Dienstag, 2. Juli 2024

Grüne Strategie: Ohne Moos nichts los

Der Hass ihrer Gegner ist riesig, doch die grüne Chefstrategin Annalena Baerbock (r.) zeigt beharrlich, dass sie bereit ist, Zeichen für die zu setzen, die ein ganz normales Leben führen.

Auch Wochen danach grummelt es noch im Bauch der Grünen, die zum dritten Mal auf dem Weg waren, eine echte Volkspartei zu werden und unversehens doch wieder den Boden der Tatsachen küssen mussten. Enttäuschende Ergebnisse. Der Abfall ganzer Bevölkerungsschichten. Der Osten verloren. Die Zahl der Hochburgen im Westen, wo die Bionadeviertel des progressiven Berufsbeamtentum uneinnehmbare Festungen des Fortschritts zu sein schienen, beängstigend geschrumpft.  

Der grüne Zwerg

Eine Katastrophe. Wie der grüne Riese Hulk, der sich im Handumdrehen aufbläst, aber wenig später noch schneller zu einem bedauernswerten kleinen Männchen in zerlumpten Hosen schrumpft, liegen den Grünen seit jenem 9. Juni danieder. Geschlagen. Ungeliebt. "Gehasst", wie sie es selbst nennen.

Wie vor zehn Jahren, als eine üble Kampagne der Rechten ihnen den Suppenteller mit der Idee zum wöchentlichen "Veggie-day" für alle ins Gesicht gedrückt hatte und angehende Ministerinnen wie Renate Künast ihren Traumjob wegen eines "wunderbaren Tages zum Ausprobieren, wie wir uns mal ohne Fleisch und Wurst ernähren" verloren, brachte auch der EU-Wahltag wieder eine bedeutsame Kollision der Parteitagsstrategen mit der "Wirklichkeit", die selbst Bundeswirtschaftsklimaminister Robert Habeck "umzingelt", wie er selbst sagt.

Noch nicht bereit

Die Menschen sind noch nicht so weit. Sie sind noch nicht bereit. Sie sträuben sich, wenn man sie zu hart anfasst. Doch ist man nicht streng genug, dann tanzen sie einem auf den vielen schönen neuen Vorschriften herum. Wie man es macht, macht man es falsch. Nie lieben eine alle, oft nicht mal die meisten. 

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat jetzt in einem Interview mit der ihr bekanntermaßen in tiefer Zuneigung verbundenen Süddeutschen Zeitung Klartext gesprochen. Ohne ausreichend Geld, um überall dort, wo Bürgerinnen und Bürger durch die grüne Transformation Wohlstandsverluste erlitten, Ausgleichszahlungen zu leisten, werde der Weg in Kanzleramt schwer, sagte die Ministerin, die bekannt dafür ist, kein Tabu zu scheuen.

Mehr Geld rettet alles

Für PPQ hat Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech die politisch verschlüsselten Erkenntnisse der 43-Jährigen ins Deutsche übersetzt. Hahnwech, die im sächsischen Bitterfeld praktiziert und als intime Kennerin der Berliner Bühne schon wegweisende EU-Papiere etwa zur "Just-Transition-Strategy" decodiert hat, erkennt bei Baerbock eine "starke Fixierung auf das Geld", wie sie sagt. 

Wenn die Grüne fordere, dass ihre Partei künftig "soziale Fragen stärker beachten" müsse, heiße das in der Übersetzung aus dem Politischen, dass die Außenministerin mehr Geld für konsumtive Zwecke verlange, um Umstellungsschmerzen im Transformationsprozess mit Entschädigungszahlungen des Staates zu mildern. "Dieser Verweis auf die soziale Komponente ist klassisch", sagt Hahnwech, "übersetzt bedeutet das immer, man will Geld in die Hand nehmen."

Strategin der Grünen

Annalena Baerbock, die als einer der großen Strateginnen der Grünen gilt, sei jedoch in der Lage, diesbezüglich keine "dumpfe Trompete zu blasen, sondern eine leise Flöte", wie Hahnwech unumwunden lobt. Ein Satz wie "Sicherheit ist die Frage unserer Zeit – und zwar in jeglicher Hinsicht, gerade auch die gefühlte und die materielle Sicherheit", sei von vielen Politikern vorstellbar, dich nur wenige seien in der Lage, ihn so zu sagen, dass es nicht klinge wie eine Korrektur der früheren Festlegung, dass die "sicherheitspolitischen Frage unserer Zeit die Klimakrise" sei

Die eigentliche Botschaft liege darin, den alten Satz "ohne Moos nichts los" abzuwandeln. "Baerbock sagt, Geld regiert nicht nur die Welt, Geld braucht es auch, um den Energieausstieg, die Wohlstandsbremse und die Umstellung auf nachhaltiges CO₂ zu organisieren."

Nonchalant nehme Baerbock bei der Begründung, warum das bisher nicht geklappt habe, das sogenannte Partei-Wir zu Hilfe, um Robert Habeck, ihren Konkurrenten um den Kanzlerkandidatentitel, in den Senkel zu stellen: "Wir als Bundesregierung und auch als Grüne haben die Frage der sozialen Absicherung zu Beginn nicht ausreichend thematisiert", sagt sie. "Sie schafft es so tatsächlich, beim arglosen Leser den Eindruck zu erwecken, als sei das mittlerweile geschehen", lobt Frauke Hahnwech.

Schuld sind die anderen

Bei Baerbock liege alles weit, weit zurück und schuld seien immer die anderen. Gezielt verweist die Wahlverliererin von 2021 auf das "Gebäudeenergiegesetz aus dem Ministerium von Klimaminister Robert Habeck", bei dem es lange gelungen sei, die Menschen im Unklaren zu lassen, "was das alles für sie konkret heißt". Doch noch ehe das Gesetz beschlossen werden konnte, kam es dann doch heraus. "Viele erinnern sich, wie hektisch danach versucht wurde, wieder Ruhe ins Schiff zu bringen." 

Ein Staatssekretär wurde geopfert, der Zeitplan der Heizungswende so gestreckt, dass alle Regelungen zur Umbaupflicht erst inkrafttreten, wenn niemand mehr damit rechnet. Frauke Hahnwech hatte die Strategie der Langen Bank damals über die Maßen gelobt. "Man muss wissen, wann kein guter Tag zum Sterben ist." Über die Erfindung einer "kommunalen Wärmeplanung", die notwendig sei, um eines Tages zu wissen, wer künftig welche Art von Heizung betreiben dürfe, sei es damals gelungen, die Vertagung der Umbaupflicht als endgültige Beerdigung auszugeben. "Und Annalena Baerbock hat es dabei sogar geschafft, sich als Stimme des Volkes zu inszenieren."

Die Tür bleibt offen

Obwohl Robert Habeck bei den Grünen als Favorit für den Posten des grünen Verlierers im Rennen um das Kanzleramt gilt, habe Baerbock sich mit dem klug platzierten Interview eine Tür offengehalten. "Dass die SZ mit ihr spricht, zeigt auch nach außen, dass sie trotz ihrer Betrugsaffäre rund um das Buch, trotz ihrer hohen Betreuungsrechnungen und trotz der vielen Patzer auf der internationalen Bühne weiterhin eine Hausmacht bei den Medien hat." 

Als Taktikerin zeige sich die Außenministerin im übrigen auch beim Feilen und Schleifen an den verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Grenzen der politischen Gestaltungsräume. "Sie wettert nicht direkt gegen die Vermeidung von Schulden über das ja bereits längst überschrittene grundgesetzliche gestattete Maß hinaus, aber sie stellt dem Verfassungsgebot, künftigen Generationen keine untragbaren Lasten zu hinterlassen, geschickt das Argument entgegen, dass Knausrigkeit und Sparsamkeit den Frieden am meisten bedrohen. "Es wäre fatal, in ein paar Jahren sagen zu müssen: Wir haben die Schuldenbremse gerettet, aber dafür die Ukraine und die europäische Friedensordnung verloren", findet Baerbock.

Mutig an den Stammtisch

Für Frauke Hahnwech ein klares Zeichen dafür, dass die anfangs unsicher, aber selbstverliebt auftretende Politikerin gelernt habe, Dinge ganz selbstverständlich miteinander zu vermischen, die nichts miteinander zu tun haben. "Wenn sie etwa sagt, die Ampelregierung dürfe nicht scheitern, weil das der größte Gefallen sei, den wir den Feinden der liberalen Demokratie im In- und Ausland tun könnten, dann setzt sie klare Prioritäten: Lieber schlecht regieren als gar nicht." 

Baerbock inszeniere das zudem mit einer gewissen Portion Deftigkeit: "Ihre Formulierung von ,unserem verdammten Job als Regierung', die ,auch in schwierigen Zeiten Probleme miteinander zu lösen' hat, ist wie ihre vielen Bildern aus Fußballstadien vor allem als Zeichen für die gedacht, die sich wünschen, dass Politiker nicht so abgehoben vom normalen Leben regieren.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Metaspawn 2. Juli 2024 at 15:34
OT-Sachsen:

https://web.de/magazine/politik/zahl-extremisten-sachsen-anhalt-erreicht-hoechststand-39839648

Die Sachsen sind jetzt alle Extremisten, weil sie dort fleißig AfD wählen. Due Verteuflung der AfD Richtung Extremismus erinnert mich immer mehr an die Judenverfolgung im Dritten Reich.

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"false memory Syndrome" - auch Guido-Knopp-Klatsche oder Rosa-Kaninchen-Syndrom genannt. Hasch mich, ich bin der Adolf. Erstaunlich übrigens, wie alt manche werden.