Sonntag, 7. Juli 2024

360-Grad-Warnung: Nässetod im Höllensommer

Ein aktuelles Update einer "Tagesschau"-Warnung zeigt die wachsenden Gefahren, die der ausbleibende Höllensommer mit sich bringt.

Es ist einer dieser nationalen Alleingänge, die niemand mehr sehen will. Und doch: was auf den ersten Blick anmutet wie Viktor Orbans Canossareise nach Moskau, um sich dort mit dem Kreml-Machthaber gegen die Kriegsanstrengungen der EU zu verschwören, die Ukraine zu verraten und über eine vermeintliche "Friedensmission zu schwadronieren" (Spiegel), ist das ganze Gegenteil davon. Deutschland setzt ein Zeichen, ein Zeichen gegen Wetterextreme wie Starkregen, Stürme und Höchsttemperaturen, ein Zeichen der Wappnung und Resilienz, ein Zeichen, dass das vom Klimawandel am schlimmsten betroffene Land in der Mitte Europas bereit ist, Strategien vorzulegen, die eine flächendeckende Klima-Vorsorge ermöglichen.  

Erste Erfolge bereits spürbar

Mit seinem Hitzeschutzplan war der Bundesgesundheitsminister im letzten Sommer vorgesprescht, die Ergebnisse bisher sprechen für ihn, doch Deutschland muss sich weiter besser wappnen. Ein Gesetz, das mit dem ersten Höllensommermonat Juli in Kraft trat, soll entscheidend dazu beitragen. 

Das neue Gesetz verpflichtet nicht nur Bund und Länder, eine flächendeckende Klima-Vorsorge zu ermöglichen, sondern auch öffentlich-rechtliche Medien, die notwendigen Wetter-Warnungen auszubauen. Statt nur ausgewählte der nahezu 200.000 jährlichen Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zu verbreiten, sollen zur Verdeutlichung der Realität des Klimawandels und seiner jederzeit spürbaren Folgen nicht mehr nur die regelmäßigen Hitzewarnungen, sondern auch dringliche Hinweise auf Regen, Wind und anderen Wetterunbilden angeboten werden. 

De-Risking der Gefahrenursachen

Extreme mittlere Gefahr.

Da durch die Klimaerwärmung nicht nur immer mehr Menschen in Deutschland "zunehmend an Hitzetod" (Tagesschau) sterben, rücken auch Nässe, Kälte und Dürre mehr und mehr in den Mittelpunkt. Vor allem Wasser gilt derzeit als Problem: Nach Angaben des DWD erlebt Deutschland derzeit nicht nur die wärmsten, sondern auch die nassesten zwölf Monate seit dem Beginn Wetteraufzeichnungen vor 143 Jahren. Noch nie seit 1881 hatte es so viele niederschlagsreiche zwölf Monate hintereinander gegeben wie im Zeitraum zwischen dem weltweit wärmsten Juli aller Zeiten im Jahr 2023 und dem Juni 2024, der als erster durchschnittlich unauffälliger, weil "nicht zu heiße" Monat seit 13 Monaten gilt.

Die neue Klimawelt, sie ist eine andere als das Land, aus dem Deutschland herkommt. Nie zuvor in der Geschichte waren Hitze, Sommer, Temperatur und Klima so gefragt und erfolgreich wie in diesen letzten Tagen einer Zeit, die noch ganz andere Themen kannte. Nur zwei Wochen nach dem kalendarischen Sommeranfang ist alles andere fort, hinweggefegt von einem Tsunami aus hohen und höchsten Temperaturen. Die "Zeitenwende" das Kanzlers, das Heizungsgesetz, die Aufarbeitung der Pandemie, der Wiederaufbau Europas, die Verspätungen bei der Bahn, die Clanwirtschaft im Klimaministerium und der Stärkung der Zivilgesellschaft durch vermehrte Meinungskacheln von ARD und ZDF, spukhaft schon sind sie verschwunden, hinweggefegt von der neuen Gefahr.

Eiweiß wird hart

Was Eiweiß hart werden lässt, ist für den Rest aller Materialien ein Grund, weich zu werden. Autobahnen schmelzen, Schienen verbiegen sich, Hochhäuser stöhnen unter den gnadenlosen Strahlen eines Sterns, der als einzige kosmische Konstante seit Tausenden von Jahren mit absolut gleichbleibender Intensität herniederglüht. Hitze erhöht nicht zuletzt auch das Risiko für Frühgeburten, führt aber auch zu mehr Totgeburten, zu Leistungsabfall, mehr Gewalt,  Andrang in Notaufnahmen Engpässen bei Trinkwasser und leeren Salatregalen.  Es brauchte Warnungen über eigens erstelle Apps, um unbedarfte Mitbürger vor "extremer mittlerer Hitze" von 25 Grad mitten im Frühsommer zu warnen. 

Dabei geriet außer Blick, dass das sich wandelnde Klima weitaus mehr Gefahren bereithält. Was ist mit der Dürre, lange ein Klassiker? Was ist mit den Vernässungen, die vor einigen Jahren noch die Lebensgrundlagen bedrohten? Und wie sieht es mit der Nässe aus, die immer dann besonders boshaft auftritt, wenn es gerade nicht überheiß ist? 

Schöne Regensommer

Früher schaute Deutschland neidisch auf die Menschen in südlicheren Ländern, die es gelernt hatten, in sommerlicher Hitze zu überleben, während Deutschland sich noch durch seine traditionell regennassen, trüben Sommer zitterte und aus feuchten Zelten "Wann wird's mal wieder richtig Sommer" von Rudi Carrell sang. Heute, wo sich die Sehnsucht zu erfüllen scheint, ähnliche Mittelmeersommer dauerhaft genießen zu dürfen, wird die Rückkehr der traditionellen Regensommer zu Bedrohung. 

Den "Brennpunkten" und den "ZDF-Spezial"-Sendungen zufolge müssten Athen, Lissabon und Nikosia seit Jahrzehnten verlassen sein, aufgegeben wegen des Klimanotstands, den Konstanz am Bodensee weitblickend bereits im Mai 2019 ausrief, jenem Jahr mit der "extremen Hitzewelle mit Temperaturrekorden, der nach 2003 mit 19,7 °C und 2018 mit 19,3 °C als drittheißester seit dem Beginn regelmäßiger Messungen 1881 in die Annalen einging. Liefern die Thermometer keinen Anlass für neue Aufregung über steigende Temperaturen, Hitzestress und Rekordgrade, muss der zurückgekehrte Regen ran: Noch hat der Sommer kaum begonnen, das artet er schon zur Katastrophe aus.

Ist es nicht die Hitze, die alle umbringen wird, wird es die Nässe sein. Nur nicht zu konkret werden, nachher stimmt das alles wieder nicht. Erst seit der Deutsche Wetterdienst nach dieser Maßgabe Wettervorhersagen erstellt, kann jederzeit alles passieren. Oder auch nicht. Und es war doch stets richtig.

Schutzschirm gegen alles

Einer Logik, der auch die Bundesregierung mit ihren neuen Plänen zur umfassenderen Warnung aller vor allem folgt. Nach dem Vorbild des Globalen Schutzschirms gegen Klimarisiken (GSgKR), den Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Klimakonferenz COP28 in Dubai vorgestellt hatte, sieht die neue Regelung beim klimawandelbedingten Ausbleiben von Hitze- und Höllensommern ein Nachschärfen der Warninhalte vor. Nicht wovor gewarnt werden muss ist wichtig, sondern dass überhaupt vor etwas gewarnt wird. Der Bürger und die Bürgerin, sie sollen sich betreut fühlen, beobachtet und beaufsichtigt, vor allem aber gut betreut und beschützt.

Jetzt wird klar, was die Forscher des UN-Weltklimarat IPCC meinten, als sie darauf hinwiesen, dass der Klimawandel eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit darstellt, weil in vielen ohnehin nicht sonderlich friedlichen Ländern mit heißem Klima jedes zusätzliche Grad zu exponentiell mehr Gewalt führt und in jedem allzu feuchten Land die Wut darüber ansteigt, wieder keinen richtigen Sommer abbekommen zu haben. Der komplette Urlaub im nassen Strandkorb. Dann doch lieber Spanien oder Italien, obwohl dort der Asphal flüssig ist.

Die Wirkungen der Klimaerhitzung in Deutschland erlauben beides. Wetterextreme wie Hitze, schwere Stürme und Dürren wechseln sich ab mit Starkregen, Nässe und grauem Himmel. Sie lassen Menschen, die den Kliawandel immer noch leugnen, erstmals ahnen, welchen Einfluss das Wetter auf die Entstehung von Terrororganisationen wie Boko Haram, dem Islamischen Staat und anderen gewalttätigen Gruppen haben könnte. Auffallend: Sie alle konzentrieren sich in Ländern, deren Durchschnittstemperaturen um zehn bis 15 Grad höher liegen als die in den westlichen Demokratien.

Risikolagebild von der KI

Gesteuert von einer Künstlichen Intelligenz wird je nach Risikolagebild vor jeweils dem Klimawetter gewarnt, das droht, vom langjährigen Durchschnitt abzuweichen. Die Daten dazu kommen vom EU-Klimadienst Copernicus und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Ab wann genau vor gefährlichen Folgen von menschengemachten Trends gewarnt wird, entscheiden die gesetzlichen Vorgaben, die der Bundestag mit dem Klimaanpassungsgesetz (KAnG) im vergangenen Jahr beschlossen hatte.

Gefährlich heiß oder nass

Egal, ob es für Menschen gefährlich heiß oder kalt wird, ob es zu viel schneit oder zu viel regnet, zu trocken ist oder zu nass, über schützende Handreichungen werden Bürgerinnen und Bürgern wichtige Hinweise gegeben: Wie auch immer die Witterung ausfällt, die Wahl der Bekleidung spielt eine wichtige Rolle. Nicht nur direkte Sonneneinstrahlung, sondern auch Wind und Regen wirken sich auch auf die menschliche Körpertemperatur aus. Kaum bekannt ist, dass Hitze zwar für 0,42 Prozent aller Todesfälle verantwortlich ist, Kälte jedoch für 7,29 Prozent. 

Tödlich kann sich auch eine höhere Luftfeuchtigkeit bei moderat warmen Klimatemperaturen auswirken: Die Kühlgrenztemperatur liegt in schwülwarmen Regionen schon bei 31 Grad. Das heißt, dass weniger Schweiß verdunsten und von der Luft aufgenommen werden kann. Hohe Regenmengen bedeuten höhere Luftfeuchtigkeit, auch bei Temperaturen unterhalb von sommerlichen Rekorden. Das KAnG  verpflichtet Bund und Länder deshalb, Strategien vorzulegen, die Breitband-Warnungen ermöglichen: Ganz konkret setzt das Gesetz einen Rahmen fest, um etwa Notfallalarme in Starkregen-Hotspots auszulösen oder den Regenschutz für besonders gefährdete Gruppen über Regenschirm-Ausgabestationen und Regencape-Spender auf öffentlichen Plätze zu verbessern. 

Regencape-Stationen

Bislang war das Privatsache. Das neue Gesetz macht diese Aufgabe für alle verbindlich. Vor allem ARD und ZDF flankieren die sogenannte vorsorgende Klimaanpassungsstrategie mit Ratgebersendungen, in denen Experten wirksame Klimaanpassungsmaßnahmen zeigen und beispielsweise beschreiben, wie Regenschirm und Gummistiefel richtig verwendet werden. Tragen Sie ruhig Hut! Cremen Sie sich gern ein! Gegen Nässe helfen Gummistiefel!

In den sozialen Netzwerken soll mit Meme-Tafeln gearbeitet werden, die kurz und knapp in leicht fassbaren Grafiken zeigen, wie der Individualschutz mit einfachen Hilfsmitteln verbessert werden kann. Kommunale Klimaanpassungsmanager sollen zudem Anpassungskonzepte vor Ort erarbeiten und etwa Schulklassen oder Ältere über passende Schutzausrüstung informieren.



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Regencapes sind viel besser als Regenschirme. Denn bei Klimasturm fliegt dann nicht bloß der Regenschirm, sondern das Cape gibt dem Träger Anschub.