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Drei in einem Boot: In einem Streitgespräch um den heißen Brei zeigte Ricarda Lang (l.) und Armin Laschet (r.) Gastgeberin Carmen Miosga (M.) ihre Wunden. |
Wie überall in Europa geht ein Wahlkampf in die heiße
Phase, der nie über ein kaltes Lächeln hinauskam. Halb simuliert, halb vollständig vermieden, erinnerte der Kampf der Parteien um Stimmen für ihre Listen zur sogenannten "Europawahl" in 27 der insgesamt 47 europäischen Staaten an DDR-Verhältnisse. Möglichst allgemein gehaltene Botschaften warben Mitleid für die Kandidaten. Werbespots zeigten oft und gern ein Land vor unserer Zeit, das "einfach funktioniert", während draußen die Realität tanzte, als wolle die Politik widerrechtlich Hohn strafen.
Giganten des Politikbetriebes
Der Ton in der müden Debatte verschärfte sich noch einmal, als zwei Giganten des politischen Betriebes im Studio von Caren Miosga zusammenkamen, um über den schweren Stand der politischen Verwaltung "in diesen aufgeheizten Zeiten" (Miosga) zu sprechen. Tunlichst hatte die Regie vermieden, Vertreter wenigstens vermeintlich unversöhnlicher Lager an einen Tisch zu setzen. Laschet, ehemals Kanzlerkandidat der CDU und als Merkelianer bekennender Linker, und Lang, als grüne Parteivorsitzende ein Schwergewicht der Ampelkoalition, sind vielmehr zwei, die gern miteinander regieren würden, lieber heute sogar heute als morgen.
Dass es damit damals nicht geklappt hat, als Laschet von Angela Merkel zum Nachfolger bestimmt wurde und rasch daranging, die CDU zur vierten Linkspartei umzubauen, hängt den beiden Diskutanten am Tisch immer noch nach. Schwarz-Grün hatte vieles anders, wenn schon nicht besser gemacht. Die jüngsten Ausbrüche an politischer Gewalt, da ist Armin Laschet sicher, hingen ja mit einer Polarisierung zusammen, die es so früher gar nicht gegeben habe.
Die guten alten Zeiten, als Kontrolle noch über ein paar Journalisten aus den Hauptstadtbüros ausgeübt werden konnte, die oft schon dadurch ruhig zu stellen waren, dass man ihnen anbot, sie auf die nächste große Auslandsreise mitzunehmen. Jetzt dagegen gackert jeder mit, man kennt die Leute oft nicht einmal, die sich zu allem und jedem zu Wort melden, wie das früher ein Privileg gewählter Volksvertreter war.
Zwei in einem Boot
Begonnen habe das alles erst in den letzten Jahren, erinnert sich der 63-Jährige, diese Gewalt, diese Übergriffe. Laschet verfügt über eines der wichtigsten Talente, das Politiker brauchen, um glaubwürdig zu sein: Er verschweigt die Attentate auf Lafontaine und Schäuble nicht, er erinnert sich wirklich nicht mehr an sie. Ebenso wenig wie an die Eierwürfe auf Helmut Kohl, den Farbbeutel, den Joschka Fischer ins Gesicht bekam, oder die Torte, mit der Antifaschisten Sahra Wagenknecht angriffen.
Und bei Miosga sitzen zwei von diesem Schlag in einem Boot: Neuerdings erst kämen "Leute aus dem Nichts auf jemanden zugeschossen", neuerdings erst müssten Kommunalpolitiker Angst haben. Laschet, dem ein grausames Schicksal die Gesichtszüge eines Basset mitgegeben hat, hört Langs Klage über die Kübel von Hetze und Hass, die sein Parteivorsitzender über ihr ausgegossen habe, mit großer Anteilnahme. Leise nur die Zweifel, ob die Erwähnung eines abgebrochenen Studiums tatsächlich ähnlich schmerzhaft sei wie ein Messerstich. Aber Lang tölpelt hart zurück: Singen ist wie stechen, nur schlimmer. Pöbeln ist Mord, Sylt Mannheim. Die Grünen warnen schon lange auch vor islamistischer Gewalt und Nazi-Gesängen.
Feind der Gesellschaft
"Der Islamismus ist ein Feind der freien Gesellschaft“, sagt Ricarda Lang, die Grünen-Chefin, die "in all den Jahren viele Formen des Extremismus zu spät erkannt" hat wie alle anderen in Deutschland, so sagt Laschet. Zwei auf einer Wellenlänge und entschlossen, Besserung zu geloben: "Wir dürfen nicht den gleichen Fehler machen, dass wir den Islamismus jetzt unterschätzen." Wie denn aber sonst? Laschet schlägt vor, die geheimnisvolle "Polarisierung in der Gesellschaft" als besseres Problem zu besprechen.
Man könne dann die sozialen Medien verantwortlich machen wie immer. Dort sei "schon die Sprache enthemmter als vor Jahren", sagt Laschet, ein intimer Kenner von Facebook, Tiktok und X. Er denke gern an die zeit zurück, in der Empörte und Enttäuschte nur wütende Leserbriefe geschrieben hätten, die man in den Papierkorb werfen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass darauf eine große Welle wird.
"Jetzt attackiert man anonym im Netz irgendeine Person. Da ist schon eine gewisse Enthemmung da", sagt der frühere CDU-Kanzlerkandidat, der mit "irgendeine Person" vor allem sich selbst meint. Mitten in seinem bis dahin erfolgversprechenden Wahlkampf hatten ihm große Blätter ein spontanes Lächeln als Verlachen von Flutopfern ausgelegt. Die sozialen Netzwerke sprangen gierig darauf an. Seitdem mag Armin Laschet sie gar nicht mehr.
Die schweigende Buddha
Keine fünf Minuten, dann sind die drei Routiniers ganz allgemein vom Konkreten zum Allgemeinen gewechselt. Von Laschets Parteichef "Studienabbrecher" genannt zu werden und verboten zu bekommen, ihm die Welt erklären zu dürfen, hat Lang wehgetan. Die Grünen-Politikerin, die so gern austeilt, hat Schwierigkeiten mit der Wahrheit. "Sprache hat Einfluss darauf, wie wir miteinander umgehen. Aus Sprache folgt immer wieder Gewalt", sagt sie in Richtung Friedrich Merz. Sie sei auch nicht immer freundlich in ihren Reden und wolle nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Aber einen Bäcker Bäcker zu nennen, das ist doch etwas anderes als einen Studienabbrecher wie sie Studienabbrecher. Sie stehe für den Anstand, nicht persönlich zu werden.
Es ist ein Duell harter Profis, die über alles sprechen können, ohne etwas zu sagen. Laschet, der nie dabei war, aber immer mittendrin, erinnert sich schwärmerisch an einen "großen Aufbruch in der Integrationspolitik", der zeitlich wohl zufällig zusammengefallen sei mit dem Beginn von Hetze, Hass und Zweifel, für die er den Buchautor Thilo Sarrazin und seine Millionenauflage als Verantwortlichen in Erinnerung hat. Ricarda Lang war damals 16, sie weiß nichts und schweigt buddhahaft. Angesichts der Ereignisse erscheint es wenig klug, der kruden Sarrazin-These vom nicht integrierbaren Islam heute, hier und jetzt zu widersprechen. "Wir haben viele Extremismusformen oft zu spät erkannt", muss als Eingeständnis reichen.
Caren Miosga, deren Einschaltquoten für ein bald nahendes Ende der Sendung sprechen, wagt das Unerhörte. Ob Deutschland da ein "Leck in der Debatte" habe, fragt sie? Ob man nicht "über alles reden müsse"? Unerhörte Vorstellungen im deutschen Fernsehen, das einer Grundversorgung verpflichtet ist, zu der "alles" nun gerade nicht gehört. Ricarda Lang ist unbedingt auch dieser Meinung. Die Debatten seien zwar geführt worden, aber "man muss diesen Dingen genauso nachgehen".
Comeback des teuren Lächelns
Laschet schmunzelt das Laschet-Lächeln, das ihn damals das Kanzleramt gekostet hat: Alle hätten sich lange über Sylt aufgeregt, aber
weniger über das Kalifat und die Antisemiten an der Berliner Uni. Das empöre ihn nun, wo es zu spät sei, ganz schrecklich. Müsste die Empörung nicht besser verteilt werden? Gleichmäßiger? Gerechter? Schließlich sollten die Menschen doch irgendwie das
Gefühl haben, dass es so ist, wie es nicht ist, weil eben manche Dinge besser zum Parteiprogramm passen als andere.
Ein Problem, das Ricarda Lang gut kennt. Ein islamistischer Anschlag wie in Mannheim, das sei schon "ein Rückschlag in der Debatte", doch ungeachtet dessen dürften "wir nicht mit pauschalen Verurteilungen kommen". Nicht jeder Rechte ist rechts, nicht jeder, der rechts ist, ist rechtsradikal und nicht jeder Rechtsradikale gewalt- und terrorbereit!
Natürlich nicht
Nein, das sagt sie natürlich nicht. Bei Muslimen ist das so, nicht bei Nazis. Deshalb müsse man "die Hand ausstrecken für die Muslime" und sich "gemeinsam gegen die Verfassungsfeinde" stellen. Kaum, dass es die Zuschauer daheim an ihren Empfangsgeräten bemerken: Aber jetzt sind Lang, Laschet und Miosga auf vertrauten Boden, heimischem Gebiet: Attacken auf Politiker gehen hier von der "Querdenkerszene" (Laschet) aus, "eine Form der Enthemmung" sind Messerangriffe, Prügelattacken oder aber auch Vergleiche mit Hunden und Margot Honecker, wie Ricarda Lang feststellt. Früher sei im Bundestag auch verbal aufeinander eingeschlagen worden, befindet Laschet. Aber immer mit Respekt! Und ohne Social Media!
Der Mann traut sich was, sobald der Anstand zum Geschehen historisch ist. Ungeachtet aller Umstände nennt er Corona als Einflussgröße bei der gesellschaftlichen Spaltung. "Abwägen war nicht
zu sehr gefragt", urteilt Armin Laschet, "jeder, der Maßnahmen in Frage gestellt hat, wurde leicht in
die Ecke gestellt". Leicht. Liebevoll. Unter Wahrung der Grundrechte. Wer war es denn, der dafür zahlen musste? Ricarda Lang reklamiert für sich, die Verrohung der Gesellschaft durch Sprache "ganz viel" selbst erfahren zu haben, auf Social Media. Armin Laschet weist stolz, aber gütig darauf hin, dass er es gewesen sei, der im
Bundestagswahlkampf "die meiste Hetze abbekommen" habe. Mein Haus. Mein Pferd. Mein Auto. Meine Wunden!
In der Opfer-Olympiade
Eine Opfer-Olympiade, die zu Tränen rührt. Ist Hetze schon Hass, wenn kein Blut fließt? Ist Hass Gewalt, wenn es bei Worten bleibt? "Wo Gewalt ausgeübt wird, da wird es gefährlich", sagt Armin Laschet aus der Erfahrung seiner vielen Jahrzehnte in der Politik. Ricarda Lang verweist auf den "riesigen Berg an ungelösten Aufgaben", den ihre "wie keine andere Regierung früher" übernommen habe. Und an vielen Stellen habe man es auch "hinbekommen", den "Menschen gut Sicherheit zu geben, den Menschen das Gefühl zu geben, es gibt einen Plan, wir wissen, wo es hingeht".
Laschet widerspricht nur zart. Das Heizungsgesetz sei ja wohl "ein ziemlicher Bock" gewesen, sagt sich Miosga ganz weit vor. Lang moderiert das weg. Das Gesetz sei "offensichtlich nicht gut genug gemacht" gewesen, aber Robert Habeck habe sich doch entschuldigt. Alles wieder gut. Nichts passiert. "Und das Gesetz ist ja nun beschlossen."
2 Kommentare:
Gilt ein "süßer Angriff" auf den Berater der EU für Web-Freiheit, der die außenpolitische Koordination der „No disconnect“-Strategie der EU-Kommission mit beteiligten EU- und Drittländern sowie Nichtregierungsorganisationen übernimmt, denn nichts mehr..?
https://www.welt.de/politik/deutschland/gallery13848867/Tortenattacke-auf-Karl-Theodor-zu-Guttenberg.html
OT
109 rbbtext Di 04.06.24 18:51:31
rbb24 Politik/Gesellschaft
Senat beschließt "Schneller-Bauen-Gesetz"
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