Montag, 10. Juni 2024

Im Jammertal: Rechts muss rechts bleiben

SPD-Chef Lars Klingbeil hat Konsequenzen als dem Wählervotum gegen seiner Partei angekündigt: Der Kampf gegen rechts wird nun deutlich verstärkt werden. Zeichnung: Kümram, spitzer Bleistift auf Butterpapier

Es war nur ein kurzer, sehr kurzer Satz, den die deutschen Wähler auf ihre Wahlzettel geschrieben hatten. "Wir haben die Schnauze voll", stand da in aller gebotenen Knappheit. Der Krug, von dem die Parteien des selbsternannten demokratischen Blocks gehofft hatte, dass er ihnen das Wasser noch einmal hält, krachte bebend zu Boden. Der Osten verloren. Die CDU ein Wahlgewinner ohne Gewinne. Die Grünen zurück im Kreise derer, die an die gestaltende Kraft von Wünschen glauben. Und die Kanzlerpartei zusammengestutzt, dass in anderen Zeiten noch am Wahlabend die Parteiführung ihren Rücktritt erklärt hätte.

Triumph der Demokratiefeinde

Nicht so nach diesem Triumph der Demokratiefeinde, denen im Wahlkampf ein Orkan an Gegenwind ins Gesicht geblasen worden war. Die AfD hatte keine Spitzenkandidaten mehr, ihre übrigen Kandidaten wurden häufiger verprügelt als die aller anderen Parteien. Das Label von der "in Teilen gesichert rechtsextremen" Partei wurde in den Medien wie ein fester Namensbestandteil behandelt. Die Demonstrationen gegen die Wannsee-Konferenz sollten nicht zuletzt auch den Zusammenhalt des Volkes "gegen rechts" festigen. Der Prozess gegen einen der prominentesten sogenannten "Hetzer" schließlich war gehalten, zu zeigen, wie Hitler die alle sind.

Strategien, die durchweg versagt haben. Nach zehn Jahren unablässiger Warnungen vor dem Rechtsrutsch der AfD ist das gesamte Land nach rechts gerutscht. Und viele schämen sich nicht einmal mehr. Der Dauerton aus den Alarmsirenen hat sich verbraucht. Das trotzige Anregieren gegen Mehrheitsansichten und wirtschaftliche Vernunft hat spät, aber nun doch noch ein klares Ergebnis gebracht: Eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Wähler möchte alles, nur das, was, was derzeit geboten wird. selbst spinnerte Kleinstparteien mit Spezialisierung auf Tierschutz, ewiges Leben, Familie oder Satire kommen diesmal zusammen auf einen höheren Stimmenanteil als die altehrwürdige Partei des Bundeskanzlers.

Ein Scholzscher Wumms

Ein "Wumms", wie Olaf Scholz womöglich gesagt hätte, wäre er am Wahlabend gezwungen gewesen, sich den Kameras zu stellen. Wohlweislich vermied er das: Aufgrund der Umfragen ahnten sie in Partei-und Regierungszentrale, dass es fürchterlich werden würde, entsprechend wurde die Regie aufgestellt. Dann wurde es noch viel schrecklicher, weil die Demoskopen einmal mehr Meilen weit danebenlagen. Zu ahnen ist: Personenschützer brachten Olaf Scholz in den sicheren Kanzlerkeller. Die Verteidigung oben übernahmen die, die die älteste deutsche Partei bis hierher gebracht hatten.

Lars Klingbeil ist einer von ihnen, ein Funktionär reinsten Blutes, der noch keinen Tag seines Lebens im Normalraum zugebracht hat. Aufgezogen im ideologischen Reinsttraum der SPD-Kaderschmieden, genährt an den Zitzen der Partei und angezüchtet im Wahlkampfbüro eines Abgeordneten, steht der Niedersachse wie sein Kollege Kevin Kühnert für den klaren Kurs, den die SPD in Richtung "Bloß weg vom Wähler" genommen hat. Doch auch nach dem schweren Sturz bei der EU-Wahl zeigt Klingbeil, genannt "Die Axt", keinerlei Zeichen von Einsicht, Erkenntnis oder gar Reue.

Politik für die unterste Schublade

Im Gegenteil. Die grüne Spitzenkandidatin Terry Reintke, die sich anschickt, nach vier Wochen leisem Wahlkampf in der alten Heimat wieder für vier Jahre in die komplette Unsichtbarkeit Europas zu entschwinden, hatte klargestellt, dass ihre Partei nun "in aller Ruhe" analysieren werde, bis alle vergessen hätten, was passiert sei. Lars Klingbeil dagegen war schon am Wahlabend fertig mit der Autopsie am Leib der mausetoten SPD-Wahlkampagne: Leider hätten all die Bilder von Olaf Scholz,  die Fotos von Schachspielern und selbst der Slogan "Politik für die unterste Schublade" beim Wähler nicht angeschlagen. Man werde nun entsprechend mit diesem ins Gericht gehen.

Denn klar sei, dass viele, viele Menschen so gewählt hätten, dass die "Nazis bei dieser Wahl stärker geworden" seien. Auf Nachfrage bestätigte Lars Klingbeil, wen er damit meint: Die AfD und deren Vorsitzende Alice Weidel, denen mehr als eine halbe Million ehemaliger SPD-Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen gegeben hatten. Für Klingbeil geht Wählerbeschimpfung allemal vor Fehlersuche, Rechts muss rechts bleiben, selbst wenn es dazu eine Relativierung der Verbrechen des Hitlerregimes und eine Verharmlosung des Nationalsozialismus braucht. 

Millionen neue Feinde

Jeder, der dort ein Kreuz gemacht hat, wo die Signalwirkung Richtung der seit 1990 dauerregierenden Parteien am größten ist, sieht sich vom SPD-Parteichef in einen Sack mit Stiefelnazis, Hetzer, Hassern und Demokratiefeinden gesteckt. Der Vorsitzende der ehemaligen Volkspartei SPD, die im Wahlkampf  "gegen Hass und Hetze" plakatiert hatte, erklärt 6,3 Millionen seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger kurzerhand zu Faschisten, die man nun, wo man selbst nur noch eine ganz kleine Minderheit der Bevölkerung vertrete, noch mehr zu bekämpfen gedenke.

Es ist eine echte Funktionärsreaktion, wie sie auch bei anderen Verliererpareteien zu sehen war. Aufrufe, die Reihen nun fest zu schließen, wechselten sich ab mit Mahnungen, das Kind nun nicht mit dem Bade auszuschütten. Vielmehr komme es darauf an, die eigentlich doch spitzenmäßig gute Politik noch besser zu erklären, weil viele im Land durch ihre angeborenen intellektuellen Defizite und die unzureichende Vermittlung der richtigen Lehren unfähig seien, die Notwendigkeit einer alternativlos richtigen Regierungsstrategie zu erkennen. Wo nun nur noch ein kleiner Rest der rot-grün-gelben Herrlichkeit von 2021 übriggeblieben ist, will niemand sagen, was jeder weiß. Das Ampel-Experiment ist schiefgegangen. Wieder einmal war das deutsche Volk noch nicht reif für ein sozialistisches Experiment. 

Weiterwursteln bis zum letzten Tag

Die drei regierenden Parteien werden nun weiterwursteln bis zum letzten Tag. Zu wertvoll sind die Posten und Pöstchen, zu groß noch die Möglichkeiten, bis zum Abschied aus dem Amt - zumindest für Grüne und FDP, die SPD wird ja an der Seite der CDU weitermachen - noch allerlei Weichen zu verstellen, Straßen aufzureißen und Industriebereiche zurückzubauen. Die Überschrift über allem, das hat Lars Klingbeil deutlich gemacht, bleibt dieselbe wie bisher: Wer dagegen ist, ist rechts. Wer rechts ist, gehört nicht dazu, sondern bekämpft. Dieser Kampf wird in den verbleibenden Wochen enorm verstärkt werden. Es ist das letzte Mittel, das den Strategen im Willy-Brandt-Haus zur Verfügung steht.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Opposition ist in der Politik jene Partei, die die Regierung am Amoklaufen hindert, indem sie sie lähmt.

Ambrose Gwinnett Bierce (1842 - 1914)

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Das mag früher sogar gestimmt haben ...

Anonym hat gesagt…

Genossen, wir haben es an revolutionärer Wachsamkeit fehlen lassen - so sprachen führende Rote Khmer (und nich nur diese) noch jahre, nachdem sie zu recht, aber zu wenig auf den Deckel bekommen haben. So sinnse.

Anonym hat gesagt…

Bei (nicht von) Dikigoros: Nach dem Sieg - schnalle den Helm fester!

irgendwer hat gesagt…

Ich kann dem "Weiter so!" durchaus etwas abgewinnen. Am Projekt "Grüne unter 5%" muss schließlich noch weiter konsequent gearbeitet werden, auch wenn beispielweise Jena die Achse der "grünen" Studierendenstädte nicht mehr stört.
Da steckt noch viel Arbeit drin, auch noch die letzten Wähler zu verprellen.