Samstag, 20. Juli 2024

Das neue Wirtschaftswunder: Geduld und Spucke

Die ersten Flügel, auf denen die Wirtschaft sich zu alten Höhen schwingen wird, sind bereits eingetroffen.


Wie in 50er und 60er Jahren sollte es wieder werden, nur ohne rauchende Schlote, aufgerissene Minen und übermüdete Arbeitermassen, die im Hamsterrad der kapitalistischen  Vollverwertung buckeln, bis sie ihr Einfamilienhäuschen kurz vorm sozialverträglichen Frühableben endlich glücklich abgestottert haben. Bundeskanzler Olaf Scholz, kein Mann, der normalerweise mit Visionen hausieren geht,  griff in im Frühling des vergangenen Jahres zur Traumzeichnung, weil die Lage schlimm aussah. Zwar hatte Deutschland den ersten Winterohnegas besser überstanden als der Rest der Welt. Doch nun, wo die ersten Halme aus dem Boden sprossen, die ersten Sonnenstrahlen wärmten, brauchten das Volk eine positive Perspektive.

Zurück in eine sagenumwobene Zeit

Was eignet sich besser als das deutsche "Wirtschaftswunder", jene sagenumwobene Zeit in den 50er und 60er, als die Nation die Traumata des ja doch verlorenen Krieges abschüttelte und zum Wachstumsriesen aufschoss? Es gab wieder Kinder, es gab Wohlstand, es gab neue Autos, Radios und Röcke, später Fernseher und eben jene Eigenheime. An diese Erlebnisse der Eltern und Großeltern knüpfte Scholz  an. Er sei "sehr optimistisch", gerade weil das Wirtschaftswachstum in Deutschland "zuletzt ein wenig unter die Räder" gekommen sei durch all die Krisen. 

Nun aber beginne die Wiederholung eben jenes Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit: Nach 16 Jahren Merkel sei auch alles kaputt, der Rest aus Klimagründen auch nicht mehr brauchbar. Aber "wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er und 1960er Jahren geschehen", verriet der Sozialdemokrat. Viel brauchte es dazu nicht: Man müsse schneller planen, entscheiden und genehmigen. Fertig. Dann klappe es auch wieder mit jährlichen Wachstumsraten um die acht Prozent.

Woher nehmen und wem stehlen

Ein Ruck ging durch das Land. Und das Bruttoinlandsprodukt begann zu sinken. Anfangs noch als "schwächeln" belächelt, sank die Wirtschaftsleistung deutlich. Der Fachbegriff Rezession konnte nur vermieden werden, weil die Bundesstatistiker ihre Bleistifte nachspitzten und die Präsidentin des Statistischen Bundesamtes anschließend verkünden konnte, dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung "im nach wie vor krisengeprägten Umfeld ins Stocken“ geraten sei. Kein Wunder, wenn auch klein Beinbruch. Nur eben überraschend, weil die "anhaltenden Corona-Auswirkungen", die hierzulande am deutlichsten spürbare "international angespannte Situation", die Inflation und die chinesische Wachstumsschwäche vorher nicht zu erahnen gewesen waren.

Dass die Energiewende das alles nicht herausreißen kann und die "Scholzonomics" ihre Magie verloren hatten, als das Bundesverfassungsgericht den sie speisenden Transformationsfonds für verfassungswidrig erklären, versteht sich von selbst. Aber wenigstens das schneller planen, entscheiden und genehmigen, das ging die Ampel-Koalition an. Mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz als "Teil des dritten Beschleunigungspakets" war nach nicht einmal einem Jahr ein scharfes Schwert geschmiedet, um die fesselnden Spinnweben aus tausend Jahren Beharrung und Verknöcherung zu beseitigen. Als "tragender Industriestandort" (Bundesregierung) würde Deutschland nun alle fesseln abwerfen und sich aufschwingen zu alter Dynamik und imponierenden Wachstumsraten.

Es kann eines Tages ganz schnell gehen

Nachdem sich die Genehmigungszeiträume etwa für Windkraftanlagen zuvor in nur acht Jahren von sechs auf acht Jahre verlängert hatten, sollten sie nun  mindestens ebenso schnell wieder zusammenschrumpfen. Nicht überall, auch sonst nirgendwo, aber doch eines Tages ganz bestimmt. Wenn erst richtiges Bürokratieabbaugesetz beschlossen, die Lieferkettenkontrolle digitalisiert und die geplanten "140 Maßnahmen zur Entlastung von Wirtschaft und Bürgern" eingetütet und von der EU genehmigt sind, kann es mit der Entfesslung der rohen Marktkräfte ganz schnell gehen.

Denn schon bei seiner Wirtschaftswunderankündigung hatte Scholz zugesagt, dass Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahrzehnten kein großes Problem sein werde. Zwar bedeute der Energieausstieg für viele den Verlust ihrer Jobs, doch "nun entsteht Neues."

Und zwar im traditionellen Deutschland-Tempo.


1 Kommentar:

Die Anmerkung hat gesagt…

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