Sonntag, 21. Juli 2024

Der Klimamörder ist immer der Gärtner

Dass der eigene Garten dem Klima hilft, ist eine Illusion, die großen Schaden anrichtet.

Selber Bohnen ziehen. Die eigenen Kartoffeln ernten. Erdbeeren aus dem Vorgarten essen. Und Gemüse nicht mehr aus dem global versorgten Supermarkt holen, sondern vom Beet, das mit dem eigenen Schweiß gedüngt wurde. Der Traum von der Selbstversorgung, er war jahrelang eine feste Domäne von verrückten Preppern und Angehörigen regierungsfeindlicher Landkommunen. Erst mit der Pandemie, den gerissenen Lieferketten nach Spanien und Fernost erreichte die Mode auch die Bionade-Viertel der Republik. Der eigene Garten galt nun nicht mehr als kleinbürgerliches Rudiment der Zeit, als der Leipziger Mediziner Daniel Schreber den geplagten Arbeitern der Frühzeit der Industrialisierung etwas Gutes tun wollte. Sondern als Beitrag zu Regionalwirtschaft und Klimarettung.

Zweifel am Kleingarten als Klimaretter

Doch eine der University of Michigan weckt nun ernste Zweifel am Vermögen der Kleinparzellen, der Welt zurück auf die richtige Bahn zu helfen. Den Ergebnissen der Untersuchung, die prüfte, wie viel CO2 beim Anbau von Lebensmitteln in verschiedenen Anbauformen entsteht, und kam zu dem Ergebnis, dass eine Portion Lebensmittel aus traditionellen Bauernhöfen im Durchschnitt 0,07 Kilogramm CO2 erzeugt - dieselbe Menge an Lebensmitteln, gezogen in einem Schrebergarten, aber mit 0,34 Kilogramm pro Portion aber fast fünfmal höher ist.

Der Kleingärtner als Klimakiller? Der eigene Garten, gut gepflegt und gehegt, als Tropfen, der das atmosphärische Fass zum Überlaufen bringt? Wenn der CO2-Fußabdruck der selbst angebauten Kohlrabis, Radieschen und Möhren fünfmal größer ist als der von Produkten aus konventioneller Landwirtschaft wären die Auswirkungen der Kleinfeldbewirtschaftung geradezu verheerend in Zeiten, in denen es auf jedes Kilogramm ankommt, um die Umwelt für Kinder und Enkel zu bewahren. Je mehr Menschen zurückfinden zur eigenen Scholle, im festen Glauben, damit einen Beitrag zur Versorgung mit gesunden, regionalen und damit klimaschonenden Lebensmitteln leisten, desto fürchterlicher wären die Auswirkungen.

Tödlicher Irrtum

Denn der Großteil der Emissionen aus den kleinen Gärten entsteht nicht durch den Anbau der Lebensmittel selbst, sondern durch die Infrastruktur rundherum. Individueller Anbau, die Menschen im Mittelalter mit ihren Handtuchfeldern wussten das, ist aufwendig, mühsam und bringt wenig Ertrag.  Jake Hawes, der Autor der Studie, wischt alle Illusionen beiseite, dass sich das durch kluges Kleingartenmanagement ändern lässt: "Der bedeutendste Verursacher der Kohlenstoffemissionen war die Infrastruktur, die für den Nahrungsmittelanbau genutzt wurde – von Hochbeeten über Gartenschuppen bis hin zu Wegen." In Konstruktionen, die den Ertrag erhöhen soll, werde viel Kohlenstoff investiert. Dazu kämen Unkenntnisse im Umgang mit Kompost und Gewächshäuser, die die Vegetationsperiode verlängern sollen. 

Gut gemeint. Mit erschütterndem Ertrag. Für die in der Fachzeitschrift Nature Cities veröffentlichte Studie wurden 73 städtische Landwirtschaftsstandorte auf der ganzen Welt untersucht und dabei der gesamte Lebenszyklus von Infrastruktur, Bewässerung und Versorgung des Standorts betrachtet. Die Ergebnisse legen nahe, sogenannte Schrebergärten künftig zu behandeln wie klimaschädliche SUV-Limousinen: Kleingartenobst etwa ist 8,6 Mal klimaschädlicher als Obst aus konventionellem Anbau,  Gemüse aus dem Schrebergarten belastet die Atmosphäre 5,8-mal schwerer als Gemüse vom professionellen Bauern. 

Ausnahme Tomate

Ausnahmen sind Tomaten und Spargel, denen die Forscher attestieren, einen geringeren CO2-Fußabdruck zu haben, so lange sie von Menschen mit grünem Daumen angepflanzt und betreut würden. Eine Portion Stadttomaten vom Mini-Beet verursacht danach durchschnittlich nur 0,17 Kilogramm CO2 verglichen mit 0,27 Kilogramm im professionellen Anbau, zumindest wenn der in einem energieintensives Gewächshaus stattfindet. Ebenso ist verhält es sich bei Spargel. Vorausgesetzt allerdings, er wird über Tausende von Flugmeilen eingeflogen.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die
Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das
Denken.

Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum
Menschen und jetzt wird er gar noch Pöbel.

Nietzsche, 1886

Anonym hat gesagt…

Für den gewöhnlichen Spießer, civis pusillus vulgaris, ist so etwas schwierig zu verarbeiten.
Die Obrigkeit ist weise, auch dann, wenn sie es ofenkundig nicht ist. Es mag sein, dass welche iht Gärtlein vascheuahn.: Sollen doch die Nachfolgenden die Sünde auf sich tun. Andere mögen nur noch Gewüchse dulden, die im Darknet als "klimaneutral" empfohlen wurden. Andere wiederum, schon wahr, sogar sehr wahr, aber mein Gärtlein ist nur klein, kommt nicht drauf an ...