der Räterepublik, dass auf ideologische Haarspaltereien verzichtet wird. Wie der "Bürgerrat So sollst Du künftig essen" ist auch das vom Bundesinnenministerium mit Hilfe der Bertelsmann-Stiftung, der Stiftung Mercator und der Michael-Otto-Foundation for Sustainability designte Projekt "Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie" bemüht, spalterische Bezeichnungen wie "Bürgerinnenrat" oder "Bürger*innenrat" zu meiden. Es soll alles fortschrittlich aussehen, aber niemanden abschrecken, denn schließlich geht es darum, an Empfehlungen von unverdächtiger Adresse zu gelangen, "wie Desinformation, also manipulierte und absichtlich verbreitete Inhalte, die Demokratie gefährden und wie sich diese Entwicklung eindämmen lässt".

Teilnehmende sind auch dabei

Wenig überraschend haben die "Teilnehmenden aller Bundesländer, aus Städten und Dörfern", die in "Geschlecht, Alter, Bildungsgrad und Migrationshintergrund die Vielfalt der deutschen Gesellschaft widerspiegeln", sehr viele sehr gute Ratschläge zusammengetragen. So fordert der Bürgerrat etwa, "KI-generierte Inhalte zu kennzeichnen" und "eine stärkere Eindämmung von Desinformation" vorzunehmen. 

Flankiert und geführt werden solle das am besten durch eine weitere "unabhängige Anlaufstelle zur Beratung, Prüfung und Richtigstellung", die ähnlich wie das Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin  zudem helfen würden, im Rahmen der Bundesansiedlungsoffensive die Vorgabe des Ostbeauftragten der Bundesregierung zu erfüllen, "mindestens 5.000 Arbeitsplätze in Bundesbehörden und Einrichtungen in Regionen zu schaffen, die vom Kohleausstieg betroffen sind".

Diese neue Bundesanlaufstelle Desinformation (BAD) hätte die Aufgabe, Nachrichten zu filtern, Meinungen auszusieben und vorbeugend zu verhindern, dass Fake News und Gefälligkeitsgutachten den demokratischen Diskurs nicht vergiften können. Da sie vollkommen unabhängig ist, ja, nicht einmal eine Idee von Politikern oder politischer Verwaltung, sondern Vorschlag aus dem echten, unverbildeten Volk, wären Löschungen und Sperrungen durch sie nicht einmal Zensur.



3 Kommentare:

Volker hat gesagt…

Die Sowjets sind ja grundsätzlich eine gute Sache - wenn man Sorge trägt, dass die nicht von Krethi und Plethi gekapert werden.
Da ist der Wächterrat gefragt!

Anonym hat gesagt…

Test

Anonym hat gesagt…

Und da kommen sie auch schon um die Ecke, die Herren einer neuen Art von Räterepublik.

Mitnichten kommen die Herren (weitere Attribute lassen wir vorläufig) "schon um die Ecke", deren Auftreten ist zwischen sehr diskret und hinterfotzig.