Angela Merkel lehnte die Wahl, ob das Glas halb voll sei oder halb leer, stets ab. Aus Sicht der Physikerin passt auch in ein volles Glas immer noch ein Schluck hinein. |
Ein Mensch, und doch keiner. Eine Ikone, aber unsichtbar. Die Frau, die 16 Jahre über alles bestimmt, alles regierte, die Welt so fest im Griff hielt, wie es sich andere heute noch einbilden. Angela Merkel, die einzige gebürtige Hamburgerin, die jemals öffentlich als "Ostdeutsche" bezeichnet wurde, trägt heute als einzige Frau der Welt den höchsten deutschen Orden und sie genießt zugleich ein geringeres Ansehen als jemals zuvor.
Kein Staatsakt mehr
Ihren 70. Geburtstag feiert die Republik nicht als Staatsakt, nicht mehr Feuerwerk und Festkonzert. Es gibt keine spontane Versammlung von dankbaren Kunst- und Kulturschaffenden, die mit Blumen kommen, keine Mal- und Singaktion der Boulevardpresse, keine Umfragen nach "Deutschlands Besten", die zugunsten der Bundeskanzlerin manipuliert werden. Vor dem bescheidenen Wohnhaus der früheren Frau Bundeskanzlerin spielt das ganz normale Berliner Leben. Und kaum ein Gratulant schleicht sich ans merkelsche Wochenend-Idyll im mecklenburgischen Hohenwald, um der Jubilarin seine ungebrochene Liebe und Zuneigung zu zeigen.
Ironie kann sie. |
Merkel hat sich in den zurückliegenden Jahren rar gemacht. Doch auch die politischen Weggefährten und früheren Merkel-Medien haben sich von der früher hochverehrten Physikerin entfernt. Angela Merkel, der in ihren langen, langen Jahren im Amt mehr und mehr zugetraut worden war, einen todsicheren Plan, allerhöchste moralische Werte und die Dinge im Griff zu haben, erscheint in neueren Darstellungen ihrer Verdienste oft wie ein historischer Irrtum: Die Infrastruktur vergammeln lassen habe sie, die Rechtsextremen hochkommen lassen, Deutschland an der Russen verraten, die große Transformation verschlampt, die soziale Spaltung vorangetrieben, die CDU sozialdemokratisiert, Europa gespalten und das Nato-Ziel von zwei Prozent nie ernst genommen.
Kein gutes Haar
Kaum, dass noch ein gutes Haar an der besten Kanzlerin bleibt, die Deutschland jemals hatte. Noch wird die über gelegentliche Termine öffentlich weiter fortwirkende Rekordkanzlerin nicht auf dieselbe Art in Bausch und Bogen verdammt wie der einst als "Einheitskanzler" gerühmte Helmut Kohl, den die neuere Geschichtsschreibung allenfalls noch mit spitzen Fingern anfasst.
Doch Merkel droht zweifellos ein ähnliches Schicksal: Drei Jahre nach seinem Abschied hatte Kohl zum Beispiel noch als recht geachteter ehemaliger Spitzenpolitiker gegolten, dem viele Verdienste zugeschrieben wurde. Noch im Jahr 2002 wurde Wanderweg von Eppenbrunn ins französische Roppeviller auf den Namen Kohls getauft, die Strickjacke, die er 1990 bei einem historischen Treffen mit Michail Gorbatschow im Kaukasus trug, befindet sich bis heute als Ausstellungsstück im Haus der Geschichte in Bonn, wo auch die Protokolle des Hades-Planes verwahrt werden.
Verpasstes Lebensziel
Merkels Kanzlerschaft währte mit 5861 Tagen neun Tage kürzer als die des Pfälzers, ihr ganz großes Lebensziel hatte die CDU-Politikerin damit am Ende doch verpasst. Doch geblieben sind ihre Leistungen, die die Frau mit den "polnischen Wurzeln" (Frankfurter Rundschau) zu einem Solitär in der deutschen Geschichte machen. Unter Merkels Ägide wurden mehr bürgerliche Freiheiten und Grundrechte bestritten, beschnitten und unter behördlichen Erlaubnisvorbehalt gestellt als jemals zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Angela Merkel, aufgewachsen in einem totalitären Regime, ließ viele Dinge laufen, griff aber in den Stunden der Not immer zum bewährten Handwerkszeug der Alleinherrscher: Sie bestimmte, dass und wie Griechenland, der Euro und die EU gerettet wurden. Sie allein beschloss den Atom-Wiedereinstieg und dessen Ende. Sie lenkte ihre Partei nach links und nannte es "Mitte", die öffnete die Grenzen, indem sie sich nicht schloss. Und sie lud Russlands Herrscher Wladimir Putin ein, Deutschland an der langen Gasleitung zu führen, obwohl aus den USA dringliche Warnungen kamen.
Verlorener Nimbus
Merkel hat drei Jahre nach ihrem Abgang den größten Teil ihres über Jahre gepflegten Nimbus verloren. Aus der Politikerin, die "alles von hinten denkt" und immer schon weiß, wie es ausgeht, ist eine weitgehend unsichtbare Altvordere geworden, die ihre eigene Partei schneiden muss, um nicht von der Partei geschnitten zu werden. Doch ihren feinen, an DDR-Verhältnissen geschulten Humor hat die Jubilarin nicht verloren: Ihrer pünktlich zum 70. Geburtstag vorgelegte Selbstverteidigungsschrift hat sich den ironischen Namen "Freiheit" gegeben.
Eine augenzwinkernde Referenz Richtung George Orwell, den die ehemalige Ostdeutsche im Unterschied zu jüngeren Politikern wie der Grünen Ricarda Lang tatsächlich gelesen hat. Seitdem weiß Angela Merkel genau, wie sich Begriffe im direkten Gegensatz zu ihrer eigentlichen Bedeutung verwenden lassen: Legendär ihre Ansage auf dem CDU-Parteitag in Dresden im Jahr 2006, dass "Multikulti Deutschland in die Irre geführt" habe und "gescheitert" sei. Oder der bei einer Audienz bei "Anne Will" verkündete Beschluss, dass Deutschland seine "Grenzen nicht schließen" könne.
Selbstgeschriebenes Buch
Ihr Kaisergeburtstagsbuch hat Angela Merkel ganz allein geschrieben, zumindest vermerkt der Einband keine
Co-Autorin oder einen Co-Autor. Aber es ist ja auch die Ex-Kanzlerin, die am besten weiß, dass moderne Politik ohne Politik funktioniert: Ihr ist es gelungen, den Wohlstand durch ein Wohlstandsversprechen zu ersetzen, die sichere Rente durch das Versprechen einer sicheren Rente, und die Sicherung der Zukunft des Landes durch den Satz "wir schaffen das", denn "Sie kennen mich".
Dass es natürlich der öffentlich-rechtliche Gemeinsinn-Funk sein musste, der der an der Geschichte letztlich Gescheiterten mit einem Dramolette in Serienform noch einen späten, einsamen Kranz windet, liegt in der Natur der Sache. ARD und ZDF waren immer die Geschütze, mit denen Merkel ihre Schlachten gewann. Das Biopic "Schicksalsjahre einer Kanzlerin" deutet nun schon im Titel an, wie viel wichtiger die Leiden und Taten der CDU-Politikerin waren, verglichen mit denen, denen sie versprochen hatte, ihren Nutzen zu mehren. Merkel taucht noch einmal als Lichtgestalt auf, die evangelische Christin folgt wieder dem Jesus-Prinzip, wonach ein Fisch für einen Menschen reicht, deshalb aber auch für alle.
Falsch und unmenschlich
Sie hatte nie die Absicht, eine Mauer zu
bauen und sich dabei eventuell die Finger schmutzig zu machen. Stattdessen saß sie auf dem
Thron der höheren Moral und belehrte die, die sie für sich bauen ließ, darüber, wie
falsch und unmenschlich das sei. Wenn man kein freundliches
Gesicht mehr zeigen kann, dann ist das nicht mehr mein Land, hat Angela Merkel einmal gesagt, fast bockig klang sie, die Physikerin, die überzeugt war, dass ein Glas niemals voll sein kann, sondern immer noch etwas hineinpasst. Jeder wusste es besser. Und niemand widersprach.
Dass sie es geschafft hat, nach dem Desaster von 2015 tatsächlich
noch einmal wiedergewählt zu werden, wird eines fernen Tages als größtes Meisterstück politischer
Strategie und als mysteriöse Gotteserscheinung in die Geschichtsbücher eingetragen werden. Buch und Film sind dann schon lange vergessen.
14 Kommentare:
Die Ära Merkel wird erst mit ihrem Flug nach Chile abgeschlossen sein.
Merkel war auch der erste deutsche Kanzler, der einen erfolgreichen Staatsstreich, und das auch noch aus dem Exil in Botswana oder Buwamba oder Bawumda oder wie das heißt, auf seiner Habenseite verbuchen kann, der so erfolgreich war, daß er mittlerweile seine Nachahmer selbst noch im kleinsten Landkreis findet. Wenn ein Wahlergebnis nicht paßt, wird es rückgängig gemacht.
Zynismus oder/und Hohn ist mE der geeignetere Ausdruck. Dass A.M. (Sucharit Bhakdi als vollständig sich der Humanitas verschrieben vermag ihren Namen nicht auszusprechen) nicht greifbar ist, wie ein Gespenst wirkt, ihr werden keine Festakte gewidmet, höchstens verkrampft, oder Gedenkmomente usw... Es rührt wahrscheinlich daher, dass alle Themen, welche die Kanzlerin anrührte, der Zerstörung Deutschlands dienten. Und selbst ihre Fanboys verstehen es unbewusst - im Gegensatz zu den Kanzlern wie Adenauer, Schmidt oder selbst Brandt und Kohl hatte AM nie Interesse an Land und Volk.
Und so mag AM sich als evangelische Christin bezeichnen, aber die Werte, welche Christus vertritt, lehnt sie offensichtlich ab, in Tat und Wort. Sie steht nicht für Freiheit und auch nicht für Wahrheit, beides bekannterweise ist unmittelbar verknüpft. Das Gegenteil von Christ ist übrigens nicht Heide, oder Atheist, sondern Antichrist.
Ja, sie hat es 'geschafft', das Land weitgehend ohne Widerstand mit Hilfe der Presse der Monopole mit Wilden zu fluten. Herzlichen Glückwunsch!
Sie war der Inbegriff des Funktionärs, so wie es ihn selbst in der DDR nur selten gab. Der Funktionär übernimmt jede Aufgabe, den die Partei (die übergeordnete Autorität) stellt und erfüllt sie eifrig und mit Enthusiasmus gegen alle Widerstände. Die Parteiaufgabe wird zur eigenen Aufgabe, so als hätte man sie sich selbst gestellt. Und als Dank möchte man belobigt werden, vor aller Augen - nicht materiell, sondern ideell. Orden ( und oder Ehrendoktorwürden), Lobpreisungen, vorteilhafte Bilder an der Wand der Besten sind wichtiger als Geld ( ich glaube, sie ist nicht besonders reich geworden - aber wie heißt es in "1984": Wir oberen Führer haben keinen Besitz, aber wir bekommen alles, was wir brauchen). Die Frage ist nur: wer war A.M.s "Partei"?
Angela Merkel: Kanzler Olaf Scholz würdigt zum Geburtstag ihre politischen Leistungen
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Oh, das war dann aber sehr schnell vorbei.
die die Frau mit den "polnischen Wurzeln" (Frankfurter Rundschau)
Nicht nur polnische. Der Polyglott Dikigoros mutmaßte ob einer sehr nahen sprachlichen Verwandtschaft zwischen den Namen "Kasner" und "Kouchner" - über die Mitteilung diesbezüglich war Le Penseur nicht eben wenig angefressen ...
Statt "Freiheit" wäre "Die Getriebene" evtl. passender gewesen.
Wenn St. Obama ihr nach dem Beschluss der EURO-Gruppe, Griechenland auszuschließen, ankündigte, er werde sie persönlich verantwortlich machen, falls russische Kriegsschiffe in Piräus ankern (aus dem Gedächtnis zitiert nach G. Steingart), wenn Bad Putin ihr trotz/ wegen ihrer Hundeangst seinen Knuffelwuff zulaufen lässt - während sie in ihrer Kanzlerschaft absolut nichts*, veranlasste, außer erratische Entscheidungen gegen jede Beschlusslage zu treffen, dann ist "Freiheit" möglicherweise ihr Zukunftswunsch.
*die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare schien ihr ein besonderes eigenes Anliegen zu sein, da es sich nicht zugleich unmittelbar als fremdstaatennützlich erweist.
Interessant sind aber ihre frühen Jahre in der DDR. Nein, nicht ihr Bewährungs-/ Straf-, weil K#€!-posten als FDJ-Hochschulagitatorin.
Gemeint sind die wirklich dicken Klopse, die Merkel sich geleistet hatte und trotzdem kaum Konsequenzen erfuhr. Ministersöhnchen wurden für weniger Arges doller abgewatscht (vgl. Chaim Noll auf Achnaja). M. dagegen reiste privat nach Westberlin. Das ist auch mit dem Genoss... ähm dem als "Roten Pfarrer" bekannten Herrn Papa nicht ganz plausibel zu erklären.
Hier bitte keine Spekulationen über "IM Erika" anstellen. Auch ein Herr Knabe konnte keine IM-Akte zu M. finden, im Stasiunterlagenarchiv.
So. Genug geschwatzt. Nun höre ich mal lieber auf, bevor ich im Tessiner Straßenverkehr zu unaufmerksam und beim Über-die-Straße rennen noch überfahren werde.
Die Achnajagang ist seit dem frühen Morgen auf'm Haste-ma-n-Euro-Trip. Klonovsky sekundierte ganz artig.
Nö, hab ich nich.
"die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare schien ihr ein besonderes eigenes Anliegen zu sein ..." nachdem Martin Schulz das als SPD-Wahlkampfkampagne vorgestellt hatten. Zwei Wochen danach fand ein CDU-Hinterbänkler die Homo-Ehe ganz OK. Dann ein Vorderbänkler. Und noch ein paar Tage drauf hat Merkel von ihrem persönlichen Erlebnis mit so einen Paar erzählt, ganz nette Leute, sie hat keine Einwände mehr.
Und siehe, da ward die SPD-Wahlkampagne vaporisiert. Merkel kann asymmetrische Demobilisierung.
aber die Werte, welche Christus vertritt ---
Wenn schon, v e r t r a t , denn er ist schon eine ziemliche Weile kalt, und die Parusie lässt auch ziemlich auf sich warten. Aber so was von.
Was für Werte so? "Es ist nicht recht, den Kindern das Brot zu nehmen und es zu werfen vor die Hunde" - "Aber die, welche mich nicht zum König haben wollen - die führt her und macht sie nieder vor meinen Augen!"
Matze 27.46 ist auch nicht schlecht: Mein Gott, mein Gott, wieso hast du mich derartig in den Arsch gekniffen? Ruf eines Losers, der wenigstens ahnt, dass er sich vergaloppiert hat.
Dat ward nix, min Jung. Mit Martin Luther frisch ALLES geglaubt, oder NICHTS geglaubt. Und, "alles" ist wirklich 'n bisschen viel verlangt.
El Hotzo wird sehr weich fallen. Werden sie ihben ein wenig Kritik und Selbstkritik ... Ich wollte, ich würde mich irren.
Was gilt's? Hiob 1.11
"Dat ward nix, min Jung. Mit Martin Luther frisch ALLES geglaubt, oder NICHTS geglaubt."
Wenn ich darauf erwidern darf... Ja, ich will das alles gern glauben, denn *glauben* ist der Zugang zu *Gott*. Und dann darf ich die Erfahrung machen, dass sich mir ein Panorama öffnet mit einer geradezu epischen Ambivalenz. Und es gab nur einen Charakter, welcher imstande war, diese Ambivalenz zu durchschreiten. Dazu gehört gleichzeitig „Eli, Eli, lama sabachthani“ als auch „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“
Stellen im NT wie zum Beispiel mit dieser Frau mögen starker Tobak sein - andererseits gerierte sich Jesus nie als König/Herr - die Menschen, welche sich vor ihm niederwarfen, taten dies als im Erkennen Notwendigwerden.
Ich glaube an den Großen Geist. Wakantanka, den Großen Natschalnik.
Wer hat die sogenannte Anomalie des Wassers geschaffen, oder, vor viereinhalb Milliarden Jahren die Theya im richtigen Winkel mit der halbflüssigen Ur-Erde zusammen knallen lassen? Blinder Zufall eher nicht. Nur - das Bodenpersonal, und zwar die angeblichen Propheten noch mehr als die gemeinen Pfaffen, ist höflich ausgedrückt, unvollkommen. Und Joschi der Gesalbte nun ganz und gar. Könnte ja jeder kommen.
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