Angeblich sollen höhere Temperaturen gefühlt heißer gewesen sein. Solche verrückten Verschwörungstheorien verbreiten sich wie Lauffeuer. |
Es ist eine der verrücktesten Verschwörungstheorien überhaupt, doch gerade im Internet verbreitet sie sich wie ein Lauffeuer. "Früher waren doch 30 Grad wirklich viel wärmer", sagt auch Frieder Hesselkamp, der als einer der ersten Menschen gilt, denen die sogenannte Temperaturverschiebung auffiel, von der jetzt alle reden.
Erweckungsmoment im Klimasommer
Für ihn sei es seinerzeit, mitten im Klimasommer 2022, ein Erweckungsmoment gewesen, sagt der 55-jährige Sachse. "Es war einer der Höllenhitzetage im August, kurz nachdem Konstanz am Bodensee der Klimanotstand ausgerufen hatte", erinnert er sich. Und genau in diesem Moment sei ihm zum ersten Mal bewusst geworden, dass "wir als Kinder bei 30 Grad nur noch an hitzefrei und Freibad dachten, während wir heute lieber noch eine Jacke mitnehmen, wenn wir morgens zur Arbeit gehen."
Es ist in der Tat auffällig, wie der Hitzeschutzplan, den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor einem knappen Jahr vorstellte, die Temperaturwahrnehmung der Deutschen verändert hat. Seit jenem Juni 2023, als erstmals eine Bundesregierung Front machte gegen die zunehmende Dürre, der glühenden Städte und den bundesweiten Mangel an Trinkbrunnen, an denen sich überhitzte Bürgerinnen und Bürger für die nächsten paar Meter durch die Sonnenglut erfrischen können wie an handelsüblichen Sahara-Oasen, weniger die herrschenden Temperaturen als vielmehr deren Empfindung durch die menschlichen Sinne beeinflusst hat.
Lauterbachs Weckruf
Alle Monate seit Lauterbachs Weckruf waren zu warm, der gesamte Frühling war es sogar schon, als noch nicht einmal der zweite Frühjahrsmonat vorüber war. Dieser wärmste Frühling seit Beginn aller Aufzeichnungen im Jahr 1881 war außerdem noch sehr nass, ohne dass die unglaublichen Regenmengen die herrschende Dürre vollends zu beseitigen vermochten.
Frieder Hesselkamp ist überzeugt, dass die nicht abreißende Folge an extremen Hitzewarnungen noch weit schlimmer ausfallen würde, nähmen Menschen Temperaturen noch immer so unbefangen wahr wie in seinen Kindertagen. "Vielleicht hat es etwas mit den Impfungen zu tun", mutmaßt der Sachse, der sich slebst dreimal hat boostern lassen. Doch er selbst habe ja sogar die Höchstwerte von mehr als 30 Grad im April ohne Schweißausbrüche überstanden. "Das ist nicht normal", betont er, "denn ich gerate eigentlich sehr leicht ins Schwitzen."
Hitzeforscher aber geben Entwarnung. Lars W. Weidebrinck, der am Climate Watch Institut in Grimma zu Fragen der Temperaturwahrnehmung forscht, kommt in seiner eben veröffentlichten Studie "Temperature perception and heat resistance in times of climate change" zu einem klaren Urteil. "Es gibt keine Gewöhnung an zu hohe Temperaturen", sagt er, "denn der menschliche Körper ist einfach nicht für eine Erwärmung von solchen Ausmaßen gemacht."
Gerade Deutschland als die Region der Welt, die am schlimmsten von den bereits spürbaren Auswirkungen der verfehlten Pariser Klimaziele betroffen sei, zahle einen hohen Preis für fehlendes Tempolimit, die abgesagte Heizungswende und den verschleppten Energieausstieg. "Auch wer die Hitze nicht zu spüren glaubt, kann sie nicht leugnen."
Abhärtung, wie es sie bei Kälte gibt, wie die vielen Völker zeigen, die sich etwa in Sibirien, Alaska oder Nordschweden angesiedelt haben, gebe es bei Wärme nicht. "Wird es warm, wird Wasser aus dem Blut über die Schweißdrüsen aus dem Körper gepumpt und wir fangen an zu schwitzen", erläutert er. Werde es aber heiß, verdicke das Blut durch diesen Prozess so sehr, dass der Mensch oft einfach umfalle. "Kreislaufversagen und Hitzschlag sind lebensgefährliche Folgen von anhaltender Hitze
Körperliche Reaktionen
Allerdings seien viele der körperlichen Reaktionen, die mit Hochtemperaturen einhergehen, wie sie -zumindest nachts - auch im viel zu warmen Mai vorherrschten, eher subkutan. "Wird uns zu heiß, werden die Blutgefäße erweitert und unser Körper verlagert mehr Blut in die Haut, dadurch erhöht sich die Wärmeabstrahlung und es wird schnell und wirkungsvoll Wärme an die Umgebung abgegeben." Ein durchaus positiver Nebeneffekt ist sei, dass durch die Weitung der Blutgefäße der Blutdruck sinke. "Negativ aber wirkt sich zweifelsfrei aus, dass dadurch die Klimakatastrophe weiter befeuert wird."
Dennoch sehnen sich nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes auch nach dem zu warmen Januar, Februar, März, April und Mai immer noch viele "nach sommerlich warmem und sonnigem Wetter" (DWD). Nach Berechnungen des europäischen Modells ECMWF lügen die Thermometer keineswegs, versichert Hitzeexperte Lars W. Weidebrinck. "Leute, die so etwas behaupten, wissen offenbar nicht, wie scharf der Tüv und die Eichämter unter Aufsicht der EU auf die korrekte Kalibrierung aller Messinstrumente im Land achten."
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