Samstag, 20. Juli 2024

80 Jahre anderes Deutschland: Aufstand des Anständigen

Das Kwartera Hitlera heute: Was Stauffenbergs Bombe übrigließ, versuchten Stalins Antifaschisten zu sprengen. Es blieb genug übrig, um Polen ein beliebtes Ausflugsziel zu schenken. 

Sei still, sei endlich still!
Hörst du nicht, dass da draußen etwas Neues beginnt?

Georg Diez, 2009

Ein feuchter Wald voller Mücken, und mittendrin ein Wolf. Ab 1940 baute die Organisation Todt in einen Wald bei Rastenburg im heutigen Polen ein Führer-Hauptquartier für den geplanten Russland-Feldzug, ab 1941 zog Adolf Hitler selbst in einen der sieben riesigen Stahlbetonbunker mit dem Tarnnamen „Chemische Werke Askania“, um näher an der Front zu sein. Beinahe wäre heute vor 80 Jahren alles vorbei gewesen - doch Hitler überlebte die Explosion einer Bombe, die Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 unter einem Konferenztisch im Führerhauptquartier Wolfsschanze platziert hatte.

Stauffenberg als Alibi

Der geplante Staatsstreich, vorbereitet als "Operation Walküre", scheiterte. Die meisten Verschwörer wurden hingerichtet. Hitler nutzte den Anschlag, um die Deutschen noch mehr als bis dahin hinter sich zu versammeln. Der totale Krieg wurde nun endgültig auch und unerbittlich nach innen geführt. Stauffenberg aber verschaffte denen, die überlebten, Jahrzehnte später ein Alibi: Bundespräsident Theodor Heuss weigerte sich 1950, im Rundfunk Worte der Würdigung und des Gedenkens an den 20. Juli 1944 zu sprechen. In der jungen Bundesrepublik war Stauffenberg ein Verräter, ein eidbrüchiger Soldat, kein Vorbild.

Als das taugte der Verschwörer auch im kleinen deutschen Nachbarstaat nicht. Im Osten galt der Umsturzversuch der Offiziere allenfalls als Mahnung, dass nur eine "konsequentere Politik der antifaschistischen Einheit, basierend vor allem auf der Aktivität der gesunden Kräfte des schaffenden Volkes", eine "erfolgversprechende Perspektiven des Kampfes gegen Hitler, für Frieden und Freiheit hätte eröffnen können". Den Stauffenberg-Orden "für militärische Verdienste", über den die SED-Funktionäre lange nachdachten, sollte es ab 1990 geben. Es kam etwas dazwischen und deshalb nicht mehr dazu.

Langes Warten auf höchste Anerkennung

Um zu höchsten Ehren zu kommen, musste Stauffenberg lange warten. Der Mann, der schon als junger Offizier Mitglieder der paramilitärischen SA ausgebildet hatte, während des Polenfeldzuges Karriere machte und aus dem besiegten Nachbarland nach Hause schrieb, dass die Bevölkerung in Polen "ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk" sei, also "ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt", erfuhr eine späte Verwandlung. 

Aus dem Adligen, der schon 1932 bei der Reichspräsidentenwahl für Adolf Hitler votierte und dessen Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 ebenso gut fand wie seine spätere Selbsternennung zum obersten Feldherren, wurde ein Widerständler, aber nie ein Demokrat. Stauffenberg lehnte die parlamentarische Demokratie als Staatsform ab: Erst aus prinzipiellen Gründen. Später, weil er, nun zum Hitlergegner geworden, glaubte, erst die parlamentarische Demokratie haben dem Maler aus Braunau schließlich den Weg zur Macht geebnet.

Nun in allen Ruhmeshallen

Seinem Nachruhm schadete das nicht. 1955 wurde die Berliner Bendlerstraße zur Stauffenbergstraße. Die Deutsche Bundespost widmete von Stauffenberg zum 20. Jahrestag seines Attentats eine Briefmarke. Noch 1970 beurteilten nur 39 Prozent der Westdeutschen die "Männer vom 20. Juli" positiv. Erst im Jahr 2004 gab es in einer repräsentativen Befragung der wiedervereinigten Deutschen erstmals eine wohlwollende Beurteilung der Täter und der Taten vom 20. Juli 1944. 

Um das Jahr 2000 herum entstand die Legende vom Nationalheiligen: Stauffenberg zog in Ruhmeshallen ein, die Bundesregierung widmete ihm Feierstunden, immer mehr Schulen beanspruchten seinen Namen. In Stuttgart wurde eine Erinnerungsstätte eröffnet, Gedenktafeln sprossen in Bamberg, Wuppertal, München und Hannover aus den Wänden. 

Einig im Widerstand

Von Anfang an uneingeschränkt unterstützt wurde hingegen der Widerstand gegen den Film "Valkyrie" im Jahr 2008. Hauptdarsteller Tom Cruise sollte als bekennender Scientologe keine Genehmigung bekommen, den guten Deutschen Stauffenberg darzustellen. Der Bendlerblock, heute Sitz des Verteidigungsministeriums, so hieß es, sei ein historischer Ort, dessen historische Würde bei den Dreharbeiten verletzt werden könne. Das Bundesfinanzministerium versagte die Dreherlaubnis. Hollywood musste das Schlachtfeld im Studio nachbauen.

Stauffenberg war nun schon zu dem geworden, der er heute mehr denn je ist. Der gute Deutsche. Das Gesicht des an Gedenktagen rituell beschworenen anderen Deutschlands. Sein Name ist alles, was in Schulbüchern vom Widerstand übriggeblieben ist. Polen dagegen hat die von Hitler selbst auf "Wolfsschanze" getauften Trümmerberge bei Kętrzyn, dem früheren Rastenburg. Betonfelsen, von denen nicht einmal sicher ist, ob die abrückende Wehrmacht oder die ankommenden Sowjettruppen sie gesprengt hat. 

Tagestouren in die Trümmer

Der Ort, der über Jahre als eigentliches Regierungszentrum des Dritten Reiches diente, ist zu einer überwucherten Touristenattraktion geworden, die zu "Full-Day Private Wolf's Lair"-Touren zu "Hitlers HQ" einlädt. Hunderttausende kommen jedes Jahr, um die wie kaputte Hochhausfundamente aus dem Waldboden ragenden Reste der Bunkeranlage zu bestaunen und sich den Tarnbeton mit Algeneinlage, die Reste der Wege und die Ruinen von Bunker Nr. 13 im streng gesicherten inneren Sperrkreis anzuschauen, aus dem der selbsternannte "Wolf" das Reich per Funk und Telefon regierte. Gequält von schwarzen Mückenschwärmen und der ewigen Feuchtigkeit in den nur langsam abtrocknenden Zementburgen.

Die sind zum Teil nur noch in Umrissen erkennbar, haben den eigenen Zusammenbruch aber unveränderter überstanden als das Geschichtsbild der Deutschen. Zum 80. wird es wieder wie neu sein: Es gibt wieder die alten großen Reden, das Erinnern, den Jubel über die eigene Weisheit und die Gewissheit, es in jedem Fall besser machen zu werden. Man wird mahnen und appellieren, mit Leidenschaft abrechnen und die Redenschreiber Parallelen ziehen lassen und schwören, dass dieses Nie wieder ganz genau jetzt ist. Niemand wird sagen, was er denkt, es wird Wort an Wort gehäkelt, "dass es langweiliger nicht sein könnte, weil sie sich nicht trauen, das zu sagen, was sie wirklich denken, oder weil sie gar nicht wirklich selber denken", wie Georg Diez lange vor seiner Bekehrung einmal geschrieben hat.


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