Montag, 29. Juli 2024

Der Rechtsrutsch der Regina W.: Radikalisiert und voller Zweifel

Regina Walther macht sich bis heute Vorwürfe.


An ihren einen kleinen fürchterlichen Moment erinnert sich Regina Walther heute noch. "Ja", sagt sie mit einem schüchternen Schmunzeln, "das war damals wohl der Augenblick, als sie mich so weit getriggert hatten, dass ich nicht mehr klar denken konnte." Die Mittzwanzigerin, durchtrainiert, sportlich und ausgesprochen hübsch, wirkt betroffen, angefasst und schuldbewusst. Regina Walther kann heute selbst nicht mehr glauben, was sie damals getan hat, sie fühlt sich verantwortlich, obwohl das fragliche Geschehen bereits viele Jahre zurückliegt. "Aber das ist es wohl gerade", versucht sie sich selbst an einer Analyse, "ich habe so lange verdrängt, dass es mich schließlich nachts eingeholt hat."

Lange Nächte ohne Schlaf

Sie schreckte unwillkürlich auf, sie erwachte schweißgebadet. "Ich konnte das alles nicht einordnen, denn das ist mir noch nie im Leben passiert." Beim Grübeln in langen Nächten, in denen die ausgebildete Dachdeckerin auf die Rückkehr des Schlafes wartete, kristallisierte sich schließlich heraus, welche Last genau ihr auf der Seele liegt. "Es war eine Situation im ersten oder zweiten Lockdown", erzählt sie, so ganz genau wisse sie es selbst nicht mehr wahr. Regina Walther war wie so oft für eine Stunde unterwegs, um frische Luft zu schnappen. "Ich bin immer in der Park in der Nähe gegangen, weil das nicht so viele Leute waren", erinnert sie sich, "man wusste damals nicht, wie das ist mit der Tröpfcheninfektion und wie sie die Schwebteilchen mit den Viren in der Außenluft verhalten."

Im Park, zwischen Bäumen und Sträuchern mit frischem Wind um die Nase fühlt sich Walther damals relativ sicher. "Und dann sah ich an diesem schicksalhaften Tag auf einer natürlich abgesperrten Wiese zwei Männer, die miteinander Federball spielen." Walther, die früher selbst Badminton bis hoch zur Kreislage betrieben hat, ist alarmiert. "Im ersten Moment war ich entsetzt, im zweiten empört", erzählt sie. Die geltenden Lockdown-Bestimmungen verbieten es strikt, mit mehreren Personen Sport zu treiben. Erlaubt sind einsame Spaziergänge, nicht aber das Lesen von Büchern allein auf einer Parkbank. Erlaubt sind auch Joggingrunden, so lange nur ein Teilnehmer unterwegs ist oder andere nachweislich zum selben Haushalt gehören. "Das waren Regeln, die hatte man ganz tief verinnerlicht."

Die erste Anzeige ihres Lebens

Und nun diese beiden Badmintonspieler, als wäre nichts gewesen. "Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten soll", sagt Regina Walther. Jeder sei damals aufgefordert gewesen, Verstöße zu melden, um Alte und Vulnerable zu schützen. "Ich bin aber eigentlich nicht so eine Meldemuschi", erzählt die nach einem Arbeitsunfall als Angestellte einer großen Verwaltung tätige Sächsin. In ihrer Familie sei es schon zu DDR-Zeiten verpönt gewesen, andere anzuschwärzen. "Selbst wenn man mit Leuten nicht einer Meinung war, war man doch mit einer einig, dass die Stasi, die Polizei und der Staat der gemeinsame Feind sind."

Nun aber lebt Regina Walther in einer demokratisch verfassten Staat. "Und dann kommt mit ein Stück weiter den Weg runter ein Polizeiauto entgegengefahren." was ihr durch den Kopf gegangen sei in diesem Augenblick, das könne sie nicht mehr erinnern. "Aber Fakt ist, ich habe an die Scheibe geklopft, ganz vorsichtig, bin mehrere Meter zurückgetreten, wegen der Ansteckungsgefahr, ich wollte ja den beiden Beamten nichts Böses." Und dann habe sie die verhängnisvollen Worte ausgesprochen: "Da hinten sind zwei Männer, die halten sich nicht an die Coronaregeln" habe sie gesagt. "Oder zumindest etwas ähnlich Blödes", seufzt sie heute, wo die Ausbreitung des neuartigen Lungenvirus öffentlich überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Mit der Macht gegen Menschen

Der kurze Satz, von den beiden Polizeibeamten nur mit einer kurzen Nachfrage nach dem genauen Ereignisort beantwortet, sei die erste Anzeige ihres Lebens gewesen, sagt Regina Walther. "Und ich bereue sie im Grunde seit dem ersten Moment." Wenn sie heute an die Szene denke, sehe sie "einen großen Aussetzer" und ein "schlimmes moralischen Versagen", denn  "jede Faser meiner Erziehung sagt mir, dass man sich nicht gemein macht mit der Macht, wenn es gegen Menschen geht."  

Dennoch sei es passiert, dennoch habe sie getan, was sie getan habe. "Und ich muss heute sagen, dass ich das damals auch für richtig gehalten habe." Überall sei ja die Rede davon gewesen, dass nichts mehr normal sein dürfe. "Vielleicht war ich es deshalb auch nicht mehr." Regina Walther knetet ihre Hände vor der Brust, sie seufzt schwer und atmet tief ein. "Ich habe an mir selbst gesehen, was aus Menschen werden kann."

Das Ende des blinden Glaubens

Und das nicht nur einmal, sondern nach "meinem großen Sündenfall" (Walther) immer weiter. Nach dem Erschrecken kam bei der jungen Frau mit den glänzenden dunklen Haar das Erschrecken über das Erschrecken, wie sie es nennt. Sie sei einerseits gerührt gewesen von der Reue über ihre Tat, die sie zu empfinden imstande war. "Aber ich war eben auch entsetzt von mir selbst,als mir klar wurde, was ich heute tun würde." Für Regina Walther ist klar: Zurücklaufen zu den Männern, sobald sie das Polizeiauto sehe. "Und dann würde ich sagen: Achtung, Achtung, ihr beiden, da hinten kommen zwei Beamte, bringt euch in Sicherheit."

Ein Akt der Entsolidarisierung oder ein Akt der Rückeroberung eines eigenen Willen? "Mich quält der Gedanke, dass ich bis heute nicht weiß, was den beiden damals geschehen ist." Aber, ja, sagt Regina Walther, sie könne an sich Spuren eine Radikalisierung erkennen. "Ich glaube nichts mehr, was von oben kommt, und ich befolge keine Befehle." Dass sie sich damit unter Umständen außerhalb der Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger stelle, die kein traumatisches Meldeerlebnis hinter sich haben wie sie, ist Regina Walther nur allzu klar. "Aber das ist nun mein Weg, ich wüsste nicht, wie ich heute noch blind folgen könnte, nur weil jemand behauptet, er sei mein Anführer."


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

OT

„Größtes Abenteuer unseres Lebens“

Auf ihrem YouTube-Kanal „Theros Adventures“ erklärten

Sarah und Brett, dass sie ihre Reise „Grüne Odyssee“ nennen. Sie hatten auf hoher See nur Segel, Sonnenkollektoren, Batterien und einen Elektromotor.

Brett Clibbery: „Wir tun alles, was wir können, um zu zeigen, dass man reisen kann, ohne fossile Brennstoffe zu verbrennen.“ Sarah: „Es ist wahrscheinlich das größte Abenteuer unseres bisherigen Lebens“.
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Aus: "Blöd"
Schimpft mich halt zynisch - aber das sind solche Verluste, welche die Menschheit bereichern.

Anonym hat gesagt…

Brett Clibbery: „Wir tun alles, was wir können, um zu zeigen, dass man reisen kann, ohne fossile Brennstoffe zu verbrennen.“

Passiert halt mal nach einem Grünrutsch. Man muss aber kein komisches Genie wie Dr. Grande sein, um darauf hinzuweisen, dass Menschen die meiste Zeit ohne Antrieb durch fossile Brennstoffe auf Seereise gingen.